Finanzen

Corona-Insolvenzwelle, Teil 5: Die erste deutsche Universität steuert auf die Pleite zu

Die durch die Corona-Pandemie ausgelösten Finanzprobleme machen auch vor dem deutschen Bildungssektor nicht Halt. Nun kämpft die erste Universität gegen die Zahlungsunfähigkeit.
03.07.2020 07:00
Lesezeit: 3 min
Corona-Insolvenzwelle, Teil 5: Die erste deutsche Universität steuert auf die Pleite zu
Absolventen den Jacobs University. (Foto: dpa) Foto: Ingo Wagner

Jacobs University in Bremen

Die Privatuniversität Jacobs University in Bremen ist in große Finanzschwierigkeiten geraten und steuert auf eine Insolvenz zu. Wie der Weser Kurier am Donnerstag berichtete, kann die vor 20 Jahren gegründete Universität nur noch durch einen Einstieg des Bundeslandes Bremen oder eines anderen Förderers vor der Pleite gerettet werden. Gelinge dies nicht, drohe im Herbst die Insolvenz und rund 400 Mitarbeiter könnten ihren Arbeitsplatz verlieren.

Auch für Bremen ergäben sich in diesem Fall große Herausforderungen. Denn laut einer vertraglichen Regelung aus dem Jahr 2001 müsste die Hansestadt sicherstellen, dass die derzeit etwa 1.600 Studenten der Universität an der Universität Bremen ihr Studium fortsetzen und einen Abschluss machen können. Im Verlauf eines möglichen Insolvenzverfahrens könnte die Stadt zudem die Kontrolle über das Uni-Gelände und der südlich daran angrenzenden Flächen verlieren. Dort sind Sportvereine ansässig, die bei einer möglichen Verwertung des Geländes im Zuge einer Insolvenz ihren Standort verlieren könnten.

In schweres Fahrwasser geraten war die Institution, weil sich der Hauptfinanzier, die in der Schweiz ansässige Stiftung Jacobs Foundation, aus der Uni zurückziehen will. Beträchtlich verschärft wurde die Situation zusätzlich noch durch die in Zusammenhang mit der Corona-Pandemie erlassenen Ausgangsbeschränkungen. Der Weser Kurier schreibt:

Die Reisebeschränkungen als Folge der Pandemie haben sowohl die Anwerbung neuer Studenten als auch die Nachfrage nach kommerziellen Fortbildungsangeboten für Führungskräfte aus der Wirtschaft stark zurückgeworfen. Obwohl die Jacobs-Stiftung bereits Teile ihrer Unterstützungszahlungen für 2021 vorab geleistet hat, droht demnach eine Insolvenz noch im dritten Quartal 2020. Gleichzeitig will sich die Stiftung aus der Trägerschaft der Einrichtung zurückziehen, und zwar bereits zum Jahresende.

Im Gegenzug bietet sie eine Schlusszahlung von 63 Millionen Schweizer Franken an. Dieser Betrag entspricht den noch ausstehenden Zuschüssen, zu denen sich die Stiftung bis 2027 in jährlichen Tranchen vertraglich verpflichtet hatte. Mit dem Geld wäre nach Einschätzung der Wissenschaftsbehörde die Liquidität der Jacobs-Uni bis Anfang 2023 gesichert und damit auch die notwendige Zeit gewonnen, um dem Grohner Campus eine Zukunft zu sichern – in welcher Form auch immer. Als eine mögliche Option gilt die Überführung der Privat-Uni ins öffentliche Hochschulsystem.

Es bleibt völlig offen, wie es in den kommenden Wochen weitergeht. Ob ein nun von der Bremer Wissenschaftsbehörde vorgeschlagenes mehrstufiges Übergabeprozedere Erfolg haben wird, dürfte sich spätestens im November zeigen.

Weitere Insolvenzmeldungen

Saarländischer Autozulieferer Nanogate: Insolvenz angemeldet, rund 1.800 Mitarbeiter betroffen.

Deutsche Tochter der schwedischen Modekette Gina Tricot: Insolvenz angemeldet, Zahl der betroffenen Mitarbeiter unbekannt.

Textilien-Produzent TWD Fibres GmbH im bayerischen Seebach: Insolvenz in Eigenverwaltung angemeldet, etwa 500 Mitarbeiter betroffen.

Lichttechnikproduzent Vossloh-Schwabe: Insolvenz in Eigenverwaltung angemeldet, etwa 1.000 Mitarbeiter betroffen.

Investmentfirma nev new energy values GmbH: Insolvenz angemeldet, hunderte Anleger bangen um ihr Geld, Medien bezeichnen den Fall als Anlegerskandal, Zahl der betroffenen Mitarbeiter unbekannt.

Schuhhändler Schuhkay: Insolvenz in Eigenverwaltung angemeldet, Zahl der betroffenen Mitarbeiter unbekannt.

Fritz Hiltl Hosenfabrik GmbH & Co. KG aus Amberg: Insolvenzantrag in Eigenverwaltung, Zahl der betroffenen Mitarbeiter unbekannt.

Schuhanbieter Sioux GmbH: Insolvenzantrag in Eigenverwaltung, Zahl der betroffenen Mitarbeiter unbekannt.

Neubrandenburger Spezialmaschinen- und Werkzeugbau GmbH: Insolvenz angemeldet, rund 220 Mitarbeiter betroffen.

Möbelbauer Bachmayer GmbH in Vilsbiburg: Insolvenz beantragt, 27 Mitarbeiter betroffen.

Wirecard: Mit dem Zahlungsdienstleister Wirecard musste im Juni erstmals ein im Dax gelisteter Konzern Insolvenz anmelden. Der in einen milliardenschweren Bilanzskandal verwickelte Konzern wird nun voraussichtlich in Einzelteilen verkauft. Der vorläufige Insolvenzverwalter Michael Jaffé meldete in der Nacht zum Mittwoch, dass sich bereits "zahlreiche Interessenten weltweit für den Erwerb von Geschäftsbereichen gemeldet" hätten. Der vorläufige Gläubigerausschuss hat demnach bereits grünes Licht für die internationale Suche nach Investoren unter Einschaltung von Investmentbanken gegeben. Der Betrieb bei Wirecard soll nach Möglichkeit nicht unterbrochen oder eingestellt werden: "Vordringlichstes Ziel im vorläufigen Insolvenzverfahren ist es, den Geschäftsbetrieb der Konzerngesellschaften zu stabilisieren", hieß es in der Mitteilung. Bei Wirecard arbeiten weltweit etwa 5.800 Menschen.

Jaffé hat Erfahrung mit großen Firmenpleiten, der Rechtsanwalt war in der Vergangenheit unter anderem Insolvenzverwalter des Kirch-Medienkonzerns. Einer eigenständigen Abspaltung von Wirecard-Tochterfirmen will Jaffé vorbeugen: "Dazu soll ein von der Muttergesellschaft konzertierter, strukturierter Transaktionsprozess unter Einschaltung auf verschiedene Bereiche spezialisierter Investmentbanken durchgeführt werden", hieß es in seiner Mitteilung. Die US-Tochter Wirecard North America - eine Gesellschaft, die ehedem der US-Großbank Citibank gehörte und erst 2016 von Wirecard übernommen worden war - hatte sich am Dienstag selbst zum Verkauf gestellt und ihre Autonomie betont.

Unterdessen mehren sich die Anzeichen, dass der Wirecard-Aufsichtsrat Ex-Vorstandschef Markus Braun eine erhebliche Mitverantwortung für die Affäre um mutmaßliche Luftbuchungen in Höhe von 1,9 Milliarden Euro gibt. Braun wurde nachträglich fristlos entlassen, wie aus einer Mitteilung des Aufsichtsrats vom Dienstagabend hervorgeht. Der Anstellungsvertrag des langjährigen Konzernchefs sei "mit sofortiger Wirkung" außerordentlich gekündigt worden, teilte Wirecard am Dienstagabend mit. Braun war zwar bereits vor knapp zwei Wochen zurückgetreten, doch enthalten Arbeitsverträge von Spitzenmanagern üblicherweise auch Regelungen für Abfindungen und Altersvorsorge.

Allerdings sind sowohl der Aufsichtsrat als auch die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY, die die Jahresbilanzen von Wirecard testierte, mit Klagen und Klagedrohungen wütender Anleger konfrontiert. Unangenehmen Fragen im Zusammenhang mit dem Wirecard-Skandal muss sich am Mittwoch auch Felix Hufeld, der Präsident der Finanzaufsicht Bafin, stellen. Hufeld sollte dem Finanzausschuss des Bundestags erklären, warum die mutmaßlichen Scheingeschäfte bei Wirecard unentdeckt blieben. So hatte die britische Financial Times seit 2015 immer wieder über Merkwürdigkeiten und Unregelmäßigkeiten bei Wirecard berichtet.

Nach derzeitigem Stand hatten Wirecard-Manager einen beträchtlichen Teil der Umsätze und Gewinne des Unternehmens in Südostasien und im Mittleren Osten frei erfunden. Die mutmaßlichen Scheingeschäfte wurden als Umsätze und Gewinne mit Subunternehmern verbucht, die angeblich im Auftrag von Wirecard Zahlungen abwickelten. Anfang vergangener Woche hatte Wirecard schließlich eingeräumt, dass insgesamt 1,9 Milliarden Euro Guthaben auf südostasiatischen Treuhandkonten mit "überwiegender Wahrscheinlichkeit" nicht existieren.

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