Die SPD hat in der von ihr seit Jahrzehnten dominierten bayerischen Landeshauptstadt München einen erheblichen Rückschlag hinnehmen müssen: Ihr Fraktionschef im Stadtrat, Alexander Reissl, erklärte am Montag mit sofortiger Wirkung seinen Übertritt in die CSU-Stadtratsfraktion. Damit verlieren die Münchner Sozialdemokraten ein halbes Jahr vor der bayerischen Kommunalwahl einen ihrer führenden Köpfe.
Reissl verband seinen überraschenden Schritt mit grundsätzlicher Kritik an der Bundes-SPD. Es müsse schon einiges zusammen kommen, wenn jemand nach so langer Zeit einen solchen Schritt mache, sagte der seit 1996 im Stadtrat sitzende Kommunalpolitiker. Doch seiner Meinung nach erlebe die SPD aus eigener Schuld gerade ihren Niedergang. Die SPD habe im Dauerstreit ihr Profil verloren. "Wenn eine Partei kein Profil mehr hat, da muss man sich nicht wundern, wenn sie nicht gewählt wird."
Reissl wechselt nun als parteiloses Mitglied zur CSU, berichtet die dpa. Sein Brief zum Parteiaustritt nach gut 45 Jahren sei bereits in der Post, sagte der 61-Jährige am Montag.
Er begründete seine Entscheidung unter anderem mit Frust über den Niedergang der Sozialdemokraten, auch bundesweit. Die Partei werde zunehmend als dissonant wahrgenommen. Auch persönliche Verletzungen auf lokaler Ebene hätten eine Rolle gespielt. «Ich will mir vor allem nicht von Menschen derselben Generation erklären lassen, dass ich derjenige bin, der der Verjüngung weichen solle», sagte Reissl. Am Morgen hatte er unter anderem den Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) informiert.
Mit Reissl bekomme die CSU-Fraktion eines der profiliertesten und kenntnisreichsten Mitglieder des Stadtrats, sagte der CSU-Fraktionsvorsitzende Manuel Pretzl, der auch zweiter Bürgermeister ist. Früher sei so ein Wechsel nicht vorstellbar gewesen. In den vergangenen zwei Jahren habe sich aber das Koordinatensystem in Teilen des Rathauses dramatisch verschoben. Ähnlich äußerte sich die OB-Spitzenkandidatin Kristina Frank. Der frühere Kultusminister und jetzige CSU-Bezirksvorsitzende Ludwig Spaenle versprach Reissl bei den Kommunalwahlen am 15. März 2020 einen aussichtsreichen Listenplatz bei der CSU. Seine Parteilosigkeit respektiere man.
Reissl war in München vor allem mit dem Vorgehen der Münchner SPD bei der Wohnungs- und der Verkehrspolitik unzufrieden. In der letzten Zeit sei ihm das Verständnis für die eigene Partei zunehmend abhanden gekommen. Er habe vor allem aus kommunalpolitischer Sicht entschieden. Die Kommunalpolitik sei von allen politischen Ebenen am meisten durch Pragmatismus geprägt.
Der Sparkassen-Angestellte ist seit 1996 ehrenamtlich im Stadtrat und sitzt unter anderem im Aufsichtsrat der Stadtwerke München und des Städtischen Klinikums.