Im Streit um die in London gelagerten Goldreserven Venezuelas im Wert von rund 890 Millionen Euro hat ein britisches Gericht zugunsten des venezolanischen Oppositionsführers und selbst ernannten Interimspräsidenten Juan Guaidó entschieden. Das berichtete die britische Nachrichtenagentur PA am Donnerstag aus dem Londoner High Court.
Das Gold befindet sich in einem Tresor der Bank of England. Es wurde vom Vorstand der venezolanischen Zentralbank im Auftrag des regierenden Präsidenten Nicolás Maduro angefordert, um die Folgen der Coronavirus-Pandemie zu lindern. Die Bank of England verweigerte aber die Herausgabe, weil die Goldreserven auch von der selbsternannten Gegenregierung unter der Führung Guaidós beansprucht werden. Daraufhin verklagte die Regierung in Caracas die Bank of England auf Herausgabe der Vorräte.
Der High Court stellte nun fest, dass «die britische Regierung eindeutig Guaidó als Staatschef Venezuelas anerkennt». Daraus folge notwendigerweise, dass Maduro nicht mehr als Präsident Venzuelas betrachtet werde, so der zuständige Richter. Die Anwälte der Maduro-Seite kündigten umgehend an, in Berufung zu gehen.
Machtkampf geht weiter
Der Nationale Wahlrat in Venezuela hat ungeachtet der Corona-Krise für den 6. Dezember eine Parlamentswahl angesetzt und bringt damit Guaidó in ein Dilemma. Die Entscheidung für den Termin sei einstimmig gefallen, sagte die Vorsitzende, Indira Alfonzo. Der Wahlrat war erst im Juni vom Obersten Gericht ernannt und Alfonzo zu dessen Präsidentin bestimmt worden, seine Mitglieder sind dem regierenden Präsidenten Nicolás Maduro treu.
Die Opposition in dem südamerikanischen Krisenstaat läuft Gefahr, bei der Wahl ihre letzte Bastion zu verlieren. Das Parlament ist die einzige staatliche Institution in Venezuela, die von der Opposition kontrolliert wird. Maduro hat dem Parlament mittlerweile allerdings alle Kompetenzen entzogen und sie auf eine regierungstreue Verfassungsgebende Versammlung übertragen.
Boykottiert Oppositionsführer Guaidó die Wahl, riskiert er, seine Legitimation einzubüßen. Er sprach sich dennoch bereits gegen eine Beteiligung aus. „Wir Venezolaner erkennen keine Farce an, wie wir es im Mai 2018 nicht gemacht haben“, schrieb er auf Twitter. „Wir haben uns für ein Leben mit Würde und in Demokratie entschieden.“
Das einst reiche Venezuela – das Land mit den größten Rohölreserven der Welt – steckt in einer tiefen politischen und wirtschaftlichen Krise, die zuletzt durch die Corona-Pandemie noch einmal verstärkt wurde. Das Gesundheitssystem liegt am Boden; es fehlt an Lebensmitteln, Trinkwasser, Medikamenten und Treibstoff. Immer wieder fällt der Strom aus. Zahlreiche Ärzte haben wie Millionen Venezolaner ihre Heimat verlassen. Viele Militärs und Politiker sollen in kriminelle Geschäfte wie illegalen Bergbau und Drogenhandel verwickelt sein.
Vor eineinhalb Jahren erklärte sich Parlamentspräsident Guaidó selbst zum Übergangsstaatschef. Er forderte damit Maduro offen heraus und versucht seitdem, ihn aus dem Amt zu drängen. Zahlreiche Staaten - darunter Deutschland und die Vereinigten Staaten - erkennen ihn als legitimen Interimspräsidenten an. Trotz der internationalen Unterstützung konnte Guaidó sich bislang nicht durchsetzen. Maduro sitzt fest im Sattel, auch weil er das Militär auf seiner Seite, die Polizei im Griff und Verbündete wie Russland und China hat.
Guaidó bekam zudem einen neuen Rivalen. Das Parlament spaltete sich im Januar in Anhänger und Gegner der Maduro-Regierung auf. Parlamentarier der regierungstreuen Sozialistischen Einheitspartei und Abtrünnige des Oppositionsbündnisses wählten Luis Parra zum Vorsitzenden. Rund 100 Abgeordnete der Opposition bestätigten parallel dazu Guaidó. Eine Niederlage bei der Parlamentswahl könnte ihn wie eine Nicht-Teilnahme weiter schwächen.