Politik

Libyen, Waffen, Geheimdienste: Das dubiose Doppelleben des Wirecard-Managers Marsalek

Einem Bericht zufolge wollte der Wirecard-Manager Jan Marsalek eine Söldner-Truppe mit 15.000 Mann aufbauen, um im Süden Libyens die Migrationsströme einzudämmen.
07.08.2020 14:33
Aktualisiert: 07.08.2020 14:33
Lesezeit: 2 min
Libyen, Waffen, Geheimdienste: Das dubiose Doppelleben des Wirecard-Managers Marsalek
20.07.2020, Bayern, Aschheim: Der Schriftzug von Wirecard ist an der Firmenzentrale des Zahlungsdienstleisters in Aschbeim bei München zu sehen. (Foto: dpa) Foto: Peter Kneffel

„Es war Anfang 2018, als Jan Marsalek, der junge Chief Operating Officer des deutschen Fintech-Riesen Wirecard, in seinem Palasthaus in München ein Treffen abhielt, um über ein neues Sonderprojekt zu sprechen, an dem er interessiert war: die Rekrutierung von 15.000 libyschen Milizsoldaten“, so die Financial Times (FT) in einem Exklusivbericht.

Marsalek ist jetzt nach der Enthüllung des Wirecard-Skandals abgetaucht. Ein internationaler Haftbefehl wurde gegen ihn erlassen. Die deutsche Staatsanwaltschaft betrachtet ihn als einen der Hauptverdächtigen in einem gewaltigen Betrugs-Skandal, bei dem jahrelang die Bilanz und die Gewinne des Zahlungsunternehmens aufgebläht wurden und dazu beitrugen, das Unternehmen in den prestigeträchtigen Dax 30-Index aufzunehmen. Wie jedoch Dokumente und Aussagen von Zeugen aus erster Hand zeigen, gingen die Interessen von Marsalek weit über die unorthodoxe Rechnungslegung hinaus, so die FT.

Bei Wirecard fehlen insgesamt 1,9 Milliarden Euro, die der Konzern in seiner Jahresbilanz 2019 auf der Habenseite verbuchen wollte - das Ergebnis wahrscheinlich nicht existierender Luftgeschäfte mit Subunternehmern in Südostasien und im Mittleren Osten.

Der 40-jährige Österreicher Marsalek habe mehrere Leben geführt, mit komplizierten und sich überschneidenden wirtschaftlichen und politischen Interessen. Manchmal sollen sich diese Interessen an die aggressiven Expansionspläne von Wirecard in den Grenzmärkten orientiert haben. Manchmal sollen sie mit Marsaleks eigenen weitläufigen und ungewöhnlichen persönlichen Investitionen zusammengefallen sein. Und manchmal schienen sie gut zur Arbeit der russischen Geheimdienste zu passen. Deshalb stehe Marsalek nun im Fokus von drei westlichen Geheimdiensten.

Seit 2015 soll Libyen ein Betätigungsfeld für Marsaleks Aktivitäten gewesen sein. In den vergangenen sechs Monaten hat die FT mit einem halben Dutzend Personen gesprochen, die direkt mit Marsalek an Projekten im nordafrikanischen Land gearbeitet haben. Aus E-Mails und offiziellen Dokumenten geht hervor, dass der Wirecard-Guru in mehreren Konfliktgebieten aktiv gewesen ist, aber auch Investitionen vor Ort hat.

Seine Bekannten äußerten sich gegenüber der FT unter der Bedingung der Anonymität. Eine Person meint, dass er niemals einschätzen konnte, ob Marsalek ihm etwas vorgespielt habe oder nicht.

„Ein anderer erinnert sich an ein Mittagessen im Juni 2017 in der ,Käfer-Schänke‘ in München, einem Luxusrestaurant, das ein beliebter Treffpunkt von Marsalek war. An einem Tisch aus gestärktem Leinen und makellosen Kristallgläsern prahlte Marsalek mit einer Reise, die er unternommen hatte - zu den Wüstenruinen von Palmyra in Syrien als Gast des russischen Militärs. Er war dort mit ,den Jungs‘, gleich nachdem sie es vom IS zurückerobert hatten, sagte er, und es war eine fantastische Erfahrung gewesen.“

Die FT fährt fort: „Die Prinzregentenstraße 61 wurde von Marsalek als sein Zuhause beschrieben. Aber die riesige Stadtvilla, die gegenüber dem russischen Konsulat in München steht, war innen wie außen streng verschönert. Die Gäste wurden von einer Assistentin begrüßt und in den makellosen Salon geführt. Polierte Böden und strahlend weiße Wände, spartanisch, wenn auch auffällig, mit modernen Kunstwerken geschmückt, gaben dem Ort eine unheimliche Formalität, erinnern sich Besucher (…) Der offizielle Zweck des Treffens in der Prinzregentenstraße 61 im Februar 2018 war die Erörterung des humanitären Wiederaufbaus in Libyen. Monate zuvor hatte Marsalek durch Kontakte, die er bei der Österreichisch-Russischen Freundschaftsgesellschaft geknüpft hatte - einer Organisation, die von der russischen Regierung unterstützt wird, um die Vernetzung hochrangiger politischer Entscheidungsträger in beiden Ländern zu fördern - eine kleine Gruppe österreichischer Sicherheits- und internationaler Entwicklungsexperten für sein Projekt zusammengebracht.“

Doch den Teilnehmern soll schnell klar geworden sein, dass es nicht um den Wiederaufbau Libyens, sondern um etwas anderes ging. Marsalek plante, eine libysche Söldner-Truppe mit 15.000 Mann aufzubauen, um die südlibysche Grenze vor den Migrationsströmen zu „schützen“. Er wollte nach Aussagen von Investoren, dass Moskau diese Idee der EU als wirksame Maßnahme gegen die Flüchtlings-Krise verkauft.

Marsalek bot seinen österreichischen Gästen an, sie mit dem russischen Arabisten Andrey Chuprygin bekanntzumachen, der aktuell an der Hochschule für Wirtschaft in Moskau lehrt. Der war zuvor beim russischen Militär tätig und soll für den Geheimdienst GRU gearbeitet haben.

Chuprygin teilte der FT mit, er habe sich mit Marsalek lediglich über die libysche Sicherheitslage beraten. Sein Kontakt zu Marsalek sei jedoch „streng auf sein Fachwissen als Forscher und Sprachwissenschaftler beschränkt“ gewesen.

„Ich hatte nie eine Verbindung zu einem militärischen oder sonstigen Geheimdienst“, meint er.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Der XRP-ETF-Markt steht vor einem bedeutenden Wandel: Bereitet er den Weg für ein herausragendes Jahr 2026?

Der Kryptowährungsmarkt steht erneut vor einem potenziellen Wendepunkt. Während Bitcoin und Ethereum im Fokus institutioneller Anleger...

X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.

E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung sowie die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Politik
Politik Aus Bürgergeld wird Grundsicherung: Kabinett schickt mehrere Reformen auf die Strecke
17.12.2025

Letzte Kabinettsrunde vor Weihnachten: Von Grundsicherung über Rente bis Kurzarbeitergeld treibt die Regierung mehrere Reformen an. Auch...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Deutsche Bank bringt den Wero-Bezahldienst zu Millionen Kunden
17.12.2025

Der Wero-Bezahldienst erreicht jetzt Millionen Bankkunden: Deutsche Bank und Postbank schalten den vollen Funktionsumfang frei. Europa...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Eurozone: Inflation im November bei 2,1 Prozent
17.12.2025

Die Eurozone-Inflation wirkt auf den ersten Blick stabil – doch eine neue Eurostat-Schätzung verändert den Blick auf den November. Auch...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Steve Jobs und die Zukunft der Führung: Warum Chefs jetzt umdenken müssen
17.12.2025

Der Mittelstand arbeitet noch nach Regeln von gestern – doch die Herausforderungen von heute lassen sich damit kaum lösen. Der...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Deutschland: Ifo-Index schwach – Jahr endet ohne Aufbruchsstimmung
17.12.2025

Der Ifo-Index sendet zum Jahresende ein klares Warnsignal für Deutschlands Wirtschaft. Sinkende Erwartungen, enttäuschte Hoffnungen und...

DWN
Panorama
Panorama DHL-Betrugsmasche: Wie Kriminelle die Vorweihnachtszeit und das Paketchaos ausnutzen
17.12.2025

In der Vorweihnachtszeit nutzen Kriminelle das Paketchaos aus, um sich mit der sogenannten DHL-Betrugsmasche zu bereichern. Gefälschte...

DWN
Finanzen
Finanzen KNDS-IPO: Börsengang des deutsch-französischen Panzerherstellers rückt wohl näher
17.12.2025

Der KNDS-IPO nimmt konkrete Formen an: Doppelnotierung, Milliardenbewertung und klare Abgrenzung zu Rheinmetall prägen die Debatte....

DWN
Finanzen
Finanzen Goldpreis nähert sich Rekord, Silberpreis mit Allzeithoch: Was die Edelmetallpreise treibt – und was das für Anleger heißt
17.12.2025

Der Goldpreis zieht am Mittwoch an und rückt wieder an sein Rekordniveau heran, während der Silberpreis bereits neue Höchststände...