Deutschland

Mittelstand warnt: Zweiter Lockdown wäre eine Katastrophe für Deutschland

Mario Ohoven, Präsident des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft, sagt im Interview mit den Deutschen Wirtschaftsnachrichten, dass ein zweiter Lockdown katastrophale Folgen für die deutsche Wirtschaft, den Staat und die Arbeitnehmer hätte. „Die Konsequenzen wären deutlich gefährlicher als beim ersten Mal. Die Verlängerung des Kurzarbeitergeldes kommt einer künstlichen Beatmung Rettungsloser gleich, Insolvenzen werden damit nur aufgeschoben. Viele Betriebe haben ihre finanziellen Reserven aufgebraucht“, so Ohoven.
07.09.2020 15:38
Aktualisiert: 07.09.2020 15:38
Lesezeit: 2 min

Cüneyt Yilmaz: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat sich kürzlich aufgrund des Drucks der Öffentlichkeit dazu bekannt, dass die Schließung von „Friseuren“ und des „Einzelhandels“ im Verlauf der Pandemie mit dem heutigen Wissen falsch gewesen ist. Wie wurde diese Aussage vom Mittelstand aufgenommen?

Mario Ohoven: Der Mittelstand begrüßt seine Entscheidung. Ich habe unlängst Minister Spahn bei einem Treffen darauf hingewiesen, welche katastrophalen Folgen der erste Lockdown für Wirtschaft und Gesellschaft in unserem Land hatte und leider noch immer hat. Sein gesundheitspolitischer Kurswechsel ist daher nur folgerichtig. Ich hoffe sehr, dass ihm das Kanzleramt folgt und zukünftig neue Erkenntnisse zu besseren Entscheidungen führen.

Cüneyt Yilmaz: Können wir nach Spahns Aussagen nun darauf hoffen, dass es keinen zweiten Lockdown geben wird?

Mario Ohoven: Das hoffe ich. In der Antwort auf meinen Brief an die Bundeskanzlerin werden ausdrücklich für den Fall einer zweiten Infektionswelle und entsprechender staatlicher Gegenmaßnahmen „Auswirkungen auf die Wirtschaft“ nicht ausgeschlossen. Das heißt im Klartext, erneut bekäme ein teilweise überzogener Infektionsschutz den Vorrang vor dem angemessenen Schutz von Wirtschaft und Wohlstand. Genau aus diesem Grund haben wir eine Online-Petition gestartet. Es darf keinen zweiten Lockdown geben. Das wäre wie ein zweiter Herzinfarkt, den unsere Wirtschaft nur sehr schwer verkraften würde.

Cüneyt Yilmaz: Welche wirtschaftlichen Schäden hatte der erste Lockdown verursacht?

Mario Ohoven: Die deutsche Wirtschaft verzeichnete den stärksten Rückgang seit der Finanzkrise von 2008/2009. Nicht minder gravierend sind die strukturellen Auswirkungen. Wir befürchten noch stärkere Unternehmenskonzentrationen und eine massive Insolvenzwelle im Mittelstand. Bereits jetzt sieht ein Fünftel aller Unternehmen das eigene Überleben durch die Corona-Krise als gefährdet an. Durch die

Verlängerung der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht ist die drohende Pleitewelle noch nicht so sichtbar, aber das ändert nichts an diesem Befund. Das Kernproblem bleibt das Wegbrechen von Umsätzen, in einigen Branchen bis zu 100 Prozent. Die Mittelständler rechnen einer KfW-Umfrage zufolge allein für die Monate März bis Mai mit Umsatzeinbußen von rund 250 Milliarden Euro. Die hieraus resultierenden Liquiditätsengpässe können trotz staatlicher Soforthilfen nicht mehr lange überbrückt werden.

Cüneyt Yilmaz: Welche weiteren Schäden würde der Mittelstand und die deutsche Wirtschaft bei einem zweiten Lockdown erleiden?

Mario Ohoven: Die Konsequenzen wären deutlich gefährlicher als beim ersten Mal: Die Verlängerung des Kurzarbeitergeldes kommt einer künstlichen Beatmung Rettungsloser gleich, Insolvenzen werden damit nur aufgeschoben. Viele Betriebe haben ihre finanziellen Reserven aufgebraucht und müssten bei einem erneuten Herunterfahren der Wirtschaft die Hände heben. Damit stünden hunderttausende Arbeits- und Ausbildungsplätze auf dem Spiel. Denn der Mittelstand beschäftigt über 70 Prozent der Arbeitnehmer und bildet acht von zehn Azubis aus.

Aber auch der Staat stieße an seine Grenzen. Die Staatsverschuldung steigt schon jetzt um besorgniserregende 22 Prozentpunkte auf 81 Prozent des BIP – erlaubt sind nur 60 Prozent. Zudem würde der mit einem zweiten Lockdown unweigerlich verbundene massive Anstieg der Arbeitslosigkeit die Sozialkassen vollends sprengen. Allein die Bundesagentur für Arbeit rechnet für das laufende Jahr bereits mit einem Defizit von mehr als 30 Milliarden Euro. Die Rentenkasse hat schon jetzt ein Loch von circa 100 Milliarden Euro.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

avtor1
Cüneyt Yilmaz

                                                                                ***

Cüneyt Yilmaz ist Absolvent der oberfränkischen Universität Bayreuth. Er lebt und arbeitet in Berlin.

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Dominanz auf Rädern: Warum der Lkw das Rückgrat der europäischen Wirtschaft bleibt
23.04.2025

Während über grüne Logistik und die Renaissance der Schiene debattiert wird, bleibt der Lkw unangefochten das Rückgrat des...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Zukunft unter Druck: Die Wasserstoff-Fabrik von Daimler und Volvo gerät ins Stocken
23.04.2025

Mitten in der Energiewende setzen die Lkw-Riesen Daimler und Volvo auf Wasserstoff – doch der Fortschritt ihres Gemeinschaftsunternehmens...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Apple und Meta im Visier – Brüssel greift hart durch
23.04.2025

Apple und Meta sollen zusammen 700 Millionen Euro zahlen – wegen mutmaßlicher Verstöße gegen das neue EU-Digitalgesetz. Die Kommission...

DWN
Politik
Politik Machtkampf in Washington: Will Trump Fed-Chef Powell stürzen?
23.04.2025

Trump plant möglicherweise die Entlassung von Fed-Chef Jerome Powell – ein beispielloser Schritt, der die Unabhängigkeit der...

DWN
Finanzen
Finanzen „Krise ist die neue Normalität“ – Warum kluge Investoren jetzt gegen den Strom schwimmen müssen
23.04.2025

Volatilität ist kein Ausnahmezustand mehr, sondern System. Warum Investoren jetzt mit Besonnenheit, Disziplin und antizyklischer Strategie...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Digitaler Produktpass: Was die EU plant und was das für Firmen bedeutet
23.04.2025

Die Europäische Union will Ressourcen schonen und Emissionen und Abfälle reduzieren. Dafür plant sie den sogenannten digitalen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Deutsche Bierbrauer in der Krise
23.04.2025

Eigentlich feiern die Brauer am 23. April den Tag des deutschen Bieres. Doch auch in diesem Jahr sind die Perspektiven der Branche eher...

DWN
Politik
Politik Spar- und Investitionsunion: Brüssel will die unsichtbare Zollmauer einreißen – und den Finanzsektor revolutionieren
23.04.2025

Brüssels stille Revolution: Wie Kommissarin Albuquerque den europäischen Finanzmarkt neu ordnen will – und dabei an den Grundfesten der...