Deutschland

Kartellamt stärkt Rechte von Mittelständlern gegen Amazon

Das Bundeskartellamt hat die Rechte von mittelständischen Händlern, die auf der Plattform Amazon Waren und Dienstleistungen anbieten, gestärkt. Doch Amazons Geschäftspraktiken sind weiterhin fraglich.
27.07.2019 16:17
Lesezeit: 3 min

Das Kartellamt in Bonn hat bei Amazon mehr Rechte für mittelständische Händler auf der Plattform durchgesetzt, aber der Verdacht unfairen Wettbewerbs ist für den US-Riesen damit nicht vom Tisch. Die EU-Kommission leitete eigene Ermittlungen ein. Die Brüsseler Kartellwächter wollen unter anderem prüfen, ob der Konzern Daten der Händler nutzt, um lukrative Geschäftsbereiche zu erkennen und dann die kleineren Konkurrenten mit eigenen Angeboten auszubooten. Die Kommission betonte, dass ihre Zweifel nicht durch die vom deutschen Kartellamt erzielten Zugeständnisse ausgeräumt werden.

Das Kartellamt stellte im Gegenzug zu umfangreichen Änderungen der Geschäftsbedingungen sein Missbrauchsverfahren gegen Amazon ein, wie Deutschlands oberste Wettbewerbshüter mitteilten. Das Verfahren war im November 2018 eingeleitet worden, nachdem sich zahlreiche Händler beschwert hatten. Sie bemängelten Haftungsregeln, die zu ihren Lasten gingen, intransparente Kündigungen und Sperrungen von Konten sowie einbehaltene oder verzögerte Zahlungen.

Für den Privatkunden ändert sich dadurch nichts, die global gültigen Änderungen betreffen nur das Binnenverhältnis zwischen Amazon und den sogenannten Dritthändlern.

Amazon spielt eine Doppelrolle. Zum einen verkauft das Unternehmen selbst als Einzelhändler Produkte auf seiner Internetseite. Zum anderen stellt es einen Online-Marktplatz zur Verfügung, über den andere Händler ihre Waren direkt an Kunden verkaufen können.

Diese Plattform für Waren von Drittanbietern ist für den US-Konzern immens wichtig. Nach Firmenangaben stammen 58 Prozent des weltweit über Amazon erwirtschafteten Bruttowarenumsatzes von diesen Verkäufern. Amazon kommt den Händlern nun deutlich entgegen und ändert die bisher als einseitig kritisierten Regeln. So wurden zum Beispiel Vorgaben zur Haftung bei kaputten Produkten umformuliert, die bisher zulasten der Händler gingen - künftig sind sie ausbalancierter.

Zudem wurde das Kündigungsrecht modifiziert. Bisher hatte Amazon nach Angaben des Kartellamts ein unbeschränktes Recht zur sofortigen Kündigung und der sofortigen Sperrung von Konten der Händler - Gründe musste der US-Konzern hierbei nicht angeben. Künftig gilt bei ordentlichen Kündigungen eine 30-Tage-Frist. Bei außerordentlichen Kündigungen und Sperrungen muss Amazon die Händler nun informieren und dies begründen.

Positiv für die Verkäufer sind zudem Änderungen beim "Gerichtsstand" - wollte ein Händler gegen Amazon vor Gericht ziehen, musste er nach Luxemburg. Für manchen Mittelständler dürfte das Ausland eine Hemmschwelle gewesen sein. Künftig können unter bestimmten Voraussetzungen auch deutsche Gerichte zuständig sein.

Die Geheimhaltungspflicht wurde ebenfalls geändert. Bisher durfte sich ein Händler nur über eine Geschäftsbeziehung mit Amazon äußern, wenn ihm das US-Unternehmen das vorher erlaubt hatte. Diese Klausel wird den Angaben zufolge "weitgehend reduziert".

Kartellamtschef Andreas Mundt zeigte sich zufrieden. "Für die auf den Amazon Marktplätzen tätigen Händler haben wir mit unserem Verfahren weltweit weitreichende Verbesserungen erwirkt", sagte er. Die Änderungen werden zum 16. August wirksam. "Es waren überaus konstruktive Gespräche mit dem Bundeskartellamt und wir begrüßen es, eine Einigung gefunden zu haben", erklärte Amazon.

Unter Kartellrechtlern wurde das Vorgehen von Deutschlands obersten Wettbewerbshütern gelobt. "Die "Friss-oder-Stirb"-Geschäftspolitik der Super-Plattformen gegenüber Händlern und Nutzern wird damit ein Stück weit zurückgedrängt", sagte Rupprecht Podszun, Direktor des Instituts für Kartellrecht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

Die EU-Kommission betonte, Amazon erhebe laufend Daten über Händler auf der Plattform, ihre Produkte und das Kundenverhalten. Konkret wollen sie nun der Frage nachgehen, ob und wie die Nutzung dieser Daten den Wettbewerb einschränkt und ob Amazon sie nutzt, um Händler in lukrativen Geschäftsbereichen zu verdrängen. Dazu will die Brüsseler Behörde unter anderem die Standardvereinbarungen zwischen Amazon und den anderen Marktplatzhändlern prüfen, sod die dpa.

In den Fokus will die EU-Kommission auch die sogenannte "Buy Box" nehmen. Mit diesem Kauf-Button können Kunden Produkte von Drittanbietern direkt in ihren Amazon-Einkaufswagen befördern. Diese "Buy Box" zu erhalten, sei für die Händler entscheidend, da ein Großteil der Einkäufe über sie getätigt würden, erklärten die Wettbewerbshüter weiter. Händler müssen in der Regel aber eine Reihe von Voraussetzungen erfüllen, bevor sie diesen Einkaufswagen-Link bekommen. Die Rolle von Daten bei diesem Vergabeverfahren werde ebenfalls untersucht, hieß es.

Amazon zeigte sich kooperationsbereit. "Wir werden vollumfänglich mit der Europäischen Kommission kooperieren und weiterhin daran arbeiten, Unternehmen jeder Größe in ihrem Wachstum zu unterstützen", sagte ein Firmensprecher.

Der US-Konzern ist weltweit hochumtsritten. In Deutschland will Amazon zwar bis Ende 2019 2.800 weitere Stellen schaffen, lehnt aber eine Traifbindung ab. Die Gewerkschaft Verdi positioniert sich deshalb eindeutig gegen den Konzern. Seit Jahren befindet sich der Online-Riese im Streit mit der Gewerkschaft, die erst vor rund vier Wochen in Leipzig wieder zum Streik aufgerufen hatte. Die Gewerkschaft fordert in zähen Kämpfen Tarifverhandlungen, denen sich das US-Unternehmen strikt verweigert - und auf seine "gute Bezahlung und attraktive Arbeitsbedingungen" verweist. Während Verdi von dem Online-Händler die Bezahlung nach den Tarifen des Einzelhandels einfordert, sieht sich Amazon dagegen als reiner Logistiker.

Amazon bezahlt seinen Mitarbeitern in den Logistikzentren in Deutschland nach eigenen Angaben mindestens 10,78 Euro brutto die Stunde. Nach zwei Jahren gebe es im Schnitt ein Monatsgehalt von 2397 Euro inklusive weiterer Extras wie betriebliche Altersversorgung und subventionierte Kantinen. Laut Lohnspiegel der Hans Böckler Stiftung verdient eine Verkäuferin im Einzelhandel mit Tarifbindung im Schnitt 2050 Euro.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Finanzen
Finanzen EU-Vermögensregister und Bargeldbeschränkungen: Risiko für Anleger

Das EU-Vermögensregister gehört derzeit zu den größten Risiken für Anleger. Daher ist es wichtig, sich jetzt zu überlegen, wie man...

 

DWN
Finanzen
Finanzen Börsencrash, Blase oder Börsenrally? So brisant wird das zweite Halbjahr an den Aktienmärkten
08.07.2025

Zins-Chaos, Trump-Drohungen und eine Blase bei Rüstungsaktien: Drei Top-Strategen warnen vor einem explosiven Börsenhalbjahr – mit...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Exportflaute durch Handelsstreit: Unsicherheit belastet deutsche Firmen
08.07.2025

Trotz einer weiteren Fristverlängerung im Zollkonflikt mit den USA bleibt die Lage für deutsche Exportunternehmen angespannt. Die...

DWN
Politik
Politik Bundestag stimmt über Verfassungsrichter ab – Politische Debatte um Mehrheiten
08.07.2025

Im Bundestag steht eine wichtige Entscheidung an: Drei Kandidatinnen und Kandidaten für das Bundesverfassungsgericht sollen gewählt...

DWN
Technologie
Technologie Wettlauf der Supermächte: Wer gewinnt das Milliarden-Quantenrennen?
08.07.2025

Quantencomputer gelten als Schlüsseltechnologie der Zukunft – und könnten bestehende Sicherheitsstrukturen weltweit aushebeln. Der...

DWN
Politik
Politik Recht auf Schutz: Gericht bestätigt Anspruch afghanischer Familie auf Visa
08.07.2025

Trotz der Einstellung des Bundesaufnahmeprogramms für gefährdete Afghanen hat das Verwaltungsgericht Berlin eine klare Entscheidung...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Urlaub wird teurer: Flugkosten steigen auch bei Billig-Airlines
08.07.2025

Fliegen vom deutschen Flughafen ist deutlich kostspieliger geworden – und das nicht nur bei klassischen Airlines. Auch...

DWN
Politik
Politik Haushaltsstreit 2025: Klingbeils Pläne, Kritik und offene Milliardenlücken
08.07.2025

Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD) hat den Haushaltsentwurf für 2025 und die Finanzplanung bis 2029 in den Bundestag eingebracht....

DWN
Unternehmen
Unternehmen VW-Konzern behauptet Spitzenposition im deutschen E-Auto-Markt
08.07.2025

Der VW-Konzern setzt im deutschen E-Auto-Markt neue Maßstäbe. Die aktuellen Zahlen zeigen eine eindrucksvolle Entwicklung – doch der...