Argentinien hat sich mit seinen Gläubigern auf eine Umschuldung geeinigt. Man habe mit den Gläubigergruppen eine Vereinbarung getroffen, die es ihnen ermögliche, den argentinischen Umschuldungsvorschlag zu unterstützen und dem Land einen erheblichen Schuldenerlass zu gewähren, teilte das argentinische Wirtschaftsministerium am Dienstag in Buenos Aires mit. Man habe die Konditionen des vorigen Angebots für die Gläubiger verbessert, indem man die Zahlungstermine für die Anleihen angepasst habe, hieß es. Die Details sollen bis zum 24. August unter Dach und Fach gebracht werden.
Die Schulden der zweitgrößten Volkswirtschaft in Südamerika galten zu den aktuellen Bedingungen als nicht mehr tragfähig. Deshalb hatte Argentinien von seinen privaten Gläubigern gefordert, auf einen Teil ihrer Forderungen von rund 66 Milliarden US-Dollar (rund 56 MIlliarden Euro) zu verzichten. Ohne eine Einigung hätte eine erneute Staatspleite gedroht. Es wäre der neunte Zahlungsausfall in der Geschichte des einst wohlhabenden Argentiniens gewesen. "Reich wie ein Argentinier" war um 1900 ein geflügeltes Wort.
Nach monatelangen Verhandlungen waren Argentinien und die Gläubiger zuletzt in eine Sackgasse geraten. Während das südamerikanische Land darauf beharrte, bereits das Maximum herausgeholt zu haben, erhöhten die Gläubiger den Druck. Am Wochenende hatten die argentinische Regierung und einige der wichtigsten Anleger die Verhandlungen argentinischen Medien zufolge wieder aufgenommen. Unter den Gläubigern sind große Investmentfonds wie Blackrock, Ashmore und Fidelity.
Die Übereinkunft, die sich kurzfristig positiv auf dem Finanzmarkt auswirkte, ist für Ökonomen nun ein Ausgangspunkt für weitere Maßnahmen, die die argentinische Regierung zur Stabilisierung und Wiederbelebung der heimischen Wirtschaft ergreifen muss. Spielraum bleibt dabei nur wenig. Zudem könnte Wirtschaftsminister Martín Guzmán als nächstes Verhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) aufnehmen, bei dem Argentinien mit 44 Milliarden Dollar verschuldet ist. Anders als die Gläubiger dürfte der IWF allerdings wirtschaftliche Reformen fordern, was in Argentinien böse Erinnerungen an den Zusammenbruch von 2001 auslöst und von den regierenden Peronisten nur schwer zu vertreten sein dürfte. Der Kreislauf aus Staatsbankrott, Krediten durch den IWF, noch höheren Schulden und erneutem Staatsbankrott ist inzwischen legendär.
Argentinien steckt in einer schweren Finanz- und Wirtschaftskrise. Die Inflationsrate betrug zuletzt mehr als 50 Prozent. Für das laufende Jahr rechnen Experten mit einem Rückgang der Wirtschaftskraft um rund zehn Prozent. Ende Mai hatte Argentinien Zinsforderungen in Höhe von 503 Millionen US-Dollar nicht beglichen und war dadurch in einen begrenzten Zahlungsausfall gerutscht.
Auch am Bosporus brennt es inzwischen gewaltig
Murat Uysal sollte die Türkei eigentlich aus Rezession und Währungskrise führen. Der von Präsident Recep Tayyip Erdogan auserwählte Chef der Notenbank hat ein Jahr nach seinem Amtsantritt aber nur wenige Erfolge vorzuweisen, im Gegenteil: Die Türkei kämpft nicht nur mit der Corona-Krise und deren wirtschaftlichen Folgen, sondern auch noch mit dem beschleunigten Kursverfall ihrer Währung: Die Lira fiel am Donnerstag auf ein Rekordtief zum Dollar von 7,28 Lira. Damit hat sie in diesem Jahr 18 Prozent an Wert eingebüßt.
Für das lange boomende Schwellenland mit seinen mehr als 80 Millionen Einwohnern sind das schlechte Nachrichten, schwächt doch die Talfahrt der Lira nicht nur die Kaufkraft der Verbraucher, sondern sie droht sich auch noch zu einer Bankenkrise auszuweiten. Die Türkei ist im Ausland stark verschuldet. Die Ratingagentur S&P schätzt, dass mehr als ein Drittel aller Kredite in Fremdwährungen aufgenommen wurden. Der Schwächeanfall der Lira verteuerte deshalb die Rückzahlung. Kommt es infolge der Abwertung der heimischen Währung zu massenhaften Kreditausfällen, haben die Banken ein Problem. Sie blieben dann auf einem Teil ihrer Forderungen sitzen und könnten selbst in Schwierigkeiten geraten.
Die Zentralbank stemmt sich verzweifelt gegen die Lira-Abwertung, doch sind ihr zunehmend die Hände gebunden. Ihre Währungsreserven fielen zuletzt von 81 auf nur noch 51 Milliarden Dollar. Seit vergangenem Jahr haben die Notenbank und staatliche Geldhäuser mehr als 110 Milliarden Dollar ausgegeben, um die heimische Währung am Devisenmarkt zu stützen. Gehen die Vorräte zur Neige, ohne das sich die Landeswährung stabilisiert, kann das zu einer weiteren Abwertung, Inflation und einem sich ausweitenden Leistungsbilanzdefizit führen. "Wir haben hier eine Menge Zutaten für eine ausgewachsene Krise", warnt Nikolay Markov, leitender Ökonom bei Pictet Asset Management.
Die Ursachen des Abwärtsdrucks der Lira sieht Commerzbank-Analystin Antje Praefcke vor allem in der mangelnden Inflationsbekämpfung der Zentralbank sowie einem Realzins im tiefroten Bereich. So fiel der maßgebliche Zins der Zentralbank in nicht einmal einem Jahr von 24 Prozent auf aktuell 8,25 Prozent, während die Inflationsrate bei zwölf Prozent liegt. "Wir gehen daher davon aus, dass die Lira tendenziell unter Druck bleiben wird", sagt die Expertin. Für das rohstoffarme und auf Importe angewiesene Land ist die schwächelnde Währung eine schlechte Nachricht. Denn dadurch verteuern sich die Einfuhren merklich. Das wiederum nagt an Unternehmensgewinnen und der Kaufkraft der Verbraucher.
Erschwert wird die Lage durch die Corona-Pandemie. Der wichtigen Tourismusbranche macht das Fernbleiben ausländischer Gäste zu schaffen, die normalerweise viel Geld und harte Devisen ins Land bringen. Im ersten Halbjahr 2020 brach die Zahl ausländischer Besucher um 75 Prozent auf 4,51 Millionen ein. Auch deshalb erwarten die von der Nachrichtenagentur Reuters befragten Ökonomen, dass das türkische Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr um mehr als vier Prozent fallen wird. Immerhin: Die Küstenregion mit den Tourismuszentren Antalya und Izmir gelten nicht mehr als Hochrisikogebiete, weshalb etwa die Bundesregierung ihre Reisewarnung inzwischen aufgehoben hat.
Murat Uysal bleibt als Ausweg aus der Währungsmisere eigentlich nur eine deutliche Anhebung der Zinsen, um die Lira wieder attraktiver zu machen. Ob er damit das Wohlwollen von Präsident Erdogan gewinnt, ist allerdings fraglich. Dieser hat sich wiederholt als "Zinsfeind" bezeichnet und auf kräftige Senkungen gedrungen, um mit billigerem Geld die Wirtschaft anzuschieben.
Beirut: Explosion trifft das Land zur Unzeit
Der Libanon kann die Folgen der verheerenden Explosionskatastrophe in Beirut der Regierung zufolge ohne finanzielle Hilfe kaum bewältigen. "Die Kapazität des Staates ist sehr begrenzt, ebenso wie die der Zentralbank und der Banken", sagte Wirtschaftsminister Raoul Nehme am Donnerstag dem TV-Sender Sky News Arabia. Zwar liefen die Hilfen vieler Länder an, aber der Schaden der Explosion im Hafen der Hauptstadt belaufe sich auf mehrere Milliarden Dollar. Eine Zusammenarbeit mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) sei der einzige Ausweg für den Libanon. Dem Land macht schon seit längerem eine schwere Wirtschaftkrise und hohe Arbeitslosigkeit zu schaffen.
Die dpa berichtet in einem Korrespondentenbericht:
Die Einwohner Beiruts sind Kummer gewohnt. Doch die Explosion im Hafen der Stadt am Mittelmeer war so mächtig, dass sie alles in den Schatten stellt, was die Menschen bislang erlebt haben. Die Bilder und Videos von der Detonation erinnern an den Abwurf einer Atombombe. Ein riesiger Pilz aus Staub schießt am Dienstag in den Himmel. Die Druckwelle ist so gewaltig, dass sie Hochhäuser zerstört, Autos zertrümmert und Menschen zu Boden schleudert. Zurück bleibt ein Bild der Verwüstung. Und eine Stadt unter Schock.
Der Hafen, die Lebensader des Landes, liegt zu großen Teilen in Schutt und Asche. Das ganz Ausmaß des Schreckens zeigt eine Luftaufnahme des US-Senders CNN: Die Detonation sprengte einen großen Teil von Getreidesilos im Hafen. Und sie riss einen riesigen Krater auf, der sich mit Meerwasser füllte.
Auch die angrenzenden Wohngebiete, darunter Beiruts berühmte, beliebte und oft belebte Ausgehviertel, sind zerstört. Kein Gebäude bleibt ohne Schäden. Hochhäuser sehen aus wie ausgebrannte Skelette. Selbst in Orten rund 20 Kilometer von Beirut entfernt gingen Fensterscheiben zu Bruch.
Auch die Opferzahl ist verheerend: Mindestens 135 Menschen starben, etwa 5000 wurden verletzt. Beiruts Gouverneur Marwan Abbud schätzt, dass bis zu 250 000 Einwohner ihre Wohnungen verloren haben. Der Politiker war so verzweifelt, dass er bei einem Besuch am Unglücksort vor laufender Kamera in Tränen ausbrach.
Ein Geruch von Tod und Blut liegt auch noch am Mittwoch, einen Tag nach der Explosion, über der Stadt. Menschen fegen die Scherben zusammen, die überall auf den Straßen liegen. Manche sprechen von einer «Apokalypse». «Wir haben einen Bürgerkrieg erlebt, wir haben schon früher Bomben gehört», sagt der Ingenieur Sam Saidan in der Nähe des Hafens. «Aber nichts war wie das hier.» Auch Mohammed al-Hadsch, Besitzer eines kleinen Ladens, klagt: «Wir erleben ohnehin schlimme Zeiten. Und das kommt jetzt auch noch obendrauf.»
Schon vor der Explosion war die Wut der Menschen auf die libanesische Machtelite groß. Jetzt ist sie noch weiter gewachsen. Eine Frau, die auf ihrem beschädigten Balkon steht, weint und brüllt: «Präsident, Regierung und Parlament sollten sofort zurücktreten.»
In den Kliniken spielten sich Szenen der Verzweiflung ab. Das ohnehin geschwächte Gesundheitssystem des Landes war mit der Versorgung einer so großen Zahl von Opfern überfordert. Ein älterer Mann saß am Dienstagabend vor dem Krankenhaus der Amerikanischen Universität und wartete auf eine Behandlung, der Körper mit Blut bedeckt. «Ich war in der Küche am Kochen, als ich plötzlich in Richtung des Wohnzimmers geschleudert wurde», erzählt er. «Erst dachte ich an ein Erdbeben. Meine Wand stürzte ein, Glassplitter fielen auf mich herab.»
Offenbar gab es im Hafen zunächst eine erste Explosion, gefolgt von kleineren, wie bei einem Feuerwerk. Auf Videos ist eine Rauchwolke zu sehen, die aufsteigt. Feuer bricht aus. Dann folgt die zweite, verheerende Detonation, die die massiven Schäden anrichtet.
Eine Frage überschattet alles: Wie konnte es zu dieser gewaltigen Explosion kommen? Schnell verbreiteten sich Gerüchte, das verfeindete Nachbarland Israel habe die libanesische Schiitenorganisation Hisbollah bombardiert. Dafür gibt es aber keine Hinweise. Vieles spricht für ein Unglück in Folge von Fahrlässigkeit. Möglicherweise wurde die Explosion durch eine große Menge Ammoniumnitrat ausgelöst, die seit Jahren im Hafen von Beirut gelagert worden sein soll. Genaues soll eine Untersuchung der Detonation ergeben.
Der Libanon ist ohnehin ein geplagtes Land. Erst brach eine Wirtschaftskrise über die Menschen herein, die schlimmste seit dem Ende des 15-jährigen Bürgerkrieges vor rund 30 Jahren. Dann verschärfte die Corona-Pandemie die Lage noch weiter. Die nationale Währung, das libanesische Pfund, ist abgestürzt. Große Teile der Bevölkerung sind unter die Armutsgrenze gerutscht und wissen nicht mehr, wie sie sich und ihre Familien ernähren sollen. Sie geben dafür einer korrupten Machtelite die Schuld, die sich dem Vorwurf ausgesetzt sieht, das Land hemmungslos geplündert zu haben.
Beobachter warnen nun vor weiteren Versorgungsengpässen. Der Libanon hängt wie die Türkei stark von Lieferungen aus dem Ausland ab, die in erheblichem Maße über den jetzt zerstörten Hafen liefen. «Diese Explosion ist der Sargnagel für die Wirtschaft des Libanons und für das Land im Allgemeinen», prophezeit der Analyst Makram Rabah. Die Menschen könnten ihre Häuser nicht wieder aufbauen, weil ihnen das Geld fehle. In Beiruts Hafen seien unter anderem Getreidesilos zerstört worden. «Wenn wir uns die Zerstörung dieser Silos anschauen, dann bedeutet das, dass wir auf eine Hungerkrise und Engpässen bei Brot zusteuern.»
Einer Frau, die direkt gegenüber des Hafens lebt, steht der Schock auch am Tag danach noch ins Gesicht geschrieben. «Wir sind obdachlos, wir sind am Ende», schreit sie. «Ich wünschte, ich wäre gestorben.»