Finanzen

Analyst: Weltweite Handels- und Schuldenprobleme werden Europa besonders stark treffen

Darren Williams, Director Global Economic Research beim Asset Manager AllianceBernstein (AB), steht den längerfristigen Aussichten der europäischen Konjunktur wenig optimistisch gegenüber - aus seiner Sicht hat die jüngste Marktentwicklung gleich zwei Haken.
12.09.2019 11:58
Aktualisiert: 12.09.2019 12:05
Lesezeit: 2 min

Nach Ansicht von Williams haben die globalen Märkte vordergründig wegen der Anzeichen für noch mehr Impulse der Geldpolitik und aufgrund der Waffenruhe im Handelskrieg neuen Mut geschöpft. Billiges Geld könnte die Anlagekurse kurzfristig steigen lassen, für die längerfristigen Aussichten ist der Experte von AllianceBernstein jedoch nicht so optimistisch. Denn die jüngste Marktentwicklung gibt unter einigen Aspekten Anlass zur Sorge.

Zunächst einmal gehen die Experten von AB davon aus, dass die Waffenruhe im Handelskrieg trügerisch ist. Falls der Handelskrieg lediglich den Beginn eines breiteren, mehrjährigen Konflikts zwischen den USA und China darstellt, wird es nicht lange dauern, bis sich die Lage wieder verschlechtert. Dann wäre es möglich, dass sich der Handelskrieg recht bald auf andere Länder ausweitet – Zölle auf europäische Autos nicht ausgeschlossen.

Hinzu kommt nach Williams, dass die Zentralbanken zwar bereit sind, weitere positive Impulse zu geben, jedoch habe man Bedenken hinsichtlich der Wirksamkeit der Maßnahmen. Sicher, die Antworten auf die Gründe für die kränkelnde Weltwirtschaft können nicht noch tiefere Zinssätze und eine weitere quantitative Lockerung sein. Selbst wenn weitere Impulse helfen sollten, das Wachstum zu stabilisieren, wird dies wahrscheinlich zur Aufnahme von noch mehr Schulden ermuntern. Dies würde die Zinssensitivität erhöhen und den Gleichgewichtszinssatz noch weiter drücken. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) hat dies als Schuldenfalle bezeichnet – AllianceBernstein meint: zu Recht.

Williams schreibt: „Keine Region sollte uns größere Sorgen bereiten als Europa. Nicht nur weil die Länder des Euroraums stärker vom internationalen Handel abhängig sind als die USA und China, sondern auch weil sie auf politischer Ebene viel weniger flexibel agieren können. Wenn sich in der Weltwirtschaft erste Abwärtsrisiken abzeichnen, brauchen Exportländer politische Flexibilität.“

Indizien dafür liefert ein Blick auf die Handelsbilanzüberschüsse der europäischen Mitgliedsstaaten – allen voran die Daten Deutschlands. Hierzulande wurde im Jahr 2018 unter diesem Aspekt laut statista.com ein Plus von 232,8 Mrd. Euro erwirtschaftet, was die Anfälligkeit der heimischen Konjunktur bei einem weiteren, sich möglicherweise verschärfenden Handelskonflikten belegt. Darüber hinaus wird es auch weniger beachtete Staaten wie die Niederlande (Überschuss 2018: 65,7 Mrd. Euro) oder Irland (Überschuss 2018: 50 Mrd. Euro) treffen.

Beunruhigend sei dabei, dass der Mangel an Flexibilität im Euroraum sowohl die Geld- als auch die Fiskalpolitik betrifft. Die Europäische Zentralbank (EZB) habe ihre Absicht signalisiert, neue Impulse zu setzen, aber da die Zinsen negativ sind und ihre Bilanz bereits aufgebläht ist, verbleiben nur wenige geldpolitische Pfeile im Köcher. Die jüngsten Bitten von EZB-Präsident Draghi um mehr Unterstützung durch die Finanzpolitik deuten darauf hin, dass die EZB diese Bedenken teilen könnte. Der fiskalpolitische Handlungsspielraum wird durch die Haushaltsvorschriften im Euroraum, die schlechte Ausgangslage in vielen Ländern und Deutschlands Zurückhaltung, die eigenen fiskalpolitischen Möglichkeiten auszuschöpfen, massiv eingeschränkt.

In dieser schwierigen Lage wird Christine Lagarde im November 2019 neue EZB-Präsidentin werden. Alliance Bernstein hält Lagarde für eine gute Wahl: Sie hat das Format und das Kommunikationsgeschick, die für diese Position nötig sind, und dürfte zudem den breiteren politischen Kontext, in dem die EZB tätig ist, zu schätzen wissen. Doch sie wird das Ruder in einer schwierigen Zeit übernehmen.

Die britische Fondsgesellschaft geht fest davon aus, dass die EZB die Geldpolitik weiter lockern wird, was genügen sollte, um die Märkte zu beruhigen, falls sich die Konjunktur global, wie erwartet, nur leicht abschwächt. Doch das wird nicht ausreichen, um das Wachstum und die Inflation in der Region anzukurbeln, insbesondere dann nicht, wenn der Abschwung heftiger ausfallen sollte. In diesem Fall würden die Märkte rasch des Kaisers neue Kleider durchschauen und den eklatanten Mangel an politischen Optionen erkennen.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Politik
Politik Rutte warnt in Berlin: Russland sieht Europa als nächstes Ziel
11.12.2025

Bundeskanzler Merz und Nato-Generalsekretär Rutte haben in Berlin Alarm geschlagen. Russland ziele nicht nur auf die Ukraine, sondern...

DWN
Finanzen
Finanzen Münchener Rück-Aktie: Neue Strategie setzt deutliche Gewinneffekte frei
11.12.2025

Die Münchener Rück-Aktie gewinnt an Tempo – und das aus gutem Grund. Die neue Strategie Ambition 2030 verspricht höhere Gewinne,...

DWN
Politik
Politik Analyse: Putin und Trump spielen im selben Team gegen Europa
11.12.2025

Putin und Trump sprechen plötzlich dieselbe Sprache. Europas Zukunft steht auf dem Spiel, während Washington und Moskau ein gemeinsames...

DWN
Technologie
Technologie Halbleiter-Förderung: Dresden und Erfurt erhalten grünes Licht
11.12.2025

Europa hängt bei Chips weiter an Asien – nun greift die EU zu einem Milliardenhebel. Deutschland darf zwei neue Werke in Dresden und...

DWN
Finanzen
Finanzen EZB erhöht Druck: Vereinfachte Regeln für Europas Banken
11.12.2025

Die EZB drängt auf einfachere EU-Bankenvorschriften und will kleinere Institute entlasten. Doch wie weit darf eine Reform gehen, ohne...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Ifo-Institut korrigiert Wirtschaftsprognose: Deutschlands Aufschwung bleibt schwach
11.12.2025

Die neue Wirtschaftsprognose des Ifo-Instituts dämpft Hoffnungen auf einen kräftigen Aufschwung. Trotz Milliardeninvestitionen und...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Klimarisiken: Unternehmen gefährden ihre Umsätze durch schwaches Risikomanagement
11.12.2025

Unternehmen geraten weltweit unter Druck, ihre Klimarisiken präziser zu bewerten und belastbare Strategien für den Übergang in eine...

DWN
Politik
Politik Trump warnt die Ukraine und verspottet Europa. „Am Ende gewinnt der Stärkere“
11.12.2025

US-Präsident Donald Trump erhöht den Druck auf die Ukraine und attackiert gleichzeitig europäische Staatschefs. Seine Aussagen im...