Wirtschaft

Dieselgate: VW kämpft in Polen gegen Forderungen in Milliarden-Höhe

Polen ist für VW weltweit der dritt-wichtigste Produktions-Standort nach Deutschland und China. In dem osteuropäischen Land drohen Zahlungen von bis zu 2,8 Milliarden Euro an geschädigte Kunden. Politisch ist die Affäre besonders unangenehm, weil der Autobauer sehr eng mit dem Land verbunden ist und als Investor der Ersten Stunde gilt.
05.02.2020 06:49
Aktualisiert: 05.02.2020 06:49
Lesezeit: 4 min
Dieselgate: VW kämpft in Polen gegen Forderungen in Milliarden-Höhe
Abgas-Skandal: Die dunklen Wolken über VW haben sich noch lange nicht verzogen. (Foto: dpa) Foto: Raphael Knipping

Der Wolfsburger Autobauer VW steht wegen des Dieselskandals weltweit in verschiedenen Ländern unter Beschuss: Ein Land, wo Zahlungen in Milliarden-Euro-Höhe drohen, ist Polen. Hier wird der Hersteller von allen Seiten angegriffen – und zwar zivil- und strafrechtlich, aber auch von den Verbraucherschutzbehörden UOKiK. Dabei wurde sogar eine Kunden-Vereinigung „StopVW“ gegründet, die die Interessen von hunderttausenden von polnischen Autofahrern durchfechten will.

Und jetzt haben die Beamten des UOKiK, das in Polen über einen starken politischen Einfluss verfügt, gerade der polnischen Tochter des Autobauers, "VW Group Polska", eine Rekordstrafe von 120 Millionen Złoty (30 Millionen Euro) auferlegt. Noch nie hat die Behörde, die seit 1990 existiert, einem Unternehmen eine höhere Geldbuße aufgebrummt. Wichtig zu wissen: Die Behörde wird im Land respektiert und ist alles andere als ein Papier-Tiger, sie ist auf jeden Fall mächtiger als die Verbraucherschutz-Organisationen in Deutschland.

„Die Firma (VW - Anm. d. Red.) hat zum Schaden der Verbraucher gehandelt, weil sie ethisch nicht vertretbare Empfehlungen abgegeben hat, damit die Händler nicht auf die Reklamationen der Konsumenten reagieren“, erklärte der Vorsitzende der Behörde, Marek Niechał.

VW wehrt sich. „Wir sehen keine rechtliche Grundlage für die Strafe. Unserer Meinung nach hat der Vorsitzende des UOKiK gegen das falsche Unternehmen ermittelt, das dafür keine Verantwortung tragen kann. Denn die Gesellschaft VW Group Polska war lediglich ein Importeur von Fahrzeugen und konnte keine Kenntnis vom Problem des Schadstoffausstoßes haben. Wir werden entsprechende Schritte dagegen einleiten“, sagte VW Group Polska-Sprecher Tomasz Tonder. Damit deutete er im Gespräch mit dem polnischen Wirtschaftsportal „money.pl“ an, dass seine Firma in die Berufung gehen wird.

„Die Auferlegung dieser Rekordstrafe ist für uns eine positive Reaktion eines öffentlichen polnischen Organs. Wir verstehen nicht, warum die VW Group Polska mit ihrem Sitz in Poznań (Posen) gegen das Urteil des UOKiK in Berufung gehen will“, erklärte Konrad Kacprzak, der stellvertretende Vorsitzende von „StopVW“ und hauptberuflich Anwalt. „In Polen gibt es bis zu 400.000 VW-Fahrzeuge mit der Schadstoff-Software, so dass die Strafe, die VW nun für jedes Fahrzeug zahlen muss, im Durchschnitt bei 100 Euro liegt“, fügte Kacprzak im Gespräch mit den „Deutschen Wirtschaftsnachrichten“ (DWN) hinzu.

„Urteil der Verbraucher-Behörde ein Signal für die Gerichte“

Hintergrund: Die umgerechnet 30 Millionen Euro sind nur die Strafe, die VW an den Verbraucherschutz zahlen soll. Diese Summe wäre für den Konzern, der weltweit einen dreistelligen Milliarden-Euro-Umsatz generiert, problemlos zu verkraften. Doch gehen Juristen in Polen davon aus, dass dieses Urteil des UOKiK eine Signalwirkung für die Zivil- und Strafgerichte im Land haben werden, die sich zusätzlich mit dem Fall beschäftigen.

Schätzungen zufolge liegt der Schaden pro Fahrzeug bei durchschnittlich umgerechnet 7.000 Euro. Daraus ergibt sich eine Forderungssumme von bis 2,8 Milliarden Euro, die VW in Polen möglicherweise zahlen muss, sollten die Fahrzeughalter Recht bekommen. Dies ist eine Größenordnung, die für das Unternehmen durchaus schmerzhaft wäre.

Die Konsumenten versuchen seit dem Ausbruch der Affäre vor einigen Jahren auf nahezu erbitterter Art und Weise, ihre Interessen vor den zivilen Gerichten durchzufechten. Dabei haben sie auf dem Gang durch die Instanzen schon Niederlagen kassiert, ohne sich allerdings davon abhalten zu lassen.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt, und Kläger rufen Oberstes Zivilgericht an

Die Argumentation der polnischen Richter war oft ähnlich: Die polnischen Kläger müssten die Schuldigen in Deutschland suchen und nicht in Polen. Denn schließlich habe das Management des Gesamtkonzerns für die Manipulationen die Entscheidungen getroffen - und nicht die polnischen Kollegen. Damit sind die Richter bisher auch der Meinung der VW Group Polska gefolgt. Trotzdem haben die polnischen Autofahrer zuletzt noch einmal nachgelegt und das Oberste Gericht angerufen. Es hat Ende 2019 den Fall angenommen und wird nun das letztliche Urteil in der Angelegenheit fällen.

Doch das ist noch lange nicht alles: Zusätzlich wird der deutsche Konzern auf der strafrechtlichen Ebene angegriffen. So ermittelt derzeit die Staatsanwaltschaft in der südpolnischen Stadt Częstochowa (Tschenstochau). „Die Ermittlungen befinden sich in einem ersten Stadium. Derzeit wird die erforderliche Dokumentation gesammelt, und es werden Maßnahmen getroffen, um den Kreis der Geschädigten zu ermitteln“, erklärte Staatsanwalt Piotr Wróblewski auf Anfrage der DWN.

Darüber hinaus ist der Skandal für alle Politiker, Manager, aber auch für die gesamte polnische Öffentlichkeit unangenehm, weil VW zu den wichtigsten Investoren des Landes gehört. Dass ausgerechnet das Management eines Unternehmens, das der gesamten Wirtschaft Polens seinen Stempel aufdrückt, seine Produkte so manipuliert, lässt sich kaum fassen. Nach Deutschland und China ist das Land für VW weltweit der wichtigste Standort, wenn es um die Investitionen geht. Die zahlreichen Fabriken und Handelshäuser geben Tausenden von Polen Arbeitsplätze. Der Hersteller verfügt über 20 Tochtergesellschaften und 330 Verkaufsstellen für seine Fahrzeuge. „VW hat in Polen ein zweites Zuhause“, schreibt die kleine Wirtschaftszeitung „Puls Biznesu“.

VW-Absatz geht trotzdem nicht zurück

Dem Konzern hat der Skandal beim Absatz von Neuwagen bisher nicht geschadet – im Gegenteil. Grundsätzlich ist der Absatz des gesamten polnischen Marktes im vergangenen Jahr um fünf Prozent auf fast 555.600 Fahrzeuge angestiegen. Dabei haben die polnischen Kunden weiter die Modelle des deutschen Produzente gekauft, die zu den zehn populärsten Modellen gehörten. Die Kompaktklassewagen „Škoda Octavia“ und „Škoda Fabia“ der tschechischen Tochter landeten sogar auf dem ersten und dritten Platz. Der „Golf“ rangierte auf der siebten Position, während der SVU „Tiguan“ den zehnten Platz einnahm.

"Der relativ niedrige Preis ist das einzige und entscheidende Kriterium beim Kauf. Deshalb sind Modelle von Škoda so populär", erklärte der Sprecher der Wirtschaftsuniversität in Katowice (Kattowitz), Bartłomiej Gabryś, und spielte darauf an, dass die Polen grundsätzlich nur über verhältnismäßig geringe Einkommen verfügen. "Die Medien haben den Abgasskandal auch so dargestellt, dass davon überwiegend der US-Markt betroffen war und weniger der europäische. Man geht davon aus, dass die Autos die Abgasnormen dann erfüllen, wenn sie in Europa verkauft werden. Die Modelle von VW werden weiterhin von unterschiedlichen Käufergruppen als Fahrzeuge wahrgenommen, die prestigeträchtig und technologisch effizient sind", führte Gabryś weiter aus.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.

E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung sowie die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Gaskraftwerke für Deutschland: Teuer, umstritten und auch politisch fragwürdig
08.11.2025

Können Wind und Sonne nicht genug erneuerbare Energien liefern, sollen bis zu 40 große Gaskraftwerke einspringen, die...

DWN
Finanzen
Finanzen Bitcoin, Ether und Co.: Wie Sie an der Börse sicher in Kryptowährungen investieren
08.11.2025

Wollen Sie Kryptowährungen kaufen? Dann müssen Sie dafür nicht auf irgendwelchen unseriösen Internetportalen herumsurfen. Kurse von...

DWN
Politik
Politik Donald Trump und die US-Präsidentschaftswahl 2028: Strebt er eine dritte Amtszeit an und geht das so einfach?
08.11.2025

Die Diskussion um Donald Trumps mögliches politisches Comeback zeigt das Spannungsfeld zwischen Recht, Strategie und Macht in den USA....

DWN
Technologie
Technologie Deep Tech als Rettungsanker: Wie Deutschland seine industrielle Zukunft sichern kann
08.11.2025

Deutschland hat große Stärken – von Forschung bis Ingenieurskunst. Doch im globalen Wettlauf um Technologien zählt längst nicht mehr...

DWN
Technologie
Technologie So optimiert KI in Belgien die Landwirtschaft: Schwankende Ernten prognostizieren? Kein Problem!
08.11.2025

Die Landwirtschaft muss Erträge effizient planen und Schwankungen ausgleichen, wobei KI zunehmend Entscheidungen auf verlässlicher Basis...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Managergehälter: Wie viel Mut hinter den Millionen steckt
08.11.2025

Topmanager reden offen über ihr Einkommen? In Estland sorgen zwei Führungskräfte für großes Staunen. Sie zeigen, wie viel Disziplin,...

DWN
Finanzen
Finanzen EZB-Leitzins: Stillstand oder Strategie? Was die EZB-Zinsentscheidung wirklich bedeutet
08.11.2025

Die Europäische Zentralbank hat den Leitzins beim jüngsten EZB-Zinsentscheid nicht angerührt – doch das Schweigen ist laut. Christine...

DWN
Unternehmensporträt
Unternehmensporträt Schmuck aus Holz und Stein: Holzkern – wie Naturmaterialien zum einzigartigen Erfolgsmodell werden
07.11.2025

Das Startup Holzkern aus Österreich vereint Design, Naturmaterialien und cleveres Marketing zu einem einzigartigen Erfolgsmodell. Gründer...