Politik

„Es ist zu früh, die Korken knallen zu lassen“: EU-Milliardenpaket hat zwei große Schwächen

Willem Buiter über die zwei großen Schwächen des EU-Rettungspakets.
15.08.2020 08:14
Lesezeit: 3 min
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Nach zähen Verhandlungen zwischen den Regierungen der Mitgliedstaaten im vergangenen Monat feiern die Regierungschefs der EU nun ihre Einigung über ein Rettungspaket im Umfang von 750 Milliarden Euro für die von der COVID-19-Krise besonders betroffenen EU-Länder. Doch ist es verfrüht, jetzt die Korken knallen zu lassen. Der Plan für den Wiederaufbaufonds mit Namen „Next Generation EU“ hat zwei große Schwächen, die ihn nicht nur ineffektiv, sondern sogar zu einer Bedrohung für die Eurozone machen.

Next Generation EU ist nicht nur zu klein, sondern es mangelt ihm zudem an wichtigen Vergabevoraussetzungen zur Sicherstellung finanzpolitischer Nachhaltigkeit, darunter einem Mechanismus zur geordneten Umstrukturierung staatlicher Schulden (SDRM). Die Zuschusskomponente des Wiederaufbaufonds in Höhe von 390 Milliarden Euro beläuft sich auf bloße 2,8% vom BIP der EU27 des Jahres 2019. Und selbst wenn man die Kreditkomponente in Höhe von 360 Milliarden Euro und die 100 Milliarden Euro an Krediten aus dem SURE-Programm (einem Programm zur Minderung von Arbeitslosigkeitsrisiken in einer Krise) noch dazu zählt, sind es insgesamt bloße 6,1% vom BIP.

Noch schlimmer ist, dass, obwohl die in Haushaltsschwierigkeiten steckenden Regierungen sofort finanzielle Unterstützung benötigen, der Wiederaufbaufonds das Geld nicht vor 2021 zur Verfügung stellen wird. Und dann sollen die bereitgestellten 750 Milliarden Euro für drei Jahre reichen. (Das relativ unwichtige SURE-Programm ist bereits angelaufen.) Auch können die europäischen Regierungen kaum Hilfe aus dem EU-Haushalt für 2021-2027 EU erwarten, der sich auf nicht mehr als 1,1% vom jährlichen BIP der EU beläuft und keine zusätzlichen Finanzmittel für die COVID-19-Krise zur Verfügung stellen soll.

Sicherlich könnte Next Generation EU aus langfristiger Sicht bedeutsam sein, wenn es einen Präzedenzfall entweder für zwischenstaatliche finanzpolitische Umverteilungsprogramme oder (vorzugsweise) eine supranationale finanzpolitische EU-Fazilität schaffen würde. Eine neue gemeinsame Fazilität, die im Einklang mit klaren Regeln Kredite aufnehmen, Geld ausgeben und Steuern erheben könnte und dem Europäischen Rat und dem Europaparlament gegenüber ordnungsgemäß Rechenschaft ablegen würde, wäre ein wichtiger Schritt voran. Doch ist dieses Ergebnis extrem unwahrscheinlich. Schließlich vergibt die EU an nicht zur Eurozone gehörende Mitgliedstaaten seit 2002 Kredite im Rahmen der Zahlungsbilanzfazilität, und selbst das hat keine Weiterentwicklung der EU-Haushaltskapazität ausgelöst.

Was grenzübergreifende finanzpolitische und finanzielle Unterstützung angeht, liegen die Positionen der Sparsamen Vier (Österreich, Dänemark, Niederlande und Schweden) und der Regierungen südlicher EU-Länder wie Italien, Portugal und Spanien weit auseinander. Daher ist es extrem unwahrscheinlich, dass Next Generation EU zu einer echten Fiskalunion führt. Zudem hat der Europäische Rat klargestellt, dass es sich bei dem Fonds um „eine außergewöhnliche Reaktion“ auf „vorübergehende, aber extreme Umstände“ handelt und dass „die Befugnisse zur Mittelaufnahme“ der Europäischen Kommission „hinsichtlich Höhe, Dauer und Umfang klar begrenzt“ sind.

Aufgrund des Fehlens nationaler geldpolitischer Instrumente wird der Mangel an einer diesen Namen verdienenden EU- oder auch nur Eurozone-weiten finanzpolitischen Fazilität beide Gruppierungen (insbesondere die Eurozone) einem ständigen Risiko nationalstaatlicher Zahlungsausfälle aussetzen. Tatsächlich kommt im Falle der Eurozone die Logik der „modernen geldpolitischen Theorie“ zur Anwendung.

Wenn die Schulden eines Landes auf dessen eigene Währung lauten und es eine nationale Zentralbank hat, die letztlich dem nationalen Finanzministerium untersteht, ist ein staatlicher Zahlungsausfall eine Entscheidung und nicht erzwungen. Doch die Mitgliedstaaten der Eurozone können sich nicht auf eine nationale Zentralbank stützen, um ihre jeweilige Staatsverschuldung zu monetisieren. Weil ihre Schulden faktisch auf eine Fremdwährung lauten, kann es zu erzwungenen staatlichen Zahlungsausfällen kommen.

Da die Schuldenlast der in Haushaltsschwierigkeiten steckenden Mitgliedstaaten stetig steigt, ist das keine weit hergeholte oder marginale Sorge. Es ist absolut unverzichtbar, dass die Zuschüsse und Kredite im Rahmen von Next Generation EU nur unter der Voraussetzung finanzpolitischer Nachhaltigkeit vergeben werden; das jedoch scheint nicht der Fall zu sein.

Positiver ist, dass die Haushaltsregeln des Stabilitäts- und Wachstumspaktes (der keine Zuschüsse oder Kredite vorsah) ausgesetzt wurden. Sie sollten nun dauerhaft abgeschafft und durch die Voraussetzung finanzpolitischer Nachhaltigkeit für alle von einer zentralen EU-Finanzbehörde angebotenen Finanzmittel ersetzt werden.

Doch selbst der ehrgeizigste politisch umsetzbare europäische finanzpolitische Hilfsmechanismus dürfte nicht ausreichen, um weitere staatliche Zahlungsausfälle insbesondere in der Eurozone zu verhindern. Um eine weitere Schuldenkrise griechischen Stils zu vermeiden, braucht die EU einen geordneten SDRM. Der beste Weg dorthin besteht in der Umwandlung des Europäischen Stabilitätsmechanismus in einen Europäischen Währungsfonds (EWF), der dann die Befugnis erhalten sollte, in finanziellen Schwierigkeiten steckenden Mitgliedstaaten der Eurozone an Bedingungen geknüpfte finanzielle Unterstützung zu leisten, die im Einklang mit der vom EWF durchgeführten Tragfähigkeitsanalyse für die Schulden steht.

Ein derart strukturierter EWF sollte imstande sein, alle erforderlichen Umstrukturierungen staatlicher Schulden auf geordnete Weise zu bewältigen. Er könnte ein Zahlungsmoratorium verhängen und Minderheitsgläubiger zwingen, eine von einer qualifizierten Mehrheit bewilligte Übereinkunft zu akzeptieren. (Natürlich müssten Kollektivklauseln, die nur einzelne Schuldverträge abdecken, durch umfassende Aggregationsklauseln abgeändert werden.)

Alle vom EWF oder von vom EWF genehmigten Parteien neu ausgegebenen Schulden sollten Vorrang vor ausstehenden Schulden genießen. Um sicherzustellen, dass dem EWF nicht die Liquidität ausgeht, sollte er eine (von den Mitgliedstaaten der Eurozone garantierte) Kreditlinie bei der Europäischen Zentralbank haben. Der Umfang der Kreditlinie könnte mit qualifizierter Mehrheit der Regierungen der Eurozone beschlossen werden, und zwar am ehesten durch die Eurogruppe der Finanzminister.

Mit einem deutlich größeren antizyklischen Wiederaufbaufonds, ordnungsgemäßen Vergabevoraussetzungen zur Sicherstellung finanzpolitischer Nachhaltigkeit und einem effektiven SDRM gäbe es noch Hoffnung für die Eurozone und die EU. Ohne diese Reformen wird immer die Gefahr eines Auseinanderbrechens bestehen.

Aus dem Englischen von Jan Doolan

Willem H. Buiter ist ehemaliger Chefökonom der Citigroup und gegenwärtig Gastprofessor an der Columbia University.

Copyright: Project Syndicate, 2020.

www.project-syndicate.org

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Willem H. Buiter

Willem H. Buiter ist außerordentlicher Professor an der renommierten Columbia University, ehemaliger Chef-Volkswirt des Finanzdienstleisters "Citigroup" und ehemaliges Mitglieder des geldpolitischen Ausschusses der Bank of England. Er ist sowohl britischer als auch amerikanischer Staatsbürger. 
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