Deutschland
Irrsinn im Namen der Umwelt

Neues 1,2 Milliarden Euro teures Kohlekraftwerk soll verschrottet werden

Das neue 1,2 Milliarden Euro teure Kohlekraftwerk in Datteln gilt als das sauberste und effizienteste der Welt. Doch nun soll es im Rahmen des deutschlandweiten Ausstiegs aus dem Kohlestrom verschrottet werden.
16.08.2019 16:50
Lesezeit: 2 min

Das wohl sauberste Kohlekraftwerk der Welt in Datteln im nördlichen Ruhrgebiet steht still. Die komplett neue und praktisch unbenutzte Anlage wird wahrscheinlich nie ans Netz gehen. Die Steuerzahler werden dennoch rund 1,2 Milliarden Euro dafür zahlen müssen.

Im November 2017 sollte das Werk mit einer Kapazität von 1.100 Megawatt eigentlich ans Netz gehen. Die Steinkohle brannte und der Kessel stand schon unter Dampf. Doch dann stellte sich heraus, dass die Schweißnähte des Stahlkessels dem Druck nicht standhielten.

Also ging "Datteln 4" damals nicht ans Netz. Seitdem arbeitet man in dem Kraftwerk daran, einen stärkeren Kessel einzubauen. Laut Bauleiter Ingo Telöken könnte das Werk nun im Sommer 2020 ans Netz gehen. "Zusammen mit der ausgekoppelten Fernwärme haben wir hier einen Wirkungsgrad von 50 Prozent", sagte der Ingenieur zu FOCUS. Ältere Kohlekraftwerke kommen lediglich auf Wirkungsgrade zwischen 30 und 40 Prozent. Zudem lasse sich kein anderer Kohlekraftwerk der Welt so schnell hoch- und wieder herunterfahren wie Datteln 4, so Bauleiter Telöken weiter. "Wir sind wie gemacht für das Zusammenspiel mit den erneuerbaren Energien."

Doch inzwischen hat die Kohlekommission aus Politikern, Managern und Wissenschaftlern den Kohleausstieg bis zum Jahr 2038 beschlossen. Diesem Gremium zufolge sollten "bereits gebaute, aber noch nicht im Betrieb befindliche Kraftwerke" gar nicht erst hochgefahren werden. Die Bundesregierung will die Empfehlungen der Kommission umsetzen.

Daher droht in Datteln nun die Verschrottung eines neuen 1,2 Milliarden Euro teuren Kraftwerks. Bauleiter Telöken sagt: "Wenn es beim Kohleausstieg rational zugehen soll, dann müsste 2038 Datteln 4 als Letztes vom Netz gehen – und zuerst die ältesten Kohlekraftwerke, die das meiste CO2 ausstoßen." Stattdessen kommt es wohl genau umgekehrt. Von den älteren Kohlekraftwerken liegen viele in Sachsen und Brandenburg, wo im Herbst Wahlen anstehen. In Sachsen kämpft die CDU darum, dass sie weiter regieren kann, in Brandenburg die SPD. Die Stilllegung von Kraftwerken dort würde die Wahlchancen womöglich mindern.

Die Stimmung im Osten ist ohnehin schon aufgeheizt, weil der von der Bundesregierung forcierte Ausstieg aus fossilen Energieträgern die Strompreise inzwischen auf ein historisches Hoch ansteigen haben lassen. Brandenburgs Ministerpräsident Woidke spürt die Unzufriedenheit und versucht kurz vor den Wahlen mit einem Krisentreffen gegenzusteuern, um seine Wiederwahl zu sichern.

Eine endgültig Entscheidung ist noch nicht gefallen. Und der Energiekonzern Uniper ist weiterhin bestrebt, das Kohlekraftwerk Datteln 4 am Dortmund-Ems-Kanal noch im Sommer kommenden Jahres in Betrieb zu nehmen. Uniper sei "sehr zuversichtlich", mit der Bundesregierung eine Einigung zu finden, sagte der Vorstandsvorsitzende Andreas Schierenbeckso kürzlich während einer Analysten-Telefonkonferenz anlässlich der Vorstellung der Halbjahresbilanz. Andernfalls könnte Uniper auf Schadensersatz klagen.

Noch laufen in Deutschland etwa 120 Kohlekraftwerke mit einer Kapazität von insgesamt 42,6 Gigawatt. Sie werden zur Hälfte mit Braun- und mit Steinkohle befeuert und liefern knapp 40 Prozent des deutschen Stroms.

Im weltweiten Maßstab ist das wenig. Denn derzeit planen China, Indien und andere Länder in Asien mehr als 450 neue Kohlekraftwerke mit mehr als 500 Gigawatt Leistung. Das ist mehr als das Zehnfache der Kapazität, die man in Deutschland stilllegen will.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Finanzen
Finanzen Bitcoin-Kurs: Zinssignale aus Japan belasten Stimmung am Kryptomarkt – wie es weitergeht
07.12.2025

Der Bitcoin-Kurs steht erneut im Mittelpunkt der Marktdebatten, da globale Zinssignale und eine wachsende Verunsicherung unter Anlegern die...

DWN
Technologie
Technologie Social Media im Umbruch: KI verdrängt persönliche Beiträge immer mehr
07.12.2025

Die sozialen Netzwerke verändern sich rasant, während persönliche Beiträge seltener werden und KI-Inhalte die Feeds bestimmen. Welche...

DWN
Finanzen
Finanzen Nvidia-Aktie: Weshalb selbst starke Zahlen ein strukturelles Problem nicht lösen
07.12.2025

Die Nvidia-Aktie glänzt mit beeindruckenden Ergebnissen, doch Anleger übersehen oft ein zentrales Risiko. Die enorme Größe des Konzerns...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Mautkosten in Europa steigen: Wie sich Speditionen jetzt Wettbewerbsvorteile sichern
07.12.2025

Trotz wachsender Belastungen im europäischen Transportsektor zeigt sich immer deutlicher, dass Mautgebühren weit mehr sind als ein...

DWN
Panorama
Panorama Weihnachten mit kleinerem Budget: Viele Menschen müssen bei Weihnachtsgeschenken sparen
07.12.2025

Weihnachten rückt näher, doch viele Haushalte kalkulieren strenger als je zuvor. Eine neue Umfrage zeigt, wie stark Preissteigerungen die...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft OpenAI-Bilanz: Deloitte prüft Milliardenpläne und Michael Burry entfacht Debatte
07.12.2025

OpenAIs rasanter Aufstieg und die enormen Investitionspläne des Unternehmens rücken die Transparenz der OpenAI-Bilanz in den Mittelpunkt....

DWN
Politik
Politik Elektromobilitätssteuer Großbritannien: Wie London die E-Auto-Revolution abbremst
07.12.2025

Großbritannien setzt mit einer kilometerbasierten Abgabe ein hartes Signal an alle E-Autofahrer und stellt die finanzielle Logik der...

DWN
Politik
Politik Russlands Desinformationskampagnen: Wie Europa gegen Putins Trolle kämpft
06.12.2025

Europe wird zunehmend Ziel digitaler Einflussoperationen, die gesellschaftliche Stabilität, politische Prozesse und wirtschaftliche...