Deutschland

Jeder vierte Deutsche arbeitet für einen Niedriglohn

Lesezeit: 2 min
26.07.2013 00:18  Aktualisiert: 26.07.2013 00:18
Deutschland hat den zweitgrößten Niedriglohnsektor in Europa. Nur in Litauen erhalten mehr Menschen einen Niedriglohn. Die Hartz-IV-Reformen haben diese Entwicklung begünstigt. Auch Vollzeitarbeit schützt nicht vor geringen Einkommen. Frauen und Teilzeitbeschäftigte sind sich jedoch besonders stark unter den Geringverdienern vertreten.
Jeder vierte Deutsche arbeitet für einen Niedriglohn

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Seit 1990 hat die Lohnungleichheit in Deutschland stetig zugenommen. Mit den Arbeitsmarktreformen, die in Deutschland in Zusammenhang mit der Agenda 2010 durchgeführt wurden, hat sich dieser Trend verfestigt. Eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) ergab, „für Deutschland eine besonders starke Ungleichheit der Löhne aus abhängiger Erwerbsarbeit, zumindest in der unteren Hälfte der Lohnverteilung.“

Arbeitnehmer werden dem Niedriglohnsektor zugeordnet, wenn ihr Lohn zwei Drittel des durchschnittlichen Nettolohns (Median) unterschreitet und auch hier schneidet Deutschland schlecht ab (mehr hier). Die Ergebnisse beziehen sich auf das Jahr 2010. Die Lohnungleichheit unter Voll- und Teilzeitbeschäftigten in Deutschland ist größer als in fast allen anderen Ländern der EU. Die Harzt-IV-Gesetze hätten diese Beschäftigungsentwicklung „begünstigt“, so die Studie.

Deutschland profitiert derzeit von einem weitgehend flexibilisierten Arbeitsmarkt. Die Kündigungsschutzregeln wurden gelockert und neue Möglichkeiten für befristete Arbeitsverhältnisse wurden geschaffen. Von den flexiblen Beschäftigungsregeln sollten vor allem die Unternehmen profitieren, zumal geringfügige Beschäftigungen von der Sozialversicherunspflicht ausgenommen wurden.

Das Niveau der Beschäftigung ist infolgedessen gestiegen. Allerdings wurden auch tiefgreifende Einschnitte bei den Sozialleistungen vorgenommen, vor allem die Einführung des ALG-II, das auf Sozialhilfe-Niveau angesiedelt ist.

In Deutschland muss fast jeder Vierte von einem Niedriglohn leben (24,1%). Nur in Litauen werden noch mehr Menschen gering entlohnt (27,5%). Auf dem dritten Platz liegt Zypern, gefolgt von Bulgarien, Großbritannien und Polen (siehe Grafik). Die Länder mit den kleinsten Niedriglohnsektoren sind Belgien, Frankreich, Italien sowie die skandinavischen Länder.

In Deutschland sind vor allem Teilzeitbeschäftigte (40,1%) besonders häufig im Niedriglohnbereich tätig. Die Minijobber (11%) sind in Deutschland so stark vertreten wie in keinem anderen Land. Aber auch Vollzeitbeschäftigung garantiert keine hohen Löhne. Im europäischen Vergleich hat Deutschland die sechsthöchste Quote der Vollbeschäftigten (19,5%), die einen geringen Lohn erhalten.

Frauen verdienen im Durchschnitt weniger als Männer und beziehen daher auch häufiger Niedriglöhne. Im europäischen Vergleich arbeiten in Deutschland die meisten Frauen im Niedriglohnsektor (32,4%). Bei den Männern sind es gerade mal 16,7 Prozent. Dieser Kontrast ist in keinem anderen Land so deutlich ausgeprägt.

Auch der Anteil der Geringqualifizierten (44,5%) – Arbeitnehmer ohne abgeschlossene Berufsausbildung oder Studium – ist in Deutschland höher als im Rest Europas. In Deutschland sind es mehr als die Hälfte der befristet Beschäftigten, die Vergütungen unterhalb der Niedriglohnschwelle erhalten.

Etwas mehr als ein Drittel der Niedriglohnarbeiter arbeiten in Kleinbetrieben. Besonders hoch sind die Quoten im Handel, im Hotel- und Gaststättengewerbe sowie im Bereich der personenbezogenen Dienstleistungen. Bessere Verdienstmöglichkeiten gibt es hingegen in größeren Betrieben und in den Branchen des verarbeitenden Gewerbes sowie im Öffentlichen Dienst.

Einerseits sollten die Arbeitsmarktreformen der Agenda 2010 Anreize bieten, eine neue Arbeit aufzunehmen. Sei es durch verbesserte Vermittlung oder durch Weiterbildungsmaßnahmen. Durch sie entwickelte sich aber auch einer der größten Niedriglohnsektoren in Europa, der zwar neue, aber nur wenige stabile Arbeitsverhältnisse geschaffen hat. Dies kritisierte zuletzt auch Belgien (hier).

Wie hoch die Arbeitslosigkeit in Deutschland wirklich ist, ist umstritten. Durch die Einführung der Harzt-IV-Gesetze hat sich auch die Zählung der Arbeitslosigkeit geändert. Menschen im Niedriglohnsektor gelten zwar nicht als arbeitslos, können aber oft nicht von ihrer Arbeit leben (mehr hier).


Mehr zum Thema:  

DWN
Finanzen
Finanzen Legale Tricks: Steuern sparen bei Fonds und ETFs - so geht's!
20.05.2024

Steuern fressen einen großen Teil der Börsengewinne auf. DWN zeigt Ihnen 11 legale Wege, wie Sie Steuern bei Fonds und ETFs sparen und...

DWN
Panorama
Panorama In wenigen Klicks: Verbraucher finden optimale Fernwärme-Tarife auf neuer Plattform
20.05.2024

Eine neue Online-Plattform ermöglicht es Verbrauchern, die Preise für Fernwärme zu vergleichen, was eine bedeutende Rolle in der...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft IEA schlägt Alarm: Rohstoffmangel gefährdet Klimaschutzziele
20.05.2024

Die Internationale Energie-Agentur warnt vor einem drohenden Mangel an kritischen Mineralien für die Energiewende. Mehr Investitionen in...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Fußball-EM 2024: Bierbranche hofft auf Rückenwind
20.05.2024

Weil die Deutschen immer weniger Bier trinken, schrumpft der hiesige Biermarkt und die Brauereien leiden. Eine Trendwende erhofft sich die...

DWN
Unternehmen
Unternehmen „Irreführende Praktiken“: Shein muss deutsche Website anpassen
20.05.2024

Nach einer Abmahnung durch deutsche Verbraucherschützer hat Shein eine Unterlassungserklärung unterzeichnet. Laut vzbv-Chefin Pop machen...

DWN
Technologie
Technologie BYD baut erstes Werk in der EU: Eine Gefahr für Deutschlands Autobauer?
20.05.2024

Bereits seit Dezember 2023 steht fest, dass BYD, Chinas wichtigste und staatlich geförderte Marke für Elektroautos, ein Werk in Szeged in...

DWN
Politik
Politik DWN-Interview mit Ex-Militärberater Jörg Barandat (zweiter Teil): Die Welt ist im Wasserkampf
20.05.2024

Jörg Barandat war unter anderem militärischer Berater im Auswärtigen Amt sowie Dozent für Sicherheitspolitik an der Führungsakademie...

DWN
Politik
Politik DWN-Interview mit Ex-Militärberater Jörg Barandat: „Wasser und Energie sind untrennbar miteinander verbunden.“
19.05.2024

Wasser sollte nicht getrennt von anderen Faktoren wie Energie und Klima betrachtet werden, sagt Jörg Barandat, langjähriger Berater...