Finanzen

Finanzministerium prüft angeblich Abkehr von Politik der Schwarzen Null

Das Finanzministerium spielt Informationen der Nachrichtenagentur Reuters zufolge eine finanzpolitische Wende durch. Konkret soll die Politik des ausgeglichenen Haushalts aufgegeben werden.
08.08.2019 17:23
Lesezeit: 2 min

Das Bundesfinanzministerium spielt Reuters-Informationen zufolge eine Kehrtwende in der Finanzpolitik durch. Vor allem das geplante Klimaschutzgesetz, für das am 20. September konkrete und voraussichtlich sehr kostspielige Maßnahmen beschlossen werden sollen, sorgt für Druck. Der ausgeglichene Haushalt - die sogenannte Schwarze Null - gilt nicht mehr als gesetzt, wie eine mit den Diskussionen im Ministerium vertraute Person der Nachrichtenagentur Reuters sagte.

"Die Herausforderung ist es, wie gestalte ich einen solchen Paradigmenwechsel in der Finanzpolitik, ohne einen haushaltspolitischen Dammbruch auszulösen. Denn wenn erst einmal klar ist, dass neue Schulden kein Tabu mehr sind, kommt jeder an und will mehr Geld." Daher müsste ein solcher Schritt auf Entscheidungen des Klimakabinetts begrenzt bleiben.

Ein Sprecher von Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) wollte sich am Donnerstag nicht zu den Informationen äußern. Innerhalb der großen Koalition kommt der Druck vor allem aus der SPD: Es müsse viel mehr investiert werden, vor allem in die Infrastruktur und den Klimaschutz, sagte ein Führungsmitglied der Partei zu Reuters. "Die Schwarze Null ist nicht zu halten." In einem Beitrag von fünf Finanz- und Haushaltspolitikern um die SPD-Abgeordnete Cansel Kiziltepe für die Parteizeitung "Vorwärts" wird ein auf 20 Jahre ausgerichtetes Investitionspaket 2040 im Gesamtumfang von einer Billion Euro gefordert. Das würde 50 Prozent höhere Investitionen pro Jahr für den Bund bedeuten. "Die Schwarze Null und die Schuldenbremse dürfen dafür kein Hindernis sein." Auch der Internationale Währungsfonds fordert Deutschland seit Jahren auf, Spielräume für zusätzliche Investitionen zu nutzen.

Allerdings hat Scholz zuletzt stets beteuert, keine neuen Schulden machen zu wollen - trotz deutlicher Konjunkturabkühlung. In seiner Finanzplanung bis 2023 wird mit Ausgaben und Einnahmen auf dem gleichen Niveau kalkuliert. Viele Politiker in der Koalition stören sich aber daran, dass für Investitionen im Zeitraum 2020 bis 2023 jeweils 39,8 Milliarden Euro vorgesehen sind - also keine Steigerung, obwohl es für den Staat nie attraktiver war, Anleihen zu begeben und sich damit am Kapitalmarkt Geld zu borgen. Zuletzt rutschte selbst die 30-jährige Bundesanleihe ins Minus, womit Anleger dafür bezahlen, um sich die als sehr sicher geltenden Papiere ins Depot zu legen. Der Staat verdient also mit der Ausgabe neuer Anleihen am Kapitalmarkt sogar Geld.

Viele Ökonomen fordern daher, mehr zu investieren - und sogar noch einen Schritt weiterzugehen: "Die Schuldenbremse ist unsinnig und schadet Deutschland", sagte der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, Reuters diese Woche. Sie verlange von der Bundesregierung, "dass sie jetzt in wirtschaftlich schwierigen Zeiten Überschüsse macht und keine weiteren Ausgaben zur Stabilisierung der Wirtschaft und Sicherung der Arbeitsplätze tätigen darf."

Ähnlich äußerte sich der Chef des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther. Er schlägt einen föderalen Investitionshaushalt vor, der für die kommenden zehn Jahre mit einem dreistelligen Milliardenbetrag ausgestattet werden sollte. Das Geld könnte für den Bau und die Sanierung von Brücken, die Verbesserung der Bahn und den flächendeckenden Ausbau mit dem neuen Mobilfunkstandard 5G genutzt werden.

In den Fokus rücken jetzt immer mehr die geplanten Entscheidungen des Klimakabinetts. Die zuständigen Fachminister der großen Koalition müssten klären, ob der aktuelle Haushalt dafür ausreiche oder zusätzliches Geld nötig sei, sagte SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil. Die Frage, ob die Schwarze Null dann falle, müsse zusammen mit dem Klimaschutzgesetz beantwortet werden.

Am Ende könnte es auf höchster Ebene - also Bundeskanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Scholz - eine politische Verständigung geben. Merkel hatte sich zuletzt Mitte Juli klar positioniert: "Ich glaube, dass die Politik des ausgeglichenen Haushalts richtig ist", so die frühere CDU-Chefin. Allerdings steht sie auch unter Druck, weil Deutschland seine Klimaschutzziele 2030 mit einer Reduzierung der Treibhausgase um 55 Prozent gegenüber 1990 einhalten muss. Ansonsten drohen milliardenschwere Strafen. Rückendeckung bekommt Merkel aus der eigenen Fraktion. "Die Haushälter der Unions-Fraktion halten an der Schwarzen Null fest", sagte der CDU-Politiker Eckhardt Rehberg. "Es ist inakzeptabel, solide Finanzen und Klimaschutz gegeneinander auszuspielen."

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Arbeiten nach der Schule: Warum viele keine Ausbildung beginnen
19.07.2025

Schnell Geld verdienen statt jahrelang pauken – das klingt für viele junge Menschen verlockend. Doch wer direkt nach der Schule in den...

DWN
Politik
Politik Militär statt Frieden? Was das EU-Weißbuch 2030 wirklich bedeutet
19.07.2025

Mit dem Weißbuch „Bereitschaft 2030“ gibt die EU ihrer Sicherheitspolitik eine neue Richtung. Doch Kritiker warnen: Statt...

DWN
Politik
Politik Nordkoreas Kronprinzessin: Kim Ju-Ae rückt ins Zentrum der Macht
18.07.2025

Kim Jong-Un präsentiert die Zukunft Nordkoreas – und sie trägt Handtasche. Seine Tochter Kim Ju-Ae tritt als neue Machtfigur auf. Was...

DWN
Unternehmensporträt
Unternehmensporträt Birkenstock: Von der Orthopädie-Sandale zur globalen Luxusmarke
18.07.2025

Birkenstock hat sich vom Hersteller orthopädischer Sandalen zum weltweit gefragten Lifestyle-Unternehmen gewandelt. Basis dieses Wandels...

DWN
Politik
Politik 18. Sanktionspaket verabschiedet: EU verschärft Sanktionsdruck mit neuen Preisobergrenzen für russisches Öl
18.07.2025

Die EU verschärft ihren wirtschaftlichen Druck auf Russland: Mit einem neuen Sanktionspaket und einer Preisobergrenze für Öl trifft...

DWN
Politik
Politik China investiert Milliarden – Trump isoliert die USA
18.07.2025

China bricht alle Investitionsrekorde – und gewinnt Freunde in aller Welt. Trump setzt derweil auf Isolation durch Zölle. Wer dominiert...

DWN
Finanzen
Finanzen Energie wird unbezahlbar: Hohe Strom- und Gaskosten überfordern deutsche Haushalte
18.07.2025

Trotz sinkender Großhandelspreise für Energie bleiben die Kosten für Menschen in Deutschland hoch: Strom, Gas und Benzin reißen tiefe...

DWN
Finanzen
Finanzen Finanzen: Deutsche haben Angst um finanzielle Zukunft - Leben in Deutschland immer teurer
18.07.2025

Die Sorgen um die eigenen Finanzen sind einer Umfrage zufolge im europäischen Vergleich in Deutschland besonders hoch: Acht von zehn...