Politik

Erdoğan macht ernst: Türkei blockiert Twitter

Die Türkei hat am späten Donnerstagabend den Kurznachrichtendienst Twitter blockiert. Premier Erdoğan sagte, es sei ihm egal, was die internationale Gemeinschaft über ihn denke. Originell: Erdoğan selbst hat 3,4 Millionen Follower auf Twitter.
21.03.2014 03:01
Lesezeit: 2 min

„Für mich sind die sozialen Medien die größte Bedrohung für die Gesellschaft“, sagte der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan vor einigen Wochen im türkischen Fernsehen. Nun macht Erdoğan ernst und hat den Kurznachrichtendienst Twitter in der Türkei blockieren lassen. Bei einer Parteiveranstaltung in Bursa sagte Erdoğan, der Dienst sei mit sofortiger Wirkung abgeschaltet worden, weil er eine Gefahr für die nationale Sicherheit darstelle. Erdoğan sagte einem Bericht der FT zufolge: „Die internationale Gemeinschaft kann sagen, was sie will - mir ist das egal. Sie werden die Macht der türkischen Republik kennenlernen.“ Ein Regierungssprecher sagte am Abend, Twitter hätte abgeschaltet werden müssen, weil das Unternehmen türkische Gerichtsurteile nicht respektiere.

Die Entscheidung der Regierung rührt offenbar daher, dass Erdoğan vor den Kommunalwahlen am 30. März mit weiteren Enthüllung in Korruptionsfragen rechnet. Diese waren allerdings nicht über Twitter, sondern über YouTube veröffentlicht worden. Erdoğan hatte die Authentizität einiger Berichte bestätigt, andere bezeichnete er als Fälschungen.

Die harte Linie ist einerseits nicht überraschend, weil die sozialen Medien während der Gezi Park-Proteste eine wichtige Rolle gespielt hatten.

Allerdings fährt Erdoğan offensichtlich eine Doppelstrategie: Hürriyet berichtete vor kurzem, dass die Regierungspartei AKP die sozialen Medien massiv für die Verbreitung ihrer politischen Botschaften nutzen wolle. 

So sei die AKP gerade dabei, ein rund 6.000 Personen starkes „Team für soziale Medien“ zusammenzustellen. Die Aufgabe dieses Teams wird sein, Nachrichten und Bilder im Sinne der Partei auf Facebook, Twitter, YouTube und Instagram zu verbreiten und Diskussionen auf den Plattformen zu verfolgen, die die AKP betreffen. Das Team, das sich aus jungen und technikaffinen Unterstützern der Partei zusammensetzt, wird geschult und vor allem von Istanbul, Ankara und Izmir aus agieren.

Besonders originell: Erdoğan ist selbst bei Twitter angemeldet und hat rund 3,4 Millionen „Follower“.

Doch während der Gezi Park Proteste im Juni hatte seine Regierung bei den 140 Zeichen langen Wortgefechten auf der Mikroblogging-Plattform meist versagt. Allen voran Melih Gökçek, der Bürgermeister von Ankara, sorgte mit seinen Tweets immer wieder für Kopfschütteln.

Er beschuldigte beispielsweise die BBC-Journalistin Selin Girit des Landesverrats und startete mit dem Hashtag (Schlagwort, mit dem die Tweets versehen werden)

#ingiltereadınaajanlıkyapmaselingirit (Deutsch: Sei kein Spion im Namen Englands, Selin Girit) eine Kampagne gegen die BBC-Journalistin. Laut dem Nachrichtensender CNN stachelte er seine Follower an: „Unser Hashtag ist auf dem zweiten Platz, er muss auf dem ersten Platz landen.“

Für diese Aktion wurde er von der in New York ansässigen Nichtregierungsorganisation Commitee to Protect Journalists (CPJ) schwer gerügt. Die Programmkoordinatorin für den Bereich Europa und zentral Asien, Nina Ognianova, quittierte Melih Gökçeks Twitter-Kampagne mit der Aussage: „Diese haltlosen Anschuldigungen in dieser angespannten Atmosphäre bringen Melih Gökçek und damit auch seine Partei, die AKP, in Verruf. Wir fordern, dass der Bürgermeister seine Kampagne umgehend einstellt und dass die AKP sich von dieser erbärmlichen Kampagne distanziert.“

Zur gleichen Zeit zeigten sich die Regierungskritiker im Umgang mit den Neuen Medien geübter. Bereits Ende Mai, also noch zu Beginn der Proteste, wurden unter den Hashtags #direngeziparkı, #geziparkı und #occupygezi zeitweise 2 Millionen Tweets pro Tag versendet.

Es ist unklar, ob die nun verhängte-Twitter-Blockade nur vorübergehend ist. Die Erdoğan-Gegner dürften vorübergehend jedoch auf andere soziale Medien ausweichen.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Technologie
Technologie Arbeitsmarkt: Top-Berufe, die es vor 20 Jahren noch nicht gab
31.03.2025

Eine Studie von LinkedIn zeigt, wie Künstliche Intelligenz (KI) neue Jobs und Fähigkeiten schafft, Karrieren und Arbeitswelt verändert:...

DWN
Finanzen
Finanzen Commerzbank-Aktie: Kurs knickt nach Orcel-Aussage deutlich ein
31.03.2025

Die Commerzbank-Aktie muss nach einer starken Rallye einen Rückschlag hinnehmen. Unicredit-Chef Andrea Orcel hatte zuvor einen möglichen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft EU vor Herausforderungen: Handelskriege könnten die Wirtschaft belasten – der Ausweg heißt Binnenmarkt
31.03.2025

Die protektionistischen Maßnahmen der USA und mögliche Handelskonflikte belasten die EU-Wirtschaft. Experten wie Mario Draghi fordern...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Betonblock: Lego verklagt Hersteller von Anti-Terror-Betonklötzen
31.03.2025

Lego verklagt das niederländische Unternehmen Betonblock. Die Anti-Terror-Blöcke des Herstellers erinnerten zu sehr an die...

DWN
Technologie
Technologie Neue EU-Vorschriften: Plug-in-Hybriden drohen deutlich höhere CO2-Emissionen
31.03.2025

Mit der Einführung neuer, verschärfter Emissionsmessungen für Plug-in-Hybride (PHEVs) wird die Umweltbilanz dieser Fahrzeuge erheblich...

DWN
Politik
Politik Marine Le Pen wegen Veruntreuung zu Fußfesseln verurteilt - FN-Chef Bardella: "Hinrichtung der französischen Demokratie"
31.03.2025

Marine Le Pen wurde in Paris wegen der mutmaßlichen Scheinbeschäftigung von Mitarbeitern im Europaparlament schuldig gesprochen - das...

DWN
Technologie
Technologie Balkonkraftwerk mit Speicher: Für wen sich die Investition wirklich lohnt
31.03.2025

Balkonkraftwerk mit Speicher: eigenen Strom gewinnen, speichern und so Geld sparen. Doch so einfach ist es leider nicht, zumindest nicht...

DWN
Finanzen
Finanzen US-Börsen: Der Handelskrieg gefährdet die US-Ausnahmestellung
31.03.2025

Da Investitionen nach neuen Möglichkeiten abseits der zuletzt florierenden US-Finanzmärkte suchen, wird an der Wall Street diskutiert, ob...