Politik

Bundesregierung will der WHO mehr Geld und Befugnisse geben

Die Bundesregierung und Frankreich haben Reformideen für die Weltgesundheitsorganisation vorgestellt. Demnach solle die Organisation künftig auch „kritischer“ gegenüber Ländern sein, welche die von ihr empfohlenen Strategien nicht anwenden.
20.08.2020 09:59
Aktualisiert: 20.08.2020 09:59
Lesezeit: 3 min

Deutschland und Frankreich wollen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) mehr Geld und Macht geben. Das geht aus einem Reuters vorliegenden gemeinsamen Reform-Papier beider Regierungen vor, welches noch im September innerhalb der WHO diskutiert werden soll. Darin wird unterstrichen, dass die Corona-Pandemie die seit langem bestehenden finanziellen und rechtlichen Schwächen der UN-Agentur bloßgelegt habe. Anders als die US-Regierung, die auf eine WHO-Reform dringt, um den Einfluss Chinas zurückzudrängen, wollen beiden EU-Staaten eher die strukturellen Probleme der Organisation lösen, die seit Jahren angeblich bei wachsenden Aufgaben in Zahlungsnöten sei.

Die WHO ist finanziell von der Bill & Melinda Gates-Stiftung abhängig. Erst vor wenigen Monaten startete Gates in Zusammenarbeit mit der WHO einen Spendenaufruf, der ihr Steuergelder in Höhe von etwa 8 Milliarden Dollar von dutzenden Staaten einbrachte.

Deutschland und Frankreich hatten zuvor eine von den USA gewünschte Debatte im Rahmen der G7-Gesundheitsminister auch mit dem Hinweis abgeschmettert, dass die USA nicht die WHO verlassen könne, um dann an einer Reform mitarbeiten zu wollen.

Die vorgeschlagenen Reformen könnten Mitte September in WHO-Gremien diskutiert werden, sagten drei mit den Gesprächen vertraute Beamte gegenüber Reuters. In einem gemeinsamen Papier, das unter den an den Reformgesprächen beteiligten Diplomaten verteilt wurde, erklären Berlin und Paris, dass das Mandat der WHO nicht durch ausreichende finanzielle Mittel und rechtliche Befugnisse untermauert werde. Die Organisation sei aber für die Verhütung von Pandemie-Ausbrüchen in der ganzen Welt zuständig sowie dafür, die Regierungen bei der Bekämpfung solcher Krankheiten zu unterstützen. "Nicht nur während der aktuellen Pandemie ist deutlich geworden, dass der WHO teilweise die Fähigkeiten fehlen, dieses Mandat zu erfüllen", heißt es.

Als Kernproblem werden dabei die festen Beiträge der Mitgliedstaaten angesehen. "Der Kernpunkt ist das Missverhältnis zwischen Mandat und Finanzierung der WHO", sagte ein westlicher Diplomat in Genf und bezog sich dabei auf die Beiträge der Mitgliedsstaaten auf der Grundlage ihrer Wirtschaftskraft (BIP). Deutschland und Frankreich bemühten sich um einen Konsens, der "von Washington bis Peking" reiche, sagte ein anderer Verantwortlicher.

"Deutschland hat großes Interesse, die WHO zu reformieren und führt dazu Gespräche auf verschiedenen Ebenen", sagte ein Regierungsvertreter in Berlin als Begründung für den deutsch-französischen Vorstoß. Denn Berlin und Paris, deren Gesundheitsminister nach Gesprächen mit dem WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus im Juni neue Mittel zugesagt hatten, üben seit längerem Kritik an der WHO. Aber ihr Ansatz unterscheidet sich stark von dem der Trump-Regierung, die die Mittel gekürzt, ihren Rückzug ab nächsten Juli angekündigt und Tedros beschuldigt hat, eine Marionette Chinas zu sein. Der deutsch-französische Reformplan will dagegen eine Stärkung der WHO, um sie in die Lage zu versetzen, „kritischer“ gegenüber allen Mitgliedsstaaten sein zu können, wenn diese globale Regeln zur Transparenz bei der Berichterstattung über Gesundheits- und Krankheitsfragen nicht einhalten. Was genau „kritische sein“ bedeutet, ist derzeit noch nicht absehbar.

Das siebenseitige Dokument listet zehn Reformen auf, die darauf abzielen, die rechtlichen Befugnisse und die Finanzierung der WHO zu stärken. "Der Gesamthaushalt der WHO mit etwa fünf Milliarden Dollar für zwei Jahre entspricht der Finanzierung eines größeren subregionalen Krankenhauses", heißt es in dem Papier. Nur ein Fünftel des Budgets der Agentur stamme aus den Zahlungen der Mitgliedsstaaten, ohne an Bedingungen geknüpft zu sein. Der Rest wird durch "kurzfristige, unvorhersehbare und weitgehend genau spezifizierte freiwillige Beiträge" aufgebracht. Damit spielen beide Regierungen auf die große Rolle privater Stiftungen wie der von Bill und Melinda Gates an. Ein stärkeres Budget sei aber insbesondere für die Bewältigung von Notfällen erforderlich, so das Dokument, um zu vermeiden, dass die WHO inmitten von Ausbrüchen Mittel aufbringen müsse, was ihre Unabhängigkeit weiter einschränken könnte.

WHO-Experten sollten zudem in der Lage sein, "(potenzielle) Ausbrüche so früh wie möglich unabhängig zu untersuchen und zu bewerten", heißt es in dem Papier. Dies kann als Hinweis auf Pekings Rolle in der Corona-Pandemie gelesen werden. Denn China ist bei der Corona-Pandemie und bei früheren Epidemien von etlichen Regierungen beschuldigt worden, langsam oder zögerlich zu sein, wenn es darum geht, Daten auszutauschen und den WHO-Teams schnellen Zugang zu gewähren.

Die WHO solle in Notfällen ihrerseits einer stärkeren Aufsicht unterliegen, um ihre Operationen rasch bewerten zu können, heißt es in dem Dokument weiter, das die Schaffung einer Gruppe nationaler Experten vorschlägt. Um sicherzustellen, dass die vorgeschlagenen Reformen nicht versanden, empfiehlt das Dokument die Einrichtung eines Expertengremiums - ähnlich dem, das derzeit den Umgang mit der Pandemie bewertet.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Finanzen
Finanzen Finanzmärkte zum Jahresende: Wie sich Anleger zwischen Rallye und Korrekturgefahr absichern
24.12.2025

Zum Jahresende verdichten sich an den globalen Finanzmärkten die Signale für Chancen, Risiken und mögliche Wendepunkte. Stehen Anleger...

DWN
Politik
Politik Cyberangriff auf Aeroflot: Wie Hacker Russlands Luftverkehr störten
24.12.2025

Ein Cyberangriff brachte die IT-Systeme von Aeroflot binnen Stunden zum Stillstand und zwang den Flugbetrieb in den Notmodus. Welche...

DWN
Politik
Politik Putins neue Gegnerin und ihr Appell an Europa
24.12.2025

Europa ringt mit seiner Haltung gegenüber Russland und der Frage nach Konsequenz und Abschreckung. Wie sollte der Westen mit einem Kreml...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Handwerkspräsident: "Demokratie muss nun liefern"
24.12.2025

Die Stimmung im deutschen Handwerk ist angespannt, die Wirtschaft schwächelt seit Jahren. Jörg Dittrich, Präsident des Zentralverbands...

DWN
Politik
Politik DWN-Jahresrückblick 2025: Schulden, Krieg, KI – und Europas Zerreißprobe
24.12.2025

Schulden in Billionenhöhe, neue Kriegsängste, technologische Abhängigkeiten: 2025 hat Gewissheiten zerlegt, die lange als stabil galten....

DWN
Technologie
Technologie The Good City: Die Stadt der Zukunft ist leise, sauber und elektrisch
24.12.2025

Lärm, Abgase, Platzmangel – urbane Probleme kennt jeder. Doch Renault Trucks zeigt: Die Zukunft der Stadt ist elektrisch, leise und...

DWN
Finanzen
Finanzen Ripple XRP: Zwischen ETF-Fantasie und anhaltendem Kursdruck
24.12.2025

Ripple XRP verliert an Boden, während der Kryptomarkt insgesamt vorsichtiger wird. Technische Schwäche, unterschrittene Schlüsselmarken...

DWN
Technologie
Technologie Exponentielles Wachstum durch KI: Chancen und Grenzen für Wirtschaft und Gesellschaft
24.12.2025

Die künstliche Intelligenz entwickelt sich rasant und verändert zunehmend Wirtschaft, Forschung und Gesellschaft. Doch kann dieser...