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Das sind von der Leyens designierte EU-Kommissare

Lesezeit: 5 min
11.09.2019 13:07  Aktualisiert: 11.09.2019 13:16
Nach Wunsch von Ursula von der Leyen sollen der Ungarn-Kritiker Timmermanns und die Dänin Vestager ihre Stellvertreter werden. Vestager hatte zuletzt als Wettbewerbskommissarin Bußgelder gegen Google und Apple verhängt.
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Foto: Virginia Mayo

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Der Niederländer Frans Timmermanns soll geschäftsführender Vize-Kommissionchef werden. Nach Angaben des englischsprachigen Diensts von Reuters beherrscht er sechs europäische Sprachen fließend. Er ist Mitglied der niederländischen Arbeiterpartei und diente auch als niederländischer Außenminister.

Timmermans spielte eine herausragende Rolle bei der Kritik an der polnischen Regierung, die die Justiz politisch gefügig machen will. Er kritisiert auch Ungarn wegen der Missachtung europäischer Abkommen zur Aufnahme syrischer Flüchtlinge.

Die Dänin Margrethe Vestager soll zweite geschäftsführende Vize-Kommissionchefin und Verantwortliche für den Bereich der EU-Digitalpolitik werden. Die 51-jährige Dänin hatte die vergangenen fünf Jahre als EU-Wettbewerbschefin gearbeitet. Dabei verhängte sie Bußgelder gegen Technologie-Giganten wie Apple und Google. Vestager war früher Vorsitzende der sozialliberalen Partei Dänemarks und diente als Wirtschafts- und Innenministerin Dänemarks.

EU-Binnenmarktkommissarin wird Sylvie Goulard. Die Französin spricht fließend Englisch, Deutsch und Italienisch. Von 2009 bis 2017 spielte sie als Mitglied des Europäischen Parlaments eine Schlüsselrolle in der Finanz- und Bankengesetzgebung der EU. Sie arbeitete auch in einem Anwaltsteam des französischen Außenministeriums, das sich 1989 mit der deutschen Wiedervereinigung befasste, und diente später als politische Beraterin des ehemaligen Kommissionspräsidenten Romano Prodi. Der französische Präsident Emmanuel Macron hat sie 2017 als Verteidigungsminister angeheuert. Wenige Monate nach ihrer Ernennung trat sie zurück. Seit Januar 2018 war sie Vize-Gouverneurin der französischen Notenbank.

EU-Wirtschaftskommissar soll der Italiener Paolo Gentiloni werden. Er spricht fließend Englisch, Französisch und Deutsch und ist Mitglied der Mitte-Links-Demokratischen Partei (PD) Italiens. Seit jeher engagiert er sich für die EU-Integration. Der 64-jährige Gentiloni stieg 2016 vom Außenminister zum italienischen Premierminister auf und war damit der Nachfolger von Matteo Renzi. Gentiloni stammt aus einer aristokratischen Familie, begann seine politische Karriere jedoch in extrem linken Gruppen, bevor er sich dem Journalismus zuwandte, eine Umweltzeitung leitete und in den 1990er Jahren der Sprecher des Bürgermeisters von Rom wurde.

EU-Handelskommissar soll der Ire Phil Hogan werden. Zuvor diente er als EU-Landwirtschaftskommissar. Er war an der Aushandlung eines Offenmarktabkommens zwischen der EU und dem Mercosur-Block südamerikanischer Länder beteiligt. In Irland ist er auch als “Big Phil” bekannt, weil es ihm gelingt, politische Allianzen zu schmieden.

EU-Budgetkommissar wird der Österreicher Johannes Hahn, EU-Justizkommissar wird Didier Reynders (Belgien), EU-Gesundheitskommissarin wird Stella Kyriakides (Zypern), EU-Energiekommissar wird Kadri Simson (Estland), Kommissarin für internationale Partnerschaften soll Jutta Urpilainen (Finnland) werden, EU-Erweiterungskommissar wird Laszlo Trocsanyi (Ungarn), EU-Umweltkommissar wird Virginijus Sinkievicius (Litauen), EU-Kommisar für Arbeit wird Nicolas Schmit (Luxemburg), EU-Komissarin für Gleichstellung wird Helena Dalli (Malta), EU-Landwirtschaftskommissar wird Janusz Wojciechowski (Polen), EU-Kommissar für das Transportwesen wird Rovana Plumb (Rumänien), EU-Kommissar für den Bereich Krisenmanagement wird Janez Lenarcic (Slowenien) und EU-Kommissarin für die Innenpolitik wird Ylva Johansson (Schweden).

Die EU-Vize-Kommissionspräsidenten haben ebenfalls ihre Schwerpunktbereiche. Für den Bereich Außenpolitik wurde Josep Borrell (Spanien), für den Bereich Werte und Transparent Vera Jourova (Tschechische Republik), für den Bereich interinstitutionelle Beziehungen Maros Sefcovic (Slowakei), für den Bereich Finanzdienstleistungen Valdis Dombrovskis (Lettland), für den Bereich Europäische Lebensart Margaritis Schinas (Griechenland), für den Bereich Demokratie und Demographie Dubravka Suica (Kroatien) zuständig sein.

Pressestimmen zur neuen EU-Kommission

Die konservative polnische Zeitung “Rzeczpospolita” schreibt zur künftigen EU-Kommission mit ihrer Präsidentin Ursula von der Leyen:

“Leider kann man in der neuen Kommission diejenigen an den Fingern einer Hand abzählen, die das Ansehen in der öffentlichen Meinung steigern würden oder überhaupt der Öffentlichkeit bekannt sind. Das sind der EU-Chefdiplomat Josep Borrell, die für ihre Bestimmtheit im Widerstand gegen amerikanische Konzerne bekannte Dänin Margrethe Vestager und der frühere italienische Regierungschef Paolo Gentiloni.

Die Mehrheit der anderen Kommissare hat ihren Posten als Resultat interner Spiele der EU bekommen. Es sind Figuren aus der zweiten oder dritten Liga der Europapolitiker (...) Man wird den Gedanken kaum los, dass Angela Merkel und Emmanuel Macron, die einen entscheidenden Einfluss auf die Auswahl von der Leyens hatten, in der europäischen Exekutive wenig mehr sehen als ein funktionierendes Sekretariat für diejenigen, die in der EU die wirkliche Macht haben: Berlin, Paris und die anderen Hauptstädte großer Mitgliedsstaaten.”

Zur Benennung des ungarischen Ex-Justizministers Laszlo Trocsanyi als EU-Kommissar für die Erweiterung der Union schreibt die regierungsnahe Budapester Tageszeitung “Magyar Nemzet”:

“Das Amt, das der ungarische EU-Kommissar erhalten soll, ist unserem Land auf den Leib geschnitten. (...) Die Vorbereitung der Westbalkan-Länder - darunter ist Serbien, wo die Vojvodina-Ungarn zu Hause sind - auf die EU-Mitgliedschaft sowie die Pflege der Beziehungen zur Ukraine, mit Blick auf die Ungarn in der Karpato-Ukraine, stellen (für Ungarn) grundlegende nationalpolitische Interessen dar. Es ist ein Aufgabengebiet, in welchem die ansonsten häufig nicht auf der selben Wellenlänge befindlichen Ansichten Budapests und Brüssels miteinander identisch sind.”

Zum Wunschteam der designierten EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen meint die belgische Zeitung “De Tijd”:

“Nicht unwichtig ist ebenfalls, dass die neue EU-Kommission eine Generaldirektion für Verteidigungsindustrie und Raumfahrt bekommt. Angesichts eines wachsenden Misstrauens gegenüber den USA, die bislang noch für unsere Sicherheit bezahlen und einstehen, ist auch das keine schlechte Entscheidung.

Wird diese Kommission Fehler machen? Das ist so gut wie sicher. Wird sie perfekt sein? Keineswegs. Ist es lächerlich, künftig einen Kommissar für den Schutz des "European Way of Life" zu haben? Das könnte es wohl sein. Aber wenn man die Frage stellt, ob diese Mannschaft in der Lage sein sollte, die Europäische Union in ihren täglichen Arbeit gut zu führen und ihr ein Gesicht zu geben, dann lautet die Antwort ja.”

Die NZZ meint: “Als Schweizer hat man Verständnis für das Ausbalancieren von unterschiedlichen Interessen. Doch von der Leyens Personalentscheide zeugen vom Willen, es allen recht zu machen. Männer und Frauen, Nord und Süd, West und Ost, Christlichdemokraten, Sozialdemokraten, Liberale und Grüne, Europaparlament und Mitgliedstaaten. Das kann man schwerlich einen Neustart nennen. Es ist wie bei einem leckgeschlagenen Schiff: Auch eine noch so talentierte Mannschaft wird es nicht auf Hochtouren bringen können, wenn man das Loch nicht stopft – oder im Fall der EU die strukturellen Mängel nicht korrigiert. Insofern sollte man nicht zu viel von der neuen EU-Kommission erwarten, im Guten wie im Schlechten. Denn in der EU haben die Mitgliedstaaten das letzte Wort. Sie müssen Europa letztlich vorwärts bringen.”

Zur Ernennung des italienischen Ex-Ministerpräsidenten Paolo Gentiloni als EU-Wirtschaftskommissar schreibt die römische Zeitung “La Repubblica”:

“Italien hat für Paolo Gentiloni das Wirtschaftsressort in der EU bekommen. Ein Ziel, für das er sich entschieden eingesetzt hat. Aber ist es ein Sieg? Die Antwort hängt von den Beweggründen des Ex-Ministerpräsidenten und der EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen ab. Beweggründe, die nur in Teilen übereinstimmen. Gentiloni (...) hat jenen Posten gewählt, der die Haushaltspolitik der Mitgliedstaaten kontrolliert. Seit vielen Jahren bedeutet das, den italienischen Knoten zu lösen und den Druck der Regierung in Rom für Mehrausgaben im Zaum zu halten. Gentiloni wäre naiv, zu glauben, mit dem Posten die Ausgabenlust der italienischen Politik zu unterstützen. Er wollte den Job, weil alleine die Tatsache, ihn zu bekommen, der Welt zeigt, dass Europa und die Märkte wieder Vertrauen in Italien haben.”

Die Zeitung La Stampa schreibt: “Die Verteilung der Ressorts hat in einigen Hauptstädten einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen. Sicher nicht in Rom. Wie die designierte EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen (dem italienischen Kandidaten) Paolo Gentiloni selbst in einem persönlichen Gespräch versichert hat, bekommt Italien das, was es wollte: Das Wirtschaftsressort. (...) Bis zuletzt haben einige Länder versucht, die Ernennung Gentilonis für dieses Ressort zu verhindern. Die Nordländer sehen ein Ungleichgewicht zugunsten des Südens in den wichtigen Bereichen der Eurozone. Aber die politische Einstellung gegenüber Italien zusammen mit dem Profil des Kandidaten haben es ermöglicht, die Widerstände zu brechen. Gentiloni wird der erste Italiener sein, dem unter anderem die Kontrolle der Staatsfinanzen unterliegt.”

Die Frankfurter Rundschau schreibt: “Vier starke Persönlichkeiten werden die Spitze der neuen EU-Kommission bilden. Allen voran Ursula von der Leyen. Das Personalpaket, das die künftige Präsidentin der EU-Kommission präsentiert hat, zeigt: Ursula von der Leyen hat begriffen, dass sich die Zeiten geändert haben. An die Spitze der EU hätten schon längst mehr Frauen gehört. Eine breitere Leitungsebene als bisher kann angesichts der komplexen Verhältnisse in Europa und der Welt nicht schaden. Allerdings: Von der Leyen, Vestager, Timmermans, Dombrovskis - sie müssen es in den nächsten fünf Jahren schaffen, die EU so zu reformieren, dass die sozialen Gegensätze schwinden. Der Kampf gegen den Klimawandel erfordert alle Kraft. Zugleich muss sich Europa dem wirtschaftlichen und politischen Druck der USA von der einen Seite wie Chinas von der anderen Seite erwehren. Dabei ist es unerheblich, wer Präsident in Washington ist. Auch ein Demokrat im Weißen Haus wird die EU in erster Linie als wirtschaftlichen Konkurrenten wahrnehmen.”

Die lettische Zeitung “Latvijas Avize” meint: “In Anbetracht der angespannten Beziehung zwischen dem Europäischen Parlament und dem Europäischen Rat wird die im Oktober geplante Billigung des Kommissarskollegiums ein bitterer Test werden. Nicht nur, weil bei dessen Besetzung die von von der Leyen angestrebte Geschlechtergerechtigkeit, sondern auch eine ausgewogene Vertretung der Regionen berücksichtigt werden muss. Und dies ist bislang bei der Aufteilung der Führungspositionen in der EU noch nicht geschehen.”


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