Politik

US-Geopolitiker Friedman droht Merkel im Streit um Nord Stream 2

Lesezeit: 5 min
07.08.2020 19:39  Aktualisiert: 07.08.2020 19:39
Der umstrittene US-Geopolitiker George Friedman kritisiert in einem Interview mit den Deutschen Wirtschaftsnachrichten den Umgang der Bundesregierung mit der Pipeline Nord Stream 2. „Dieses Projekt steht nicht im Einklang mit der Mission der NATO, und Deutschland ist Mitglied der NATO. Die Bundesregierung geht jedoch davon aus, dass der Preis nicht so hoch sein wird. Wir werden sehen, ob der Preis ,nicht so hoch‘ sein wird“, meint er.
US-Geopolitiker Friedman droht Merkel im Streit um Nord Stream 2
US-Geopolitiker George Friedman. (Foto: dpa)

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Im Zusammenhang mit der Nord Stream 2-Pipeline gibt es Streit zwischen Deutschland und den USA. Deutschland hält an dem Projekt fest. Die USA sind dagegen. Wer wird sich durchsetzen?

George Friedman: Deutschland kann sich durchsetzen, wenn es den nötigen Preis zahlen kann. Dieses Projekt steht nicht im Einklang mit der Mission der NATO, und Deutschland ist Mitglied der NATO. Die Bundesregierung geht jedoch davon aus, dass der Preis nicht so hoch sein wird. Wir werden sehen, ob der Preis “nicht so hoch” sein wird.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Große Teile der SPD, der Linkspartei, aber auch Teile der CDU und der AfD wollen enge politische und wirtschaftliche Beziehungen zu Russland, während sich dieselben Kritiker von den USA distanzieren. Was ist der Grund für diese Einstellung? Warum ist Russland für Deutschland so wichtig?

George Friedman: Russen und Deutsche haben seit 1871 regelrecht “geflirtet”. Es handelt sich dabei um einen Traum, wonach eine Kombination aus russischem Gas und deutscher Technologie gebildet werden soll. Aber eine Seite hat immer die andere Seite verraten. Die Deutschen denken, dass sie alles erreichen können, bis sie erkennen, dass sie es nicht können. Dies ist ein historisches Problem und eine alte Kamelle.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Hängen die Probleme zwischen den USA und Deutschland wirklich nur von Donald Trump ab? Was wären die Probleme, wenn jemand anderes die USA regieren würde?

George Friedman: Es gibt signifikante Unterschiede, aber keine Probleme. Die USA und Deutschland unterhalten eine einzige institutionelle Beziehung, nämlich die NATO-Beziehung. Deutschland will seinen Beitrag nicht leisten, aber das Land will in Sicherheit leben. Deutschland unternimmt keine Anstrengungen, um das Ausgabenziel von zwei Prozent des BIP zu erreichen. Die Deutschen glauben, dass sie das Recht haben, den Status Quo der NATO zu schützen.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Die AfD ist in Deutschland auf dem Vormarsch. Sie findet großes Interesse in der Mitte der Gesellschaft. Muss sich Europa auf ein „aggressives“ Deutschland einstellen, falls die AfD an die Macht kommen sollte?

George Friedman: Viele Europäer sagen bereits heute, dass die Deutschen eine aggressive Strategie verfolgen. Die AfD wird von großen Teilen der Gesellschaft verteufelt. Der Niedergang der zentristischen Parteien führte zum Aufstieg der AfD. Einwanderung ist ein wichtiges Thema. Wir erkennen eine Art Arroganz der anderen Parteien, wenn es darum geht, mit der AfD umzugehen. Die Große Koalition ist in der Tat eine einzige Partei. Es gibt keine Große Koalition.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Viele Kritiker ziehen einen Vergleich zwischen dem Aufstieg der Nationalsozialisten und dem Aufstieg der AfD. Wäre so etwas wieder möglich? Wenn ja, was wären am Ende die Konsequenzen? Wie würden die USA und Russland reagieren, wenn es Entwicklungen gäbe, die mit denen der 1930er Jahre vergleichbar wären?

George Friedman: Dies ist aufgrund unterschiedlicher Umstände nicht wahrscheinlich. Wir haben nichts, was mit dem Versailler Vertrag vergleichbar wäre. Deutschlands Erfahrungen während des Zweiten Weltkriegs haben die Tür endgültig geschlossen. Es geht eher darum, die Elite herauszufordern. Die AfD sagt: Sie haben nichts für die Bürger getan und kritisieren uns jetzt. Das Dümmste, was die Eliten tun können, ist, die AfD zu kritisieren und ihre Mitglieder als Faschisten oder Nazis zu bezeichnen.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wie würde sich die deutsche Wirtschaft entwickeln, wenn die nächste Regierung andere Parteien stellen würden?

George Friedman: Es spielt keine Rolle. Niemand kann die aktuellen Probleme bewältigen. Um einer Rezession widerstehen zu können, müssen die Deutschen 50 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts unabhängig von Exporten erwirtschaften. Das heißt: Ihre Produkte müssen von deutschen Verbrauchern gekauft werden. Das ist nicht möglich. Wenn deutsche Kunden keine deutschen Produkte kaufen können, wird die deutsche Wirtschaft rapide schrumpfen. Die größte Kundengruppe der Deutschen sind die Amerikaner.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: In Deutschland gibt es verschiedene ethnische Minderheiten. Was müssen diese Minderheiten von der AfD befürchten? Müssen sie sich Sorgen um ihre Zukunft machen, wenn die AfD tatsächlich die führende Partei in Deutschland wird?

George Friedman: Hier liegt ein tieferes Problem vor. Die USA haben ein Land erfunden, das auf Einwanderung basiert. Europa beruht auf Geschichte, Kultur, Ethnizität und Sprache. Amerikaner zu werden ist einfacher als Deutscher zu werden. Deutschland kann sie nicht integrieren. Die Deutschen sehen Einwanderer nicht als Deutsche und wollen auch nicht zulassen, dass sie Deutsche werden. Das ist eine versteckte Wahrheit. Sie haben ein genaues Verständnis ihrer Identität und darüber, wer sie sind. Aber die USA, Australien, Kanada und Großbritannien - die angelsächsische Welt - verfügt über eine kulturelle Einzigartigkeit. Diese Länder können Menschen mit unterschiedlichem religiösem und ethnischem Hintergrund problemlos integrieren.

Deutsche Wirtschaftsnachrichen: Wie beurteilen Sie das Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei?

George Friedman: Ich war vor kurzem in der Türkei. Die Türken sind verbittert, weil die EU ihr Versprechen im Rahmen des Flüchtlingspakts nicht eingehalten hat. Sie erhielten nicht den gesamten Betrag für die Unterbringung der Flüchtlinge, obwohl ihnen genau dies versprochen wurde. Deutschland spielt eine entscheidende Rolle. Deutschland hält sich niemals an Verträge und Vereinbarungen. Aber genau das fordern die Deutschen seltsamerweise von anderen Ländern.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: In Deutschland herrscht eine Stimmung, die sich gegen Erdoğan richtet. Der Vorwurf lautet, dass er undemokratisch ist. Auf der anderen Seite will Deutschland gute Beziehungen zu Russland und dem Iran, die nach europäischen Maßstäben nicht demokratisch sind. Welches geopolitische und tiefere Problem hat Deutschland mit der Türkei unter Erdoğan?

George Friedman: Die Türken kommen in Bewegung. Sie errichten eine Zone im östlichen Mittelmeer. Sie sind in Libyen, Syrien und anderen Teilen der Welt aktiv. Es gibt große Fortschritte und die Türkei hat sich wirtschaftlich gut entwickelt. All diese Entwicklungen werden von Deutschland nicht begrüßt. Aber was die Deutschen wollen, ist nicht klar. Die Deutschen tun so, als wollten sie etwas bewirken. Aber am Ende tun sie nichts, um ihre Ziele und Versprechen einzuhalten. Stattdessen kritisieren sie ständig Länder, die Maßnahmen ergreifen. Das Beste, was der Türkei je passiert ist, ist nicht in die EU aufgenommen zu werden.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Es gibt Stimmen in Deutschland, die behaupten, dass der Brexit in erster Linie Großbritannien selbst schaden wird. Ist das korrekt?

George Friedman: Das Wichtigste für Großbritannien wird der Abschluss eines Freihandelsabkommens mit den USA und

anderen Ländern sein. Großbritannien wird sich nicht selbst schaden. Deutschland ist das Land, das viele Produkte in die EU und nach Großbritannien verkauft. Die EU übt Druck auf Großbritannien aus und greift Polen und Ungarn an. Die EU droht, Ungarn und Polen aus der EU auszuschließen. Gegenwärtig bedroht die EU Großbritannien mit anderen Dingen. Großbritannien ist jedoch weder Ungarn noch Polen. Deutschland sollte verstehen, dass die Feindseligkeit gegenüber den Briten ihnen nicht helfen wird. Es sollte im eigenen Interesse der Deutschen liegen, sich nicht mit den Briten anzulegen. Aber Deutschland kapiert es nicht.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wie würde der Brexit die Machtstruktur in Kontinentaleuropa - Frankreich und Deutschland - verändern?

George Friedman: Deutschland ist völlig exportabhängig - auch im Zusammenhang mit Großbritannien. Frankreich ist auf gute politische Beziehungen zu Großbritannien angewiesen. Deutschland hat keine Optionen. Großbritannien hat andere Optionen und Frankreich hat einige Optionen.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Welche außenpolitischen Prioritäten verfolgt Boris Johnson?

George Friedman: Die Nr. 1 sind die USA. Zweitens wird NAFTA wichtig sein, da Nordamerika ein größeres BIP als die EU zusammen hat. Australien und die anderen Commonwealth-Staaten sowie Indien und die ehemaligen Kolonien werden wichtig sein. Großbritannien hat Seite an Seite mit den USA Krieg gegen andere Mächte geführt. Diese tiefe Beziehung wird auch in Zukunft fortgesetzt.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Es gibt Stimmen in Europa, die besagen, dass der Brexit zu einer Sezession in Großbritannien führen wird. Es gibt auch Stimmen, die über die Zukunft der USA pessimistisch argumentieren.

George Friedman: Die USA erwirtschaften ein Viertel des weltweiten BIP. Die USA haben das einzige Militär, das global ist und alle Ozeane kontrolliert. Die Deutschen und einige Europäer predigen seit dem Vietnamkrieg den Abstieg der USA. Großbritannien ist die Säule der europäischen Zivilisation. Großbritannien wird seine Probleme bewältigen. Aber die Briten werden nie vergessen, wie sie im Zuge des Brexits von der EU und Deutschland behandelt wurden. Die EU ist extrem starr.

Dr. George Friedman ist Gründer und Vorsitzender des US-Informationsdiensts Geopolitical Futures.

*** Dieses Interview erschien erstmals am 1. Januar 2020***


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Bildung für die Zukunft SOS-Kinderdorf Thüringen im Einsatz für die Demokratie

In einer Zeit, in der die Unzufriedenheit mit der Politik wächst, engagiert sich das SOS-Kinderdorf Thüringen mit einem Demokratieprojekt...

DWN
Politik
Politik Pistorius warnt: Russland zeigt erhöhte Präsenz in Ostsee
05.12.2024

Im Ostseeraum eskalieren die Spannungen zwischen Russland und dem Westen. Verteidigungsminister Boris Pistorius nennt keine Details - aber...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Deutsche Firmen in China kämpfen mit schwacher Nachfrage und Konkurrenzdruck
05.12.2024

Deutsche Firmen in China sind pessimistischer denn je. Die Geschäftsklimaumfrage der AHK zeigt: Schwache Nachfrage, Preisdruck und die...

DWN
Unternehmen
Unternehmen BMW-Aktie: Vorsprung durch Weitblick - warum BMW als erstes das Tal der Tränen verlässt
05.12.2024

Es läuft nicht gut für die deutsche Automobilindustrie. Immerhin aber gibt es punktuell Lichtblicke – vor allem bei BMW in München....

DWN
Unternehmen
Unternehmen Bürokratiekosten fressen Wirtschaftskraft: Jetzt kommt noch die neue EU-Produktsicherheitsverordnung (GPSR)
04.12.2024

Deutsche Bürokratie und neue EU-Verordnungen bremsen Arbeits- und Wirtschaftsleistung aus: Angestellte von Unternehmen in Deutschland...

DWN
Unternehmen
Unternehmen VW-Chef verteidigt Sparkurs - 'Buh'-Rufe bei Betriebsversammlung
04.12.2024

Auf der VW-Betriebsversammlung machten Mitarbeiter ihrem Unmut Luft. Konzernchef Blume verteidigte den Sparkurs - und wurde dafür...

DWN
Politik
Politik Regierungsbefragung: Scholz warnt vor Stillstand bis zur Wahl
04.12.2024

Zwei Wochen vor der Abstimmung über seine Vertrauensfrage im Bundestag stellt der Kanzler sich den Fragen der Abgeordneten. Dabei richtet...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Baywa-Aktie: Baywa-Konzern beschließt Stellenabbau - 1.300 Stellen fallen weg
04.12.2024

40 Prozent der Stellen in der Verwaltung fallen weg. Bei Baywa gibt es jetzt Klarheit, wie das Unternehmen saniert werden soll. So werden...

DWN
Panorama
Panorama Russische Schiffsbesatzung schießt bei Bundeswehr-Einsatz
04.12.2024

In der Ostsee ist es zu einem Zwischenfall zwischen einem Hubschrauber der Bundeswehr und einem russischen Schiff gekommen. Die Besatzung...