Finanzen

Corona: Die Milliarden-Feuerwehr EU ist fast so gefährlich wie das Virus selbst

Lesezeit: 7 min
11.04.2020 09:54
Die EU jongliert bei der Bewältigung der Corona-Krise mit Hunderten Milliarden Euro. Dabei verhält sie sich allerdings nicht wie eine Organisation, die aus Staaten besteht, in denen die Marktwirtschaft praktiziert wird. Stattdessen wendet sie Prinzipien an, die aus Staatswirtschaften bekannt sind, schreibt DWN-Kolumnist Ronald Barazon.
Corona: Die Milliarden-Feuerwehr EU ist fast so gefährlich wie das Virus selbst
Das Euro-Logo ist auf das EZB-Hochhaus in Frankfurt projiziert. (Foto: dpa)

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Ein ganz banales wirtschaftliches Prinzip erweist sich für Europas Politiker als zu komplex, sie verstehen es einfach nicht – oder wollen es nicht verstehen. Was braucht ein Unternehmen, das vier oder sechs Wochen keinen Cent einnehmen konnte, weil es geschlossen hatte? Geld, sehr viel Geld, und das rasch und unbürokratisch. Und wo kann dieses Unternehmen rasch und unbürokratisch Geld bekommen? Bei der Bank – sollte man jedenfalls meinen. Doch leider ist dem nicht so: Durch eine Flut unsinniger EU-Vorschriften wurde das gut funktionierende europäische Bankwesen ruiniert. Die Folge: Viele Filialen gibt es nicht mehr. Und somit auch die Berater nicht. Die verbleibenden Mitarbeiter sind aufgrund der EU-Vorschriften gezwungen, einen unerträglichen Verwaltungsaufwand zu betreiben und möglichst keinen Kredit zu geben, um ja kein Risiko einzugehen. In der aktuellen Situation eine Katastrophe.

Die Politiker jonglieren mit Milliarden-Beträgen an Förderungen

Jetzt, da die Corona-Krise endlich abflaut, stellt sich die Frage: Wie soll es weitergehen? Und die Politik, die die Beschädigung des funktionierenden Kreditwesens zu verantworten hat, liefert absurde Antworten. In den vergangenen Tagen wurde in jedem einzelnen Mitgliedstaat und zuletzt auch auf EU-Ebene die Verteilung aberhunderter Milliarden an Arbeitnehmer und Betriebe angekündigt. Die Kette der Pressekonferenzen, Tweets und Talk-Shows verdient den Titel „Wir drehen das Milliarden-Rad“. Das Publikum war zunächst fasziniert, dann aber doch nicht so beeindruckt, wie es sich die Akteure erhofft hatten. Bei näherer Betrachtung erweist sich die Milliarden-Flut als Feuerwehr-Aktion mit beträchtlichen Lösch-Schäden.

Die Firmen werden in die Schuldenfalle getrieben: Echte Hilfen gibt es kaum

Alle Aktionen haben mehrere Charakteristika gemeinsam:

  • In erster Linie will man Kredite vergeben. „Man“ sind staatliche Stellen, die entweder selbst verleihen oder die Mittelvergabe über Banken abwickeln. Somit sind „rasch“ und „unkompliziert“ von vornherein ausgeschlossen.
  • Ebenfalls stark betont wird die Übernahme von Haftungen für Kredite durch den Staat. Klingt gut – aber ein Unternehmen, das einen Kredit benötigt, muss sich die staatliche Bürgschaft erst im Antragsweg regelrecht „erobern“.
  • Außerdem soll es Zuschüsse geben, die man behalten darf. Diese wären eine tatsächliche Hilfe, wogegen die Kredite zurückzuzahlen sind und somit die ohnehin schwierige Zukunft zusätzlich belasten. Aber wer schon einmal einen Zuschuss von einer staatlichen Stelle erobern wollte, weiß, wie so ein Hürdenlauf aussieht.
  • Die effektiven Fördermittel – im Fachjargon „verlorene Zuschüsse“ – halten sich in bescheidenen Grenzen. Überall werden Fonds aufgelegt, die da und dort einige tausend EURO verteilen. Tatsächlich wirksam dürften nur die Kurzarbeits-Regelungen sein. Die Übernahme der Lohnkosten in der Lock-Down-Phase sollte eigentlich die wichtigste, die entscheidende Hilfe sein, um den Neustart zu erleichtern. Nur werden meist nur Teile – in Deutschland 60 Prozent – ersetzt, wobei die Zuteilung oft zu lange dauert.

An den rigorosen Regeln bei der Vergabe von Krediten ändert sich nichts: Es bleibt nur der Weg zum Staat

Also wendet sich der von einem mehrwöchigen Umsatzausfall geplagte Unternehmer doch an eine Bank. Dort trifft er oder sie auf einen hoffentlich hilfsbereiten Berater, der sich aber an die Regeln der Bankenaufsicht halten muss. Die deutsche BaFin hat im Gleichklang mit allen europäischen Aufsehern folgende Richtlinien ausgegeben:

  • „Das Bank-Institut muss im Rahmen einer bankinternen Bewertung zu dem Schluss kommen, dass das Unternehmen (nach der Krise) überlebensfähig ist (wieder Kapitaldienst erwirtschaften wird beziehungsweise ohne Corona-Krise kein Sanierungsfall geworden wäre).“ Bankmitarbeiter sind bekanntlich keine Hellseher; eine derartige Bewertung kommt daher dem Kaffeesatz-Lesen gleich. Wenn allerdings ein doch vergebener Kredit ausfällt, hat der zuständige Berater, die zuständige Beraterin ein beachtliches Problem und muss sich wegen Sorglosigkeit verantworten. Solange sich an dieser Regel nichts ändert, bleiben die Kreditinstitute (aus Angst gelähmt).
  • Und so halten sich die Berater eher an die zweite Empfehlung der BaFin: Dass das Unternehmen überlebensfähig ist, „kann automatisch für alle Kreditnehmer angenommen werden, die Fördermittel aus dem geplanten Hilfsprogramm der KfW oder gegebenenfalls aus Hilfsprogrammen der Länder und Kommunen erhalten.“KfW oder genauer „Kreditanstalt für Wiederaufbau“ ist die deutsche staatliche Förderbank, das heißt, das kreditsuchende Unternehmen landet also wieder beim Staat. Dieser hat bisher nur 80 bis 90 Prozent der möglichen Ausfälle abgesichert, sodass die Banken ein Restrisiko haben, das sie auch aufgrund der strengen Risiko-Bedingungen nicht leicht übernehmen können. In Zukunft wird der deutsche Staat voraussichtlich 100 Prozent abdecken.
  • Seit Tagen landen bereits tausende Anträge bei der KfW, es werden nun zehntausende werden, aber es ist illusorisch zu glauben, dass jetzt tatsächlich jeder mittelständische Betrieb in Deutschland zu Geld kommen wird. Es handelt sich nämlich um 2,5 Millionen Firmen.
  • Es lohnt sich aber, den Wettlauf zu riskieren: Den kleinen winken Kredite oder Haftungen bis zu 500.000, den größeren bis zu 800.000 Euro, die Zinsen sollen 3 Prozent per annum betragen, Laufzeiten bis zu zehn Jahren sind angepeilt.

Bei näherer Betrachtung werden aus den Milliarden Bagatellbeträge

Die Finanzminister der EU-Mitgliedstaaten diskutierten diese Woche eifrig, wie man denn auf europäischer Ebene der Wirtschaft helfen könnte. Eine Reform der Banken-Regelwerke stand nicht zur Debatte. Es ging um ein so genanntes „500-Milliarden-Paket“. In der Nacht auf Mittwoch arbeiteten sie sogar heldenhaft durch – um am Morgen zu verkünden, dass sie sich nicht geeinigt hätten. Donnerstagabend wurde dann eine Einigung erreicht, die darin bestand, dass man die strittigen Themen einfach ausklammerte.

Einig war man sich allerdings in einigen Bereichen, die für die Unternehmen von Interesse sind.

  • Stolz verkündet wurde, dass die Bank der EU-Kommission, die Europäische Investitionsbank EIB, ein zusätzliches Finanzierungsprogramm von 200 Milliarden Euro für die mittelständische Wirtschaft auflegen und über die Banken verteilen wird. Die Minister waren selbst sichtlich beeindruckt von der Summe.
  • Leider hatten sie übersehen, dass die EU 22 Millionen Klein- und Mittelbetriebe zählt, dass also für jeden einzelnen gerade mal 9.000 Euro zur Verfügung stehen. Das ist der Rahmen, den beinahe jeder Konto-Inhaber in Europa derzeit von seiner Bank bekommt.
  • Auch eine andere Rechnung ist nicht sehr überzeugend: Von den 22 Millionen Unternehmen beschäftigen zwei Millionen zwischen zehn und 250 Mitarbeiter. Wollte man nur diese mit den Mitteln der EIB bedienen, so kommen auf eine Firma im Schnitt 100.000 EURO, womit die meisten Betriebe nicht einmal die Löhne, Gehälter und Abgaben für einen einzigen Monat zahlen könnten.
  • Man kann aber als deutscher Unternehmer über die Bank künftig einen Kreditantrag an die KfW oder an die EIB senden. Bei der KfW ist man nur im Wettbewerb mit deutschen Kollegen, bei der EIB mit der gesamten EU.

Wieso denken EU-Politiker wie Vertreter einer staatlichen Planungswirtschaft?

Stört es tatsächlich niemanden in der EU – die den freien Markt in ihren Grundsätzen hat – dass in staatswirtschaftlichen Strukturen gedacht wird?

Offenbar nicht. Denn auch die zweite EU-Aktion, die die Finanzminister feierten, entspricht dem Geist einer staatlich gelenkten Wirtschaft. Betont wird eine neue Initiative der EU-Kommission, die unter dem Titel SURE (Support Mitigating Unemployment Risks in Emergency) – vorgesehen ist. Den Mitgliedstaaten sollen Darlehen in der Höhe von 100 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt werden, um die Finanzierung von Kurzarbeit und Subventionen für Selbstständige zu erleichtern. Wieder kommt es zur Nennung einer Milliarden-Summe, die beeindrucken soll. Nur: In der EU gibt es 220 Millionen Erwerbstätige. Wenn nur zehn Prozent – und es werden mehr sein – jetzt Hilfe benötigen, dann kommen aus den 100 Milliarden auf den Einzelnen 450 EURO, die durch einen komplizierten und teuren Verwaltungsapparat von der EU über die einzelnen Staaten ausgegossen werden.

Die Notenpresse rattert. Das ist in der Krise zu rechtfertigen. Doch wohin fließt das Geld?

Im Mittelpunkt der Krisen-Bewältigung stehen die Staaten, die alle angekündigten Wohltaten über die Aufnahme zusätzlicher Schulden finanzieren müssen. Deutschland bildet in bestimmten Umfang eine Ausnahme, da der Staat über Reserven verfügt. Alle anderen sind auf die Gunst des Kapitalmarkts angewiesen. Angesichts der schon bestehenden Staatsschulden, die nun um hunderte Milliarden zunehmen werden, dürfte das Kaufinteresse privater Anleger gering sein, auch wenn endlich wieder Zinsen gezahlt werden sollten.

Somit rückt die Europäische Zentralbank in den Fokus, und diese hat bereits vor einiger Zeit angekündigt, dass sie zusätzlich 750 Milliarden Euro an Anleihen übernehmen wird. Auch die schon bei der Zentralbank liegenden etwa 2.000 Milliarden sollen nicht getilgt, sondern im Falle von Abläufen durch neue ersetzt werden. Man lässt also die Notenpresse weiter heiß laufen, das Bild sei erlaubt, auch wenn es keine physischen Banknoten, sondern nur Computerzeilen sind.

Sollten die privaten und institutionellen Anleger die 200 Milliarden für die EIB und die 100 Milliarden für den SURE der EU-Kommission nicht über Anleihekäufe refinanzieren wollen – keine Sorge, die Zentralbank kauft alles.

In der besagten anstrengenden Nach haben die EU-Finanzminister auch registriert, dass der ESM über eine freie Finanzierungskapazität von über 400 Milliarden Euro verfügt. ESM steht für „Europäischer Stabilitätsmechanismus“, der nach der Finanzkrise 2018 gegründet wurde und finanzmaroden Staaten helfen soll. 200 Milliarden sollen jetzt an die Staaten gehen. Und auch der ESM begibt Anleihen.

Eine Skurrilität am Rande: Für die EU-Kommission, die EIB und den ESM haften die Mitgliedstaaten der EU, es sind also gemeinschaftliche Anleihen. Ohne Ergebnis gestritten wurde diese Woche über die gemeinsame Begebung von EURO-Bonds oder Corona-Bonds durch die EU-Staaten, als ob es so etwas noch nicht gäbe und auch nicht geben dürfe.

Wie viele Milliarden in welcher Form wohin fließen werden, ist vorerst nicht klar. Jede Regierung in Europa hat in den vergangenen Tagen Milliarden-Hilfen in Aussicht gestellt. Die Spitzenleistung lieferte das italienische Kabinett, das gleich die Verteilung von 400 Milliarden Euro ankündigte. Das sind mehr als 20 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung Italiens. Dass die Beschaffung dieser Gelder für das wirtschaftlich schwache Land nicht einfach sein wird, ist offenkundig. Und so kämpft Italien besonders eifrig um gemeinsame EU-Anleihen, da das Land allein den angekündigten Riesenbetrag kaum auftreiben kann.

Wie meist wäre die Lösung einfach, aber offenbar zu einfach für die krausen Wege, in denen die Wirtschaftspolitiker denken

Klartext: Die Unternehmen brauchen jetzt Hilfe. Der Staat hat die Schließung der Geschäfte verfügt, also müsste der Staat den Schaden ersetzen, wie dies seit langem in den Epidemie-Gesetzen verankert ist. Der Ausfall wird geschätzt etwa sieben Prozent der Jahreswirtschaftsleistung entsprechen, das sind in der gesamten etwa EU 980 Milliarden Euro, davon im Euro-Raum 840 Milliarden Euro. Diese Beträge wären von der Europäischen Zentralbank und den Zentralbanken der Nicht-Euro-Länder bereitzustellen. Das ist eine begründbare Geldschöpfung. Die Mittel sind in Form von Krediten an die Staaten zu vergeben, die diese den betroffenen Unternehmen als nicht rückzahlbare Förderungen auszuzahlen hätten. Die Staatsschulden in der gesamten EU würden von etwa 12.000 auf 13.000 Euro ansteigen – eine Steigerung von 8,5 Prozent.

Diese zusätzliche Verschuldung würde die Bonität der EU-Staaten nicht wesentlich verändern. Sie wäre aber im Interesse einer raschen Erholung der europäischen Wirtschaft. Mit den geplanten komplizierten Milliarden-Aktionen werden die Staatsschulden auch nicht weniger steigen, aber nur bescheidene Effekte erzielen, weil die Aktionen über schwerfällige Systeme die betroffenen Betriebe entweder gar nicht erst erreichen oder sie in Kreditverpflichtungen stürzen, die ihren Aufschwung nach der Krise behindern.

Aber auch dafür haben die Finanzminister eine staatswirtschaftliche Lösung parat – sie wollen einen neuen EU-Fonds schaffen, einen Recovery Fund. Als ob die europäischen Unternehmer unmündig wären und nicht aus eigener Stärke heraus wieder in die Erfolgsspur zurückfinden könnten. Natürlich wären sie dazu in der Lage – allerdings nur, wenn man ihre Geschäfte nicht für Wochen und Monate sperren und ihnen anschließen mit absurden Regulierungen den Zugang zu Finanzierungen verwehren würde, wie es die Politik und die Finanz-Genies der EU gerade tun.

                                                                            ***

Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er ist einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitschrift „Der Volkswirt“ sowie Moderator beim ORF.


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