Finanzen

Problem für Putin: Die Privatschulden der Russen explodieren

Eine stark wachsende Zahl von Russen mit niedrigen Einkommen hat Probleme, aufgenommen Krediten zurück zu zahlen. Dadurch verliert Russlands Präsident Wladimir Putin genau bei jenen Menschen an Zustimmung, die bisher als seine wichtigste Stütze galten.
02.09.2019 09:52
Aktualisiert: 02.09.2019 11:31
Lesezeit: 3 min
Problem für Putin: Die Privatschulden der Russen explodieren
Präsident Putin steht im eigenen Land unter Druck, da vor allem Menschen mit niedrigen Einkommen, die bisher zu seinen größten Unterstützern zählten, immer mehr Zinsen auf ihre Schulden zahlen müssen. (Foto: dpa) Foto: Jens B

Seit fünf Jahren stagnieren in Russland die durchschnittlichen Realeinkommen. Daher hat eine wachsende Zahl von Russen Probleme, aufgenommene Kredite wieder abzuzahlen. Die Zustimmung der Bürger zu Russlands Präsident Wladimir Putin liegt auch aufgrund des stagnierenden Lebensstandards derzeit so tief wie selten in seiner langjährigen Amtszeit. Zudem hat das Schuldenproblem die Sorge um eine erneute Rezession im Land ausgelöst.

"Ich habe gesehen, wie Väter und Söhne wegen Krediten nicht mehr miteinander reden, wie Paare geschieden werden - einige Leute haben sich deswegen sogar umgebracht", zitiert die Financial Times einen in Kalmykien tätigen Insolvenzverwalter. In der autonomen Republik im südlichen Teil des europäischen Russlands hat jeder Bewohner Schulden von durchschnittlich 83 Prozent seines Monatsgehalts. Das ist der höchste Wert unter allen russischen Provinzen.

Nach Angaben der russischen Zentralbank ist das Volumen der Verbraucherkredite im vergangenen Jahr landesweit um 25 Prozent auf rund 16 Milliarden Rubel angestiegen. Das ist fast doppelt so viel wie noch im Jahr 2014, bevor der Westen Sanktionen gegen Russland verhängte und ein globaler Einbruch der Rohstoffpreise das Land in die Rezession stürzte.

Die Hälfte der Verbraucherkredite ist auf einen Boom unbesicherter Kredite zurückzuführen, die typischerweise mit Zinssätzen von 20 bis 25 Prozent verzinst werden. Das Wirtschaftswachstum, das in diesem Jahr bisher auf 0,9 Prozent gesunken ist, wäre nach Angaben der russischen Zentralbank wahrscheinlich Null gewesen, wenn es nicht den deutlichen Anstieg der Kredite gegeben hätte.

Als Reaktion auf diese Zahlen sagte Wirtschaftsminister Maxim Oreshkin kürzlich, dass Russland im Jahr 2021 wahrscheinlich in eine weitere Rezession eintreten wird, wenn es die "Blase" nicht in Angriff nehmen würde. Die Zentralbank hat im vergangenen Jahr schon zweimal die Risikogewichte für unbesicherte Kredite erhöht, aber laut Zentralbankchefin Elvira Nabiullina ist der Kreditmarkt nicht von einer Überhitzung bedroht.

Die Zentralbank sagte der Financial Times, dass sich die Wachstumsraten der Schulden gegenüber dem Vorjahr in den vergangenen Monaten "stabilisiert" hätten, allerdings "auf hohem Niveau". Die für Oktober geplanten neuen Regeln werden die Banken zwingen, die bestehende Verschuldung der Kunden vor der Vergabe neuer Kredite zu messen und dann entweder die Vergabe von Konsumentenkrediten zu zügeln oder neues Kapital aufzunehmen.

Putin, der bereits seit 20 Jahren an der Spitze Russlands steht, sagte kürzlich dem Chef der staatlichen VTB Bank Andrei Kostin, dass die Banken nicht übertreiben und "die Menschen nicht in eine schwierige Lage bringen sollten". Politisch nicht engagierte Russen mit geringen Einkommen, die lange als Putins wichtigste Stütze galten, sind unzufrieden mit ihrem stagnierenden Lebensstandard und mit der Anhebung des Rentenalters.

"Immer mehr Menschen müssen Kredite aufnehmen, um ihren Lebensstil aufrechtzuerhalten und um grundlegende Ausgaben etwa für Bildung und die Gesundheitskosten zu decken", zitiert die Financial Times Chris Weafer, Partner bei der Moskauer Beratungsgesellschaft Macro Advisory. Das Problem seien die "hohen zweistelligen Zinssätze". Zudem würden Kredite mit hohen Zinssätzen aufgenommen, um alte Schulden abzuzahlen. Dies sei eine "tickende Zeitbombe, die den Kreml beunruhigt", da sie zu Protesten führen könnten.

Ökonomen meinen allerdings, dass das schnelle Kreditwachstum kaum das Risiko berge, eine breitere Bankenkrise wie im Jahr 2014 auszulösen. Der Konsum sei weitgehend im Einklang mit der Wirtschaftsleistung gestiegen, und die Einkommen dürften sich nicht weiter verschlechtern. Zudem bedeutet die Umstellung der Zentralbank auf einen frei schwankenden Rubel, dass die Banken weniger stark von Zinsanstiegen betroffen sind, sagt beispielsweise Natalia Orlova, Chefökonomin der Alfa-Bank. Und die Kreditqualität liege auf Rekordniveau. Die durchschnittliche monatliche Hypothekenzahlung bei der Sberbank betrage demnach das Vierfache der vorgeschriebenen Einzahlungen und Konsumentenkredite würden mit dem 2,3-fachen des geforderten Tempos zurückgezahlt.

Zwar ist die Gesamtverschuldung der russischen Haushalte im internationalen Vergleich niedrig, sie macht nur 17,5 Prozent des BIP aus. Doch sie ist zuletzt stark gestiegen, und sie ist ein ernstes Problem für Russen mit niedrigem Einkommen. Ein Drittel der Russen hat Probleme, die monatlichen Zahlungen zu bezahlen, so eine Umfrage des Kreml-Umfrageinstituts Vtsiom.

Ungefähr 7 Millionen Menschen, die weniger als den Medianlohn von 50.000 Rubel (680 Euro) pro Monat verdienen, geben mehr als die Hälfte ihres Einkommens für die Abzahlung von Krediten aus, so die National Association of Professional Collection Agencies.

Seit Russland ein neues Privatkonkursgesetz verabschiedet hat, ist die Zahl der Insolvenzanträge von 20.000 im Jahr 2016 auf 44.000 im Jahr 2018 gestiegen, so das staatliche Register Fedresurs. Im laufenden Jahr haben schon fast 29.000 Russen Insolvenz angemeldet - 52 Prozent mehr als im Vorjahr.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen MTS Money Transfer System – Sicherheit beginnt mit Eigentum.

In Zeiten wachsender Unsicherheit und wirtschaftlicher Instabilität werden glaubwürdige Werte wieder zum entscheidenden Erfolgsfaktor....

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Zoll-Streit eskaliert: Trump legt Gespräche mit Kanada auf Eis
24.10.2025

Wegen einer kanadischen Werbekampagne gegen US-Zölle hat Präsident Donald Trump die Handelsgespräche mit Kanada abrupt gestoppt. Noch...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Chip-Lieferkrise belastet Deutschland – Reiche sieht weiter ungelösten Streit um Nexperia
24.10.2025

Der Streit um den Chip-Hersteller Nexperia und die anhaltenden Lieferprobleme, die insbesondere die deutsche Autoindustrie belasten, ist...

DWN
Politik
Politik Schlag gegen Chinas Rohstoffmacht: USA und Australien schmieden Allianz für Seltene Erden
24.10.2025

Die Vereinigten Staaten und Australien haben ein strategisches Abkommen über die Förderung und Verarbeitung Seltener Erden geschlossen....

DWN
Unternehmen
Unternehmen Bestbezahlter VW-Manager: Herbert Diess verlässt VW endgültig
24.10.2025

Er steht schon seit 2022 nicht mehr an der Konzernspitze, war aber bis zuletzt weiter der bestbezahlte VW-Manager: Herbert Diess kassierte...

DWN
Politik
Politik Milliardengeschäfte in Sicht: Geheime Profiteure der Aufrüstung
24.10.2025

Weltweit rüsten Staaten auf und für Europa Rüstungsindustrie eröffnen sich neue Geschäftsmöglichkeiten in Milliardenhöhe. Ein...

DWN
Finanzen
Finanzen Goldpreis fällt stark: Erinnerungen an 2011: „Kaufen und halten“ funktioniert nicht
23.10.2025

Ein Kurssturz beendet die Rekordrally des Edelmetalls und erinnert Anleger an bittere Verluste vor 13 Jahren.

DWN
Finanzen
Finanzen Gold im Portfolio: Experten diskutieren 15 bis 30 Prozent Anteil
23.10.2025

Gold ist wieder im Fokus der Investoren, doch viele halten bisher nur geringe Mengen. Eine Analyse historischer Daten zeigt, dass ein...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Gewinneinbruch bei Kühne+Nagel: bis zu 1.500 Stellen weg
23.10.2025

Handelskrieg, hohe Zölle und der starke Franken setzen Kühne+Nagel zu: Der Umsatz bricht um sieben Prozent ein – und jetzt droht vielen...