Seit 2002 arbeitete ein Konsortium bestehend aus der deutschen RWE, der österreichischen OMV, der ungarischen MOL, der bulgarischen Bulgargaz, der rumänischen Transgaz und der türkischen Botas an der Planung des Megaprojekts, welches im Vollbetrieb 30 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr nach Europa transportieren soll mit vor allem einem Ziel: die europäische Abhängigkeit von russischem Erdgas zu verringern.
Über Jahre wurden Pläne geschmiedet, wie Europas Abhängigkeit von russischem Gas endlich überwunden werden kann. Die nun gescheiterte Nabucco-Pipeline war zweifelsohne das Flaggschiff-Projekt für dieses Vorhaben.
Die fast 4.000 Kilometer lange Pipeline sollte ab 2017 Erdgas vom Kaspischen Meer durch die Türkei, Bulgarien, Rumänien und Ungarn bis zum Verteiler nach Wien und damit in das europäische Gasnetz bringen. Mindestens 30 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr hätten durch die Leitung gepumpt werden müssen, um die Wirtschaftlichkeit des Projektes zu garantieren. Doch es mangelte an verlässlichen Zulieferstaaten.
Eines dieser Länder war der Iran. US-Sanktionen und die vorherrschende politische Stimmung aus Angst vor einer Uran-Anreicherung haben jedoch dazu geführt, dass Teheran von Anfang an von den Verhandlungen um die Volumina der Pipeline ausgeschlossen war.
Iran ist reich an natürlichen Erdgasvorkommen. Bereits 2010 erklärte der ehemalige deutsche Bundeskanzler Schröder, dass die Nabucco-Pipeline ohne iranisches Gas nicht realisierbar sei. Pikant: Für das Nabucco-Projekt war Schröders alter Buddy Joschka Fischer als Lobbyist unterwegs. So fanden sich die Spitzen der rot-grünen Koalition am Tisch eines der größten Energie-Pokers als Kontrahenten wieder.
Schröders Rolle im Pipeline-Gambling bestand vor allem darin, Gazprom bei dem Bau der Nord-Stream-Pipeline zu beraten, welche seit November 2011 bis zu 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas über 1.224 Kilometer von Wyborg in Russland nach Lubmin bei Greifswald durch die Ostsee transportiert. Der Ex-Kanzler ist also bestens qualifiziert, wenn auch nicht ganz unbefangen, Aussagen über den Inhalt von Gas-Pipelines zu treffen.
Durch die mit der Nabucco Pipeline direkt konkurrierende South-Stream-Pipeline von Gazprom wird sich die europäische Abhängigkeit von russischem Gas deutlich erhöhen. Der türkische Energieanalyst Serdar Iskender bestätigte bereits im März 2012 die Vorahnung Schröders: Es sei logistisch nicht möglich, das von dem Konsortium angestrebte Volumen von 30 Milliarden Kubikmeter pro Jahr ohne den Input von iranischem Gas zu erreichen.
Joschka Fischer war auf weitgehend unbekanntem Terrain tätig. Denn die Partnersuche für Nabucco gestaltete sich schwierig. Auch Aserbaidschan, ein weiterer gasreicher Staat, stand als Gaszulieferer von Nabucco zur Debatte. Von dem Autokraten Aliyev als erweiterter Familienbetrieb geführt ist das Land enorm reich an Erdgas. Doch im Januar 2012 willigte Aliyev ein, das Volumen der bestehenden Gaslieferverträge mit dem russischen Gas-Giganten Gazprom um die Hälfte zu erhöhen. Wie viel Gas nach den dann drei Milliarden Kubikmetern für andere Pipelines übrig bleiben würden, war unklar.
Zudem bestehen Ungewissheiten über den völkerrechtlichen Status des Kaspischen Meeres. Zum Teil ist es auch diese Ungewissheit, die Russland zu nutzen weiß, um die vorherrschende Hegemonie in ihrem „Hinterhof“ auszubauen und die anderen Anrainerstaaten politisch unter Druck zu setzen.
Auch im Irak gibt es reichliche Erdgasvorkommen. Aufgrund der nach wie vor instabilen politischen Situation südwestlich des Kaspischen Meeres ließ sich aber auch auf diese Quelle nicht langfristig bauen.
Die europäische Energiesicherheitspolitik konnte also entscheiden zwischen der Cholera und der Pest. Aufgrund der teilweise scheinbar bedingungslosen außenpolitischen Konvergenz zwischen US-amerikanischen und deutschen Interessen, insbesondere bei der Energiepolitik, schien diese Wahl von Anfang an klar.
Nabucco-Fan Fischer befand sich in diesem Konflikt in einem besonderen Dilemma: Konnte er als Steinewerfer der 68er-Generation noch nichts Gutes an den Amerikanern finden, wurde er während seiner Tätigkeit als Außenminister zum glühenden Transatlantiker. Ob ausgerechnet der gewandelte Fischer gegen die Amerikaner antreten würde, bezweifelten Beobachter in Brüssel von Anfang an.
Fischer, der in Umfragen immer vor Schröder lag, zog auf dem harten Parkett der wirtschaftspolitischen Interessen beim Energie-Poker den Kürzeren gegen den Ex-Kanzler aus Hannover zieht. Fischers Engagement für Nabucco wurde zum Kampf gegen Windmühlen. Denn weil es dabei aber nicht um erneuerbare Energien ging, war auch seine einschlägige Expertise als Grüner nur von geringem Nutzen.