Finanzen

Billionen-Kredite: China will im Herbst die Schleusentore öffnen

Chinas Notenbank hat für die zweite Jahreshälfte eine enorme Kreditvergabe angekündigt. Allerdings will sie dabei auf zwei entscheidende geldpolitische Mittel verzichten, die ihrer Ansicht nach die Fed und die EZB in große Gefahr bringen.
22.06.2020 09:48
Lesezeit: 3 min
Billionen-Kredite: China will im Herbst die Schleusentore öffnen
Blick auf die Stadt Chongqing. China geht in der Geldpolitik einen anderen Weg als der Westen. (Foto: dpa) Foto: Zhouzhiyong

Die Corona-Krise, von der derzeit alle Staaten der Welt erfasst sind, weist einen auffälligen Unterschied zur letzten großen Finanzkrise des Jahres 2008 auf. Während China damals mit einer massiven Kreditspritze eine wirksame Reflationswelle auslöste und auf diese Weise die gesamte Welt aus einer deflationären Talfahrt herausholte, hat China in der aktuellen Krise bisher weitaus weniger agiert.

Die folgende Grafik aus einer Studie der Deutschen Bank von Ende Mai zeigt die bisherige Untätigkeit Chinas, was staatliche Konjunkturprogramme im Kampf gegen die Corona-Krise angeht. Während zum Beispiel Deutschland Ausgabeprogramme und Garantien im Umfang von fast 40 Prozent des BIP auf den Weg gebracht hat, sind die Bemühungen Chinas bisher kaum messbar gewesen.

Doch das dürfte sich bald ändern. Hintergrund ist die langsame Erholung der chinesischen Wirtschaft, verbunden mit einem deutlichen Rückgang der Produzenten- und Konsumentenpreis-Inflation, und der Gefahr einer scharfen Margenkontraktion durch die deflatorischen Einflüsse im In- und Ausland. Vor allem die Klein- und Mittelunternehmen haben in der Corona-Krise Schaden genommen.

In einer Rede auf einem Finanzforum in Schanghai kündigte der chinesische Zentralbankgouverneur Yi Gang an, dass China in der zweiten Jahreshälfte für ausreichend Liquidität in den Kreditmärkten sorgen wird. Allerdings müsse man im Voraus bedenken, wie man diese Unterstützung irgendwann wieder zurückzieht, warnte Yi.

"Wir sollten auf die negativen Folgen der Politik achten", zitiert ihn Reuters. "Wir sollten im Voraus die rechtzeitige Rücknahme der geldpolitischen Instrumente planen". Der Zentralbankgouverneur sagt hier mit anderen Worten, dass die geplante gigantische Kreditspritze nur vorübergehend sein wird. Ebenso argumentieren auch seine Amtskollegen bei der Federal Reserve und der Europäischen Zentralbank.

Um seine wenig dynamische Wirtschaft anzukurbeln, wird China eine wirklich historische Kreditspritze ansetzen müssen. Dies wird geschehen, indem die Notenbank zwei Kreditfazilitäten für Mikro- und Kleinunternehmens-kredite auflegen wird. Damit wird die Zentralbank gezielt von den Banken gewährte Kredite an Klein- und Mittelunternehmen aufkaufen. Hintergrund ist der Fakt, dass die in China staatlichen Banken mit der Kreditvergabe an Klein- und Mittelunternehmen traditionell sehr zurückhaltend sind und viel lieber Kredite an Staatsbetriebe und staatliche Zweckgesellschaften vergeben, bei denen der Staat als Bürge haftet.

De facto wird also die Notenbank das Kreditrisiko der Geschäftsbanken für diese Kredite an Klein- und Mittelunternehmen übernehmen. Damit soll die Kreditvergabe der Banken an diesen Sektor stimuliert werden. Notenbankchef Yi selbst sagt, dass die neuen Kredite in diesem Jahr wahrscheinlich fast 20 Billionen Yuan (2,8 Billionen Dollar) erreichen werden. Bereits im letzten Jahr hatten die Kredite einen Rekordwert von 16,81 Billionen Yuan erreicht.

Das Social Financing - in China die Summe der Kreditvergabe von Banken und Schattenbanken an den Nichtbankensektor - könnte Yi zufolge sogar um mehr als 30 Billionen Yuan (4,2 Billionen Dollar) oder etwa 30 Prozent des BIP steigen. Am Mittwoch hat die chinesische Regierung bereits angekündigt, den Mindestreservesatz zu senken. Dieser legt die Menge an Barmitteln fest, welche die Banken als Reserven halten müssen. Zudem will Peking die Finanzinstitute dazu zu drängen, in diesem Jahr auf 1,5 Billionen Yuan an Gewinnen zu verzichten, um die Unternehmen des Landes zu unterstützen.

Chinas Zentralbank hat seit Anfang Februar schon eine Reihe von Lockerungen eingeleitet, darunter Kürzungen des Mindestreservesatzes und eine gezielte Kreditvergabe zur Unterstützung der vom Coronavirus betroffenen Unternehmen. Tatsächlich erholt sich die chinesische Wirtschaft allmählich wieder von dem historischen Rückgang um 6,8 Prozent im ersten Quartal, dem ersten Rückgang seit Beginn der Aufzeichnungen.

Doch all diese Maßnahmen waren noch keine große Geldspritze wie in anderen Staaten oder wie während der letzten Finanzkrise. Analysten erwarten nun eine weitere Lockerung zur Unterstützung der Wirtschaft, während die Entscheidungsträger die Notwendigkeit einer Zurückhaltung bei der Höhe der Maßnahmen anmahnen.

"Es gibt nichts umsonst in der Welt. Wie können wir so vielen Zentralbanken der Welt erlauben, die Gelddruckmaschine einzuschalten und unbegrenzt Geld zu drucken", sagte Guo Shuqing, Vorsitzender der chinesischen Banken- und Versicherungsaufsicht, auf demselben Forum in Shanghai. "Für Blankoschecks wird man einen Preis bezahlen müssen."

Peking hat sich im Kampf gegen den Abschwung bisher vor allem auf fiskalische Anreize gestützt, hat Steuern gesenkt und lokale Staatsanleihen zur Finanzierung von Infrastrukturprojekten ausgegeben. Analysten zufolge konzentriert sich Peking auf die Ankurbelung der Wirtschaft und toleriert dabei einen gewissen Anstieg des Schuldenstands. Doch zugleich ist man weiterhin besorgt über einen Anstieg der Schuldenrisiken.

Laut Guo, der auch der Chef der Kommunistischen Partei innerhalb der Zentralbank ist, wird China weder "überschwemmungsartige" Stimulierungsmaßnahmen noch negative Zinssätze einführen. Der Bankenaufseher warnt, dass eine beispiellose Lockerung durch die Federal Reserve die Glaubwürdigkeit der USA beeinträchtigen wird.

Guo sagte außerdem, dass Chinas Zentralbank Staatsschulden nicht direkt aufkaufen wird - wie die EZB oder die Federal Reserve. Damit wies er Vorschläge einiger chinesischer Beamter zurück, wonach die chinesische Zentralbank ähnlich wie Fed, Bank of Japan, EZB und Bank of England auf eine Strategie der quantitativen Lockerung der Geldpolitik einschwenken soll. Zudem drängte Guo andere globale Volkswirtschaften dazu, ebenfalls ihren Ausstieg aus der massiven geldpolitischen Lockerung zu planen.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Technologie
Technologie Smart Cities: Fluch oder Segen?
22.12.2025

Smart Cities sind längst keine Zukunftsmusik mehr. In Städten wie Grevenbroich testen Sensoren, Kameras und KI das urbane Leben der...

DWN
Politik
Politik EU-Ukraine-Finanzierung: Milliardenkredit ohne Zugriff auf russisches Vermögen – die Hintergründe
22.12.2025

Die EU sucht nach Wegen, die Ukraine finanziell zu stützen, ohne neue politische Bruchlinien in der Union zu erzeugen. Doch welche Folgen...

DWN
Finanzen
Finanzen DroneShield-Aktie: Drohnenabwehr boomt durch steigende Bedrohungslage
22.12.2025

Die DroneShield-Aktie legt nach starken Zuwächsen weiter zu. Neue Governance-Regeln stärken das Vertrauen der Anleger, während der Markt...

DWN
Politik
Politik Grönland: Trump ernennt Sondergesandten und verschärft den Ton
22.12.2025

Grönland rückt erneut ins strategische Visier Washingtons. Mit der Ernennung eines Sondergesandten sendet US-Präsident Donald Trump ein...

DWN
Politik
Politik Deutschland befindet sich in der größten Rentenkrise seit dem Zweiten Weltkrieg
22.12.2025

Hinter dem Fachkräftemangel wächst eine Rentenlücke, die Deutschlands Wohlstand und Europas Stabilität bedroht. Ein Topökonom warnt...

DWN
Finanzen
Finanzen Goldpreis auf Rekordhoch: Warum Gold zum Jahresende explodiert
22.12.2025

Gold glänzt wie lange nicht mehr. Der Goldpreis markiert neue Rekorde, während Unsicherheit, Notenbanken und geopolitische Risiken die...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft OECD: Aufstieg im Arbeitsmarkt für Zugewanderte besonders schwer
22.12.2025

Der OECD-Migrationsausblick 2025 zeigt, wie groß der Einkommensabstand zwischen Zugewanderten und Einheimischen in Deutschland ausfällt....

DWN
Panorama
Panorama Wirtschaftskrise durchkreuzt Winterurlaubspläne der Deutschen
22.12.2025

Hohe Preise, unsichere Konjunktur und veränderte Prioritäten prägen den Winter. Die Wirtschaftskrise zwingt viele Deutsche zu neuen...