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Klimawandel und Atomenergie: Der Zusammenstoß zweier Urängste hat in Deutschland irrationale Folgen

Lesezeit: 6 min
25.10.2019 13:43  Aktualisiert: 25.10.2019 14:06
Zwei Ängste der Deutschen stoßen aufeinander: Die Angst vor dem Klimawandel und die Angst vor einem Unfall in einem Atomkraftwerk. Zur Absicherung der erneuerbaren Energien wird nun Strom aus Braunkohle produziert, obwohl diese Anlagen die größten CO2-Sünder sind. Die Atomkraftwerke, welche in Deutschland noch nie einen Unfall hatten, werden geschlossen.
Klimawandel und Atomenergie: Der Zusammenstoß zweier Urängste hat in Deutschland irrationale Folgen

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Weltweit gilt derzeit der Klimawandel als die entscheidende Gefahr. Dominant ist die unrealistische Überzeugung, dass allein eine Reduktion der vom Menschen verursachten CO2-Belastung das Problem lösen könnte. Diese Korrektur kann wohl nur ein Element in einem Maßnahmen-Paket bilden. Zudem soll das Ziel vorrangig damit erreicht werden, dass der Ausstoß von C02 durch Abgaben verteuert wird. Ob in der Folge der CO2-Ausstoß sinkt, ist äußerst fraglich. Freuen werden sich vor allem die Finanzminister.

Deutschland, Österreich und Luxemburg weltweit allein gegen Atomenergie

Die Angst vor den Folgen des Klimawandels drängt in den meisten Ländern die andere, große Angst zurück ­- die Angst vor der Atomenergie. Weltweit werden derzeit zahlreiche neue Atomkraftwerke gebaut, die den Vorteil haben, kein CO2 zu produzieren. Nur in Deutschland, Österreich und Luxemburg werden Atomkraftwerke strikte abgelehnt, weil sie nicht ausreichend sicher und auch nicht nachhaltig wären. In diesen drei Ländern will man eine CO2-freie Stromproduktion ohne Atomenergie und dafür sollen Wind- und Sonnenanlagen sorgen. In Österreich kann man da leichter auftrumpfen, da viele Wasserkraftwerke zur Verfügung stehen. Wenn in Deutschland keine Sonne scheint und kein Wind weht, müssen die Braunkohlenwerke einspringen, die zu den größten Umwelt-Verschmutzern gehören.

EU: Die Klimapolitik zwei Jahre auf der langen Bank

In dieser chaotischen Situation ist eine zielführende Klima-, Umwelt- und Energiestrategie schwer zu formulieren. Vor allem, weil sich die Politik bemüht, immer die gerade besonders stark ausgeprägten Ängste zu beruhigen. Dies mündet dann in leeren Erklärungen mit unrealistischen Ankündigungen. Vor wenigen Tagen wurde auf EU-Ebene versucht zu definieren, welche Investitionen klimafreundlich und nachhaltig wären. Man bemühte einen Ausdruck aus der Naturwissenschaft und wollte eine „Taxonomie“ formulieren, das Wort „Katalog“ war wohl zu schlicht. Man konnte sich aber nicht einigen und verschob das Thema gleich um zwei Jahre.

Die Finanzmarktaufsicht betreibt einsam Klimapolitik

Als Retter des Klimas profiliert sich derzeit origineller Weise die Europäische Finanzmarktaufsicht und legt den Versicherungen und anderen großen Investoren eindringlich nahe, keine Firmen zu finanzieren, die irgendetwas mit Kohle zu tun haben, und möglichst auch kein Geld in die Atomenergie zu lenken. Am Rande angemerkt:

  • Der Anteil der Kohle an der Weltenergie-Versorgung beträgt immer noch 38 Prozent, in Deutschland sind es 30 Prozent.
  • Der Anteil der Kernkraft am globalen Verbrauch liegt bei 10 Prozent, in den USA sind es 20 und in Frankreich sogar 72 Prozent.
  • Man will also einer Industrie den Geldhahn abdrehen, die Milliarden Privathaushalte und Betriebe mit Strom versorgt.

Als Lösung aller einschlägigen Probleme wird, ursprünglich getrieben von den Grünbewegungen, mittlerweile umfassend die Forcierung der so genannten alternativen Energien angepriesen. Deutschland hat sich als Vorreiter positioniert und betont die Stromerzeugung aus Windanlagen und aus Sonnenkollektoren. Auch Biomasse spielt eine wichtige Rolle. Möglichkeiten, die Wasserkraft auszubauen, sind in Deutschland beschränkt. Allerdings hat sich von allem Anfang dieser Politik gezeigt, dass Energie aus Wind und Sonne nur mit Förderungen produziert werden kann.

Deutschland: Jährlich 33 Milliarden für Wind und Sonne. Immer noch zu wenig?

Im Mittelpunkt steht die Belastung der Stromkonsumenten mit der EEG-Abgabe, EEG steht für das Erneuerbare Energien-Gesetz. Wind- und Solarenergie sowie Energie aus Biomasse sollten ab 2001 eine Art Starthilfe bekommen und nach einer Übergangsperiode gewinnbringend arbeiten.

  • Im ersten Jahr der Aktion, 2001, belief sich die Förderung auf bescheidene 883 Mio. Euro.
  • Es stellte sich aber heraus, dass diese Bereiche einem Fass ohne Boden gleichen. Jahr für Jahr musste die EEG-Abgabe mehr Geld bringen.
  • Heuer, 2019, ist man bei eindrucksvollen 33 Milliarden Euro angelangt.

Und auch diese Mittel genügen nicht. Die aktuellen Berichte der Solar-Firmen sind zwar etwas positiver als in vergangenen Jahren, als die Sparte vollends in der Krise war, doch der Ruf nach mehr Geld wird nicht leiser. Die deutsche Bundesregierung hat vor wenigen Tagen eine Verdoppelung der Photovoltaik-Leistung bis 2030 angekündigt, doch prompt erklärte der Bundesverband Solarwirtschaft, das sei zu wenig um den Ausstieg aus den fossilen Energieträgern zu schaffen.

Die Windenergie schlägt generell Alarm, weil die Bevölkerung gegen die lauten Anlagen Sturm läuft. Auch ist geregelt, dass Windräder nur in 1000 m Anstand von Wohngebieten errichtet werden dürfen, wodurch die Zahl der möglichen Standorte eingeschränkt ist. Derzeit werden extrem wenige Windräder gebaut.

Wind und Sonne sind keine verlässlichen Energieträger

Die erneuerbaren Energien stehen nicht nur durch die gigantischen Förderkosten unter Druck. Auch die Technik dieser Energieträger selbst ist problematisch.

Dass Wind und Sonne keine verlässlichen Lieferanten sind, wurde schon eingangs erwähnt. Kraftwerke, die kontinuierlich liefern können, müssen die Wetterschwankungen ausgleichen. Dieses Phänomen wird auch nicht durch einen weiteren Bau von Wind- und Sonnenanlagen gelöst. Nachdem Deutschland den Ausstieg aus der Atomenergie durchführt, ist der Einsatz der umweltschädlichen Braunkohle unverzichtbar.

Problematisch sind aber nicht nur Tage mit energie-unfreundlichem Wetter. Umgekehrt wird bei kräftigem Wind und prächtigem Sonnenschein zu viel Strom produziert, die Leitungen sind überlastet und die Überschüsse müssen exportiert werden, naturgemäß nicht immer zu Bestpreisen.

Atomkraftwerke ­ sicher und umweltfreundlich?

Zum Entsetzen der Atomkraftgegner in Deutschland, Österreich und Luxemburg zeichnete sich bei dem EU-Energiegipfel, der mit einer Verschiebung der Entscheidung um zwei Jahre endete, die Anerkennung der Atomenergie als ein Weg zur Reduktion des CO2-Ausstoßes an. In den Vordergrund rücken die umweltfreundliche Produktion und der Umstand, dass die Atomenergie-Produktion seit ihrem Start in den fünfziger Jahren sich als außerordentlich sicher erwiesen hat. Dieses Ergebnis wurde erzielt, weil jede kleinste Panne in einer Anlage international zur Verschärfung der Sicherheitsvorschriften geführt hat. Dieses an sich beachtliche Ergebnis wird in der öffentlichen Diskussion durch die Katastrophen von Tschernobyl im Jahr 1986 und von Fukushima 2011 überdeckt.

Neue Atomkraftwerke in achtzehn Ländern

Derzeit werden in achtzehn Ländern neue Atomkraftwerke gebaut. An der Spitze steht China mit 43 neuen Werken. Aber auch Russland mit 24 und Indien mit 14 Anlagen haben ein großes Investitionsprogramm. Unter den anderen Ländern ist Ägypten mit 4 Projekten zu nennen, beim Treffen Russland-Afrika-Gipfel in Sotchi wurde zudem diese Woche vereinbart, dass ROSATOM in einer Reihe von afrikanischen Staaten Atomkraftwerke bauen wird. Die USA, Großbritannien und Frankreich errichten ebenfalls neue Anlagen, ebenso Finnland und die Türkei sowie Tschechien und Ungarn und eine Reihe anderer Staaten.

Vor wenigen Tagen hat der Chef der Électricité de France EDF, Jean-Bernard Lévy, bestätigt, dass die EDF neue Nuklearwerke bauen wird. Bei dieser Gelegenheit musste Lévy auch zu dem im Bau befindlichen Werk in Flamanville an der Atlantik-Küste Stellung nehmen. Die Fertigstellung wurde bereits mehrfach verschoben. Ausgelöst wurden die Verzögerungen durch Baumängel, aber auch durch im Gefolge von Fukushima während der Bauzeit verschärften Sicherheitsvorkehrungen. In Flamanville sind im Gefolge der Probleme die Kosten explodiert und nun rechnet man mit 12,4 Mrd. Euro, worüber in Frankreich Empörung herrscht. Setzt man die 12,4 Mrd. für eine überteuerte Anlage in Relation zur jährlichen Subvention von 33 Mrd. Euro für die erneuerbaren Energien in Deutschland, so stellt sich die Frage nach der Wirtschaftlichkeit von Wind und Sonne als Energieträger. Zur Orientierung: Eine Kilowattstunde in Deutschland ist vor allem durch die EEG-Abgabe im Schnitt zwei Mal so teuer wie in Frankreich und drei Mal so teuer wie in den USA.

Die tatsächlichen Folgen der Explosion in Fukushima

Die Atomgegner lassen ein wirtschaftliches Argument nicht gelten und erklären, dass man im Interesse der Sicherheit der Menschen nicht auf die Kosten schauen dürfe. Allerdings ist auch die Position der Anhänger der Atomenergie zum Thema Sicherheit nicht uninteressant. Die Katastrophe von Tschernobyl wird dabei weniger in den Fokus genommen, weil dieses Unglück durch die Ausschaltung der Sicherheitsvorkehrungen zur Katastrophe wurde. Von besonderem Interesse ist das Kraftwerk in Fukushima, das auf ein Beben der Stärke 8 ausgelegt war und einem Beben der Stärke 9 standhalten musste. Auch das Ausmaß der Flutwelle im Gefolge des Tsunami war nicht berücksichtigt worden. Zur Debatte stehen also die Folgen einer Katastrophe, die auf Sicherheitsvorkehrungen getroffen ist, die aber unzureichend waren.

Die Internationale Atomenergie-Agentur hat in Zusammenarbeit mit UNSCEAR, dem Wissenschaftlichen Ausschuss der UNO zur Untersuchung der Auswirkungen atomarer Strahlung, die Folgen von Fukushima analysiert.

Es gab bei der Explosion keine Toten. Die durch den Tsunami ausgelösten 15.000 Opfer kamen durch die Überschwemmungen in der Region zu Tode.

Zu untersuchen waren also die Strahlenschäden. Unmittelbar betroffen waren einige Arbeiter, die gesundheitliche Probleme erlitten. Einer ist vor kurzem an Krebs gestorben.

Die entscheidende Frage war, ob durch die Explosion eine nukleare Wolke entstanden ist, die sich über größere Gebiete ausgebreitet hätte. Zu klären war daher, ob sich die Krebsgefahr in der Bevölkerung im Gefolge radioaktiver Strahlen erhöht hat. Zu dieser Frage sei aus dem Bericht der IAEA und des UNSCEAR zitiert:

  • Die Strahlenbelastung in der Region war von allem Anfang gering und daher keine Gefährdung für die Bevölkerung. Rund um die zerstörte Anlage wurde eine Sicherheitszone von 20 km gelegt. 160.000 Personen wurden evakuiert.
  • In der Region Fukushima untersuchten Nuklearmediziner 200.000 Personen und fanden keine oder nur wenige Radionukleide.
  • Beim Austritt von Radioaktivität ist vor allem die Schilddrüse der Kinder gefährdet. Es wurden 1080 Kinder in IwakiCity, Kawamata Town und Iitate Village überprüft. Bei 99 Prozent der untersuchten Kinder war die Belastung deutlich unter den Grenzwerten. Auch bei den stärker betroffenen waren die Werte niedrig. Zum Vergleich: In Tschernobyl wurde das 100 bis 1000fache gemessen.
  • Seit dem Unfall im Jahr 2011 wurden und werden durch verschiedene Experten mögliche Spätfolgen der Reaktor-Katastrophe untersucht. Diese Analyse bestätigen, dass nur eine geringe Dosis an Radioaktivität ausgetreten ist, die ohnehin niedrigen Werte weiter gesunken sind und daher die Bevölkerung keinen Schaden erlitten hat.
  • Aus diesem Grund konnte im April 2019 die Sperrzone von ursprünglich 20 Kilometern rund um das Kraftwerk deutlich verkleinert werden und den meisten evakuierten Personen die Rückkehr in ihre Gemeinden erlaubt werden.

Atomgegner und Befürworter werden kaum eine Einigung finden

Für die Befürworter der Atomenergie sind diese Ergebnisse eine weitere Bestätigung, dass die kontinuierliche Verbesserung der Sicherheitsregeln für die Verlässlichkeit der Kernkraftwerke sorgt. Nach Fukushima wurde auf internationalen Konferenzen der IAEA nicht nur die Berücksichtigung der Erfahrungen aus dem japanischen Unglück beschlossen, sondern auch eine Generallinie festgelegt: Die Betreiber dürfen sich nicht nur an den historisch bekannten Katastrophen orientieren, sondern müssen mehr als bisher von einem deutlich höheren Gefahrenpotenzial ausgehen.

Angst ist ein besonderes Phänomen: Viele haben Angst vorm Fliegen, steigen aber bedenkenlos in ein Auto ein, obwohl der Straßenverkehr weit gefährlicher ist. Die deutsche Energiepolitik hat sich bisher ähnlich verhalten: Zur Absicherung der erneuerbaren Energien wird Strom aus Braunkohle produziert, obwohl diese Anlagen die größten CO2-Sünder sind, die Atomkraftwerke, die in Deutschland noch nie einen Unfall hatten, werden geschlossen.

Wie auch immer die Argumentationen verlaufen: Atomgegner und Befürworter werden kaum je eine Einigung finden.

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Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er ist einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitschrift „Der Volkswirt“ sowie Moderator beim ORF.


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