Deutschland

Staatsanwaltschaft klagt noch mehr VW-Mitarbeiter in Abgasaffäre an

Lesezeit: 2 min
23.09.2020 17:32
Ex-Konzernchef Winterkorn und vier weitere Führungskräfte von Volkswagen müssen sich schon auf einen Strafprozess einstellen. Nun hat die Staatsanwaltschaft in der Aufarbeitung des Dieselskandals noch eine ganze Reihe weiterer VW-Mitarbeiter angeklagt.
Staatsanwaltschaft klagt noch mehr VW-Mitarbeiter in Abgasaffäre an
Das Logo von Volkswagen ist auf dem Dach des Markenhochhauses auf dem Werksgelände zu sehen. (Foto: dpa)
Foto: Swen Pf

Mehr zum Thema:  
Auto >
Benachrichtigung über neue Artikel:  
Auto  

Die Braunschweiger Staatsanwaltschaft hat in der Aufarbeitung des Dieselskandals weitere Mitarbeiter von Volkswagen angeklagt. Insgesamt steigt die Zahl der Angeschuldigten von 11 auf 19. Wie die Ermittler am Mittwoch erklärten, geht es bei der jüngsten Ausweitung auch um einige Führungskräfte. Namen nannten die Strafverfolger dabei nicht. Die Untersuchungen wegen überhöhten Ausstoßes von Stickoxid (NOx) richten sich in der Summe nun gegen 93 frühere und aktuelle Personen aus dem Konzern, erfuhr die Deutsche Presse-Agentur aus der Behörde.

Im Fall von Ex-Konzernchef Martin Winterkorn und vier anderen Managern hat das Landgericht Braunschweig nach langer Prüfung und zwischenzeitlichen Differenzen mit der Staatsanwaltschaft die Anklage mittlerweile zugelassen. Sie müssen sich demnächst unter anderem dem Vorwurf des gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs stellen. Wann der Prozess beginnt, ist noch offen. Im Januar hatte die Behörde Anklageschriften gegen sechs weitere Personen fertiggestellt.

Bei der jetzigen Ausdehnung des NOx-Verfahrens nehmen die Ermittler an, dass die Angeschuldigten «in ihrer jeweiligen verantwortlichen Position» zwischen November 2006 und September 2015 den Einbau der Manipulations-Software in VW-Dieselwagen «gefördert, unterstützt oder zumindest trotz Kenntnis der Illegalität nicht unterbunden» haben. Es geht um mutmaßlichen, teils schweren Betrug, Falschbeurkundung und Wettbewerbsverstöße sowie teilweise Untreue und Steuerhinterziehung oder Beihilfe dazu. Volkswagen äußerte sich nicht, weil der Konzern selbst in den Braunschweiger Strafverfahren nicht mehr Partei ist.

Die Betreffenden sind laut Staatsanwaltschaft heute 50 bis 72 Jahre alt. Der Herbst 2006, in dem die gezielten Täuschungen begonnen haben sollen, fällt in eine Zeit, in der VW auf dem schwierigen US-Markt den Rückstand zu Wettbewerbern aufholen wollte. Mit einer großen Marketing-Offensive zum «clean diesel» sollten mehr Kunden gewonnen werden. Später kam heraus, dass das Unternehmen statt des Einsatzes teurerer Abgastechnik Messwerte mithilfe versteckter Software-Codes fälschte. Diese sorgten dafür, dass bei Tests voll gereinigt wurde, im Straßenbetrieb jedoch eIn Vielfaches der Emissionen auftrat.

Vor fast genau fünf Jahren flog der Skandal am 18. September 2015 durch Nachforschungen von US-Umweltbehörden und Wissenschaftlern auf. Winterkorn trat zurück, VW stürzte in die schwerste Krise seiner Geschichte, Milliarden an juristischen Kosten und ein lädiertes Verbrauchervertrauen waren die Folge. Während die zivilrechtliche Entschädigung von Dieselfahrern auch in Deutschland nun schrittweise vorankommt, sind viele strafrechtliche Fragen zum Ursprung und zur Verantwortung rund um «Dieselgate» noch nicht abschließend geklärt.

In der mehr als 1200 Seiten dicken Klageschrift beschreiben die Staatsanwälte die aus ihrer Sicht verfolgte Betrugsstrategie: Man habe für Diesel mit dem Motor EA 189 auf dem Prüfstand möglichst wenig Stickoxide «vorspiegeln» wollen, wohingegen Rußkonzentration und Lautstärke des Motors hier noch relativ hoch ausfallen durften.

Auf der Straße soll das genaue Gegenteil angestrebt worden sein: höhere NOx-Werte, die kein Prüfer feststellen konnte, mit denen aber gleichzeitig geringerer Lärm und Ruß «erkauft» wurden. Sogenannte Abschalteinrichtungen von Teilen der Abgasreinigung, die in gewissen Bereichen zum Schutz von Motorbauteilen zulässig sind, werden wegen der gedrosselten Geräusche oft auch als «Akustikfunktion» bezeichnet.

Das Kalkül der Verantwortlichen damals laut Staatsanwaltschaft: Hätte man die US-Diesel im Test nicht so schadstoffarm und auf der Straße so leise erscheinen lassen, wären sie «nicht kundentauglich» gewesen. So aber habe VW die Grenzwerte «zumindest auf dem Papier» einhalten können. Übersteigertes Gewinnstreben soll also ein zentrales Motiv für den Betrug am Verbraucher gewesen sein. Einige Angeschuldigte hätten zudem über Boni persönlich und direkt vom gesteigerten Absatz profitiert. «Ein die Abgasnormen erfüllender, technisch aufwendigerer und teurerer Motor hätte sich dagegen schlecht verkauft.»

Bei Winterkorn sieht das Landgericht Braunschweig eine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass er wegen gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs verurteilt werden könnte. Deswegen ließ es jüngst die Eröffnung des Hauptverfahrens zu. Zunächst waren die Strafverfolger bei ihm «nur» auf schweren Betrug aus gewesen. Sie sind nun jedoch der Auffassung, dass «Käufer bestimmter Fahrzeuge aus dem Volkswagen-Konzern über deren Beschaffenheit, insbesondere die Verwendung einer sogenannten Abschalteinrichtung in der Motorsteuerungssoftware getäuscht» wurden.

Einige andere Punkte aus der ursprünglichen Klageschrift wies die zuständige Kammer ab. Der Ex-VW-Chef muss sich allerdings auch noch gegen den Vorwurf der Marktmanipulation wegen zu später Information von Anlegern nach dem Auffliegen des Abgasskandals verteidigen. Hier ist noch nicht über einen möglichen Prozessbeginn entschieden.


Mehr zum Thema:  
Auto >

Anzeige
DWN
Panorama
Panorama Kostenloses Experten-Webinar: Die Zukunft der personalisierten Medizin aus der Cloud - und wie Sie davon profitieren

Eine individuelle Behandlung für jeden einzelnen Menschen - dieser Traum könnte nun Wirklichkeit werden. Bei der personalisierten Medizin...

DWN
Politik
Politik Deutsch-australische Rüstungskooperation: Mehr als Boote und Panzer?
05.05.2024

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock befürwortet eine engere Rüstungskooperation zwischen Deutschland und Australien, da sie betont,...

DWN
Immobilien
Immobilien Die Grunderwerbssteuer: Was Sie unbedingt wissen sollten!
05.05.2024

Jeder, der in Deutschland ein Grundstück erwerben will, zahlt darauf Steuern. Vorne mit dabei: Die Grund- und Grunderwerbssteuer. Doch was...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Eli Lilly, Merck und Biontech: Deutschland behauptet sich als Pharma-Standort
05.05.2024

Mehr als 250.000 Beschäftigte sind in Deutschland allein in der Pharma-Industrie beschäftigt. Dass die Branche auch in naher Zukunft...

DWN
Finanzen
Finanzen Dispozinsen: Wie sie funktionieren und wie man sie vermeidet
05.05.2024

Dispozinsen können eine teure Überraschung für Bankkunden sein, die ihr Konto überziehen. Dieser Artikel erklärt, wie Dispozinsen...

DWN
Technologie
Technologie EU-China-Beziehung: Droht ein Handelskrieg um Elektroautos?
05.05.2024

Vor Xi Jinpings Besuch in Paris bekräftigt Deutschland seine Haltung im EU-China-Streit um E-Autos. Doch wie wird die EU reagieren?

DWN
Unternehmen
Unternehmen Europameisterschaft 2024 am Arbeitsplatz streamen: Wie weit geht Arbeitgeber-Toleranz?
05.05.2024

Die Spiele der Europameisterschaft 2024 finden zu Zeiten statt, die nicht ideal für Arbeitnehmer sind. Einige Spiele starten bereits um 15...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Handwerksbetriebe in Not: Geschäftslage trübt sich ein
05.05.2024

Die aktuelle Lage im Handwerk bleibt düster, mit einer spürbaren Verschlechterung der Geschäftslage im ersten Quartal 2024 aufgrund...

DWN
Politik
Politik DWN-Kommentar: Eine Welt ohne Europa?
04.05.2024

Der Krieg in der Ukraine und die Spannungen im Nahen Osten gefährden die Zukunftsfähigkeit der EU. Nun steht sie an einem Scheideweg:...