Weltwirtschaft

Das Großraumbüro ist out – und der Hype um die Heimarbeit entpuppt sich als Falle

Lesezeit: 5 min
08.08.2020 07:00
Im Zuge der Corona-Krise findet ein fundamentaler Wandel in der Arbeitsorganisation nahezu aller Unternehmen statt. Doch die Fokussierung auf die Frage, wie künftig gearbeitet werden soll, führt auf einen gefährlichen Holzweg und verdeckt den Blick auf die wahrhaft dringenden Aufgaben, schreibt Ronald Barazon.
Das Großraumbüro ist out – und der Hype um die Heimarbeit entpuppt sich als Falle
Eine Frau arbeitet zuhause. (Foto: dpa)

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Kurze Zeit schien es, als ob einer der großen Fehler des modernen Managements durch die Corona-Krise in Frage gestellt werde: Das Großraumbüro geriet in Misskredit, weil in diesen Anlagen die Ansteckungsgefahr besonders groß ist. Man werde, so hieß es vielfach, andere Lösungen suchen müssen. Dieser erfreuliche Ansatz wird mittlerweile von einem anderen, noch größeren Management-Fehler in den Hintergrund gedrängt: Angesichts der Krise scheint es nur eine Antwort zu geben, man kündigt hunderte oder gar tausende Mitarbeiter ohne sich zu überlegen wie man die Fähigkeiten dieser Personen nützen könnte. Beide Phänomene haben eine Ursache: Die einzelne Mitarbeiterin, der einzelne Mitarbeiter werden in sehr vielen Fällen nicht als Menschen mit besonderen Qualitäten gesehen, sondern als Erfüllungsgehilfen, kurzum, als Nummern in einem Räderwerk.

Kreativität und Individualität können sich in einem Großraumbüro nicht entwickeln

Dieses Grundmuster steht im diametralen Gegensatz zu den ständig wiederholten Herausforderungen des modernen Managements:

  • Es gilt die Kreativität der Menschen anzusprechen und dem Unternehmen nutzbar zu machen.
  • Jeder Arbeitsplatz ist ein wesentliches Element im Betrieb.
  • Die Motivation der Einzelnen ist der Erfolg der gesamten Firma.

Betrachtet man nun ein gängiges Großraumbüro, so ist schwer nachvollziehbar, wie sich jemand in diesem Umfeld entwickeln soll. Während im Tierschutz die Bekämpfung der Massentierhaltung sogar einige Erfolge verzeichnet, zeigt ein Großraumbüro folgendes Bild:

  • Auf 400 und mehr Quadratmeter arbeiten 50, 60 oder mehr Menschen.
  • Der Lärm ist unerträglich, weil die Telefonate und Gespräche der Nachbarn unüberhörbar sind.
  • Die Raumbreite von 14,5 oder 15 Metern hat groteske Folgen:
    • Gibt es keine Raumteiler, so löst das Öffnen eines Fensters einen Sturm aus. Also muss eine Klimaanlage alle gleichermaßen beglücken, jene, die bei 24 Grad noch frösteln und andere, die 21 Grad für zu warm erachten.
    • Sind Raumteiler vorhanden entstehen unterschiedliche Klima-Bereiche mit Luftbewegungen über die Arbeitskojen hinweg, die alle belasten.
  • Alle drängen zu den Fenstern, sodass in der Mitte, wo kein Tageslicht zu sehen ist, eine tote Zone entsteht, für die krampfhaft eine Funktion gesucht wird.
    • Skurril: Die Vorkämpfer des Großraumbüros erklären, dass der Platz besonders gut genützt werde und man daher wirtschaftliche Vorteile hätte.

Die sonderbaren Vorstellungen von funktionierender Kommunikation

Angesichts dieser Faktoren ist schwer nachvollziehbar, wieso das Konzept des Großraumbüros sich durchgesetzt hat. Die Anhänger erklären, in diesen Anlagen würde sich die Kommunikation prächtig entwickeln. Man staunt.

  • Wenn eine Mitarbeiterin gerade an einem Konzept für einen Kunden arbeitet, ein anderer Ergebnisse der Vormonate analysiert und eine dritte ein heikles Telefonat führt, sind die drei wohl kaum an einer Kommunikation interessiert.
  • Kommunikation kann wohl nur in einem dafür geeigneten Raum stattfinden, wo Kollegen, die an einem Projekt arbeiten oder sonstige, einander ergänzende Aufgaben haben, zusammentreffen. Die anderen sollte man in Ruhe arbeiten lassen.
  • Um Missverständnissen vorzubeugen: Es gibt kein Patentrezept, es erfordert in jedem einzelnen Fall ein kluges Aufeinander-Abstimmen von ruhigen Plätzen und offener Kommunikation. Keine Lösungen sind das simple Einrichten eines Großraumbüros oder die generelle Unterbringung in Einzelzimmern.
  • Oder geht es nicht um Kommunikation? Will man nur sicher sein, dass ein ruhiges Büro, in dem nur ein oder zwei Kollegen sitzen, nicht missbraucht werden kann, um zu plaudern oder gar Videos zu schauen? In der Öffentlichkeit des Großraumbüros ist das nicht möglich.

In diesen Tagen stehen weltweit zahllose Großraumbüros gänzlich leer oder werden von einzelnen Mitarbeitern benützt, die irgendwie verloren wirken. Die übrigen Kollegen sind in die Home-Offices übersiedelt, die Kontakte finden jetzt innerhalb des Betriebs und mit den Kunden über Telefonate und Video-Konferenzen statt.

Home-Office - der trügerische Weg in eine Schein-Freiheit

Der Kontrast könnte nicht größer sein: Aus dem Massenbetrieb kippte die Arbeits-Organisation in die totale Individualisierung. Alle entscheiden großteils über ihre Zeiteinteilung, die Arbeit und das Privatleben fließen ineinander. Die Situation erinnert an vergangene Zeiten, als arbeiten und wohnen an einem Ort stattfanden, etwa in der Landwirtschaft oder im Handwerk. Die dramatischen Konsequenzen der Neuerung zeichnen sich schon ab.

  • Viele Manager, die das Großraumbüro wegen der günstigen Kosten schätzen, denken jetzt anders: Das Home-Office würde den Bedarf an Bürofläche verringern und folglich Kosten sparen. Also sollte das Arbeiten von zu Hause jedenfalls an Bedeutung gewinnen und eine Kombination von Anwesenheit im Büro und Home-Office praktiziert werden.
  • Die Mitarbeiter, die dem Druck des Großraumbüros entkommen, schätzen die Neuerung, weil sie für Bequemlichkeit sorgt und Freiräume schafft.
  • Allerdings ist noch nicht allen klar, in welche Richtung diese Neuorientierung weist.
    • Im Home-Office agiert man ähnlich wie ein Selbstständiger. Also könnten die Unternehmen darauf drängen, dass dies auch rechtlich so gesehen wird. Der Home-Office-Mitarbeiter wird zum Selbstständigen, der Leistungen erbringt, für die das Unternehmen zahlt. Steuern und Sozialversicherungsbeiträge hätten jeder und jede selbst zu entrichten. Der Arbeitnehmer-Status ginge verloren.
    • Betriebe, die ihre Belegschaften verkleinern wollen, müssten keine Kündigungen vornehmen. Es würde genügen, die Home-Office-Selbstständigen weniger oder gar nicht zu beschäftigen.
  • Der Weg aus dem Großraumbüro in das Home-Office, der wie ein Weg in die Freiheit wirkt, kann sich also leicht als Bumerang erweisen. Davon können viele Selbstständige, die als Ein-Personen-Unternehmen EPU agieren, ein Lied singen: Viele sind, lange vor Corona, aus dem Massenbetrieben geflohen und tun sich oft schwer auf dem freien Markt. Zu oft ist ihre Wirtschaftsleistung geringer als früher im Unternehmen, sodass hier ein generell wirkendes Problem entstanden ist und durch Corona noch größer werden dürfte.

Eigenständig kreativ sein versus im Räderwerk des Betriebs funktionieren

Dieser Blick in die Realität des unternehmerischen Alltags zeigt allerdings nur die Oberfläche. Tatsächlich liegt das Problem tiefer und sorgt für enorme Herausforderungen.

  • Das bereits angesprochene Bekenntnis zur Kreativität und zum individuellen Beitrag der Einzelnen stellt das Management und die Mitarbeiter vor eine fast unlösbare Aufgabe.
    • Ein Betrieb funktioniert nicht, wenn jede und jeder nach Belieben agiert. Alle müssen sich an die vorgegebenen Abläufe halten, da sonst das Chaos ausbricht.
    • Aber: Niemand soll gedanken- und kritiklos Befehle ausführen. Gefragt sind gute Ideen, die neue Perspektiven eröffnen.
    • Dieser totale Widerspruch ist für Viele nicht auflösbar und so sind Manager in der Regel zufrieden, wenn ihre Anweisungen befolgt werden.
    • Auch die Mitarbeiter sind meist mit dieser Konstellation einverstanden, weil jede Verantwortung nach oben delegiert wird, solange man nur die Wünsche des Vorgesetzten erfüllt. Bis zurück zur Schule geht die Erfahrung, dass man bei halbwegs guten Noten und prompter Lieferung der Hausaufgaben ein ruhiges Leben hat.
  • Wie sollen unter diesen fundamentalen Bedingungen neue Initiativen erschlossen, die Digitalisierung umgesetzt und der Klimawandel korrigiert werden?

Das Management ist mehr denn je gefordert, den Spagat zwischen funktionierender Organisation und Erschließung neuer Wege zu schaffen. Dieses Ziel kann wohl nur in einem dynamischen Prozess gelingen, der eine Vielfalt von Varianten ergeben sollte. Das selbe Konzept kann nicht für ein Call-Center, eine Werbeagentur, die Schadenabteilung einer Versicherung, die Leitung einer Bank oder eine Zeitungsredaktion angemessen sein.

Der Fokus auf Sparen führt nicht in die Zukunft, nur die Innovation entscheidet

Vor allem müssen die Unternehmensleiter selbst in erster Linie zeigen, wie es weitergeht, wie das Unternehmen in drei Monaten oder in einem Jahr aussehen soll. Leider dominieren defensive Antworten.

  • Die erste und oft gewählte Antwort auf eine schwierige Situation besteht in einem Sparprogramm. Man geht von den Umsätzen der Vergangenheit aus und kalkuliert, wieviel Gewinn zu machen wäre, wenn man die Belegschaft reduziert und die Sachkosten durch Automatisierung verringert.
  • Der nächste Schritt besteht in einer spektakulären Mitteilung an die Öffentlichkeit und der Kündigung von hunderten, von tausenden Mitarbeitern.
  • Dass die Umsätze von gestern sich morgen nicht wiederholen, dass die Probleme in der Regel aus einer mangelhaften Organisation, einem nicht marktgerechten Angebot kommen, wird negiert.
  • Die einzig entscheidende Antwort fehlt oft: Wie wird das Unternehmen in Zukunft aussehen? Mit welchen Produkten und Dienstleistungen will man den Markt überzeugen? Nur diese Themen sind interessant und können Mitarbeiter und Kunden motivieren.
  • Dass dennoch immer wieder Sparmaßnahmen notwendig sind, steht außer Zweifel, da sich ständig Rationalisierungen als notwendig erweisen.
  • Nur: Die Botschaft darf nicht lauten „Einsparen“, Sparen ist ein ständig gegebenes Erfordernis um die Kosten im Griff zu behalten, Sparen ist kein Management-Konzept, die Botschaft muss lauten „Innovation und Zukunft“.

Manche werden einwenden, dass diese Argumentation in normalen Zeiten gelten mag, aber jetzt in der katastrophalen Corona-Krise wäre dieser Zugang illusorisch. Diesem Einwand sei widersprochen: Gerade jetzt sind die hier formulierten Ansätze am Platz und auch umsetzbar. In dem erstarrten Markt haben nur neue Ideen Erfolg. Geld ist genug im Markt verfügbar und zudem pumpen die EU und die Zentralbank Milliarden in die Wirtschaft. Eine Umstellung der Personal-Führung in eine Kombination aus strikter Befolgung von Anweisungen und der Einbindung der Kreativität der Mitarbeiter ist in dem nun notwendigen Zusammenspiel von Büro und Home-Office ohnehin notwendig. Noch einmal: Das ist nicht einfach und kann nicht nach einem Schema erfolgen, sondern muss auf die Gegebenheiten in den einzelnen Unternehmen abgestellt werden. Mit der Beschränkung auf Sparmaßnahmen sägt die Wirtschaft den Ast ab, auf dem sie sitzt: Die massenhaft gekündigten Mitarbeiter fehlen als Konsumenten und verschärfen die Krise. Selbstverständlich kann man von einer Firma, die ums Überleben kämpft, nicht verlangen, dass sie unfinanzierbare Kosten weiterschleppt. Aber man kann und muss von jedem Unternehmensleiter und jeder Unternehmensleiterin verlangen, dass sie eine Perspektive für die Zukunft aufzeigen.

                                                                            ***

Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er ist einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitschrift „Der Volkswirt“ sowie Moderator beim ORF.



 

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