Unternehmen

Polnische Plattform Allegro überrascht als größter E-Marktplatz der EU

Die polnische Plattform Allegro war bisher im Westen nicht einmal Insidern ein Begriff. Doch gehören die Polen weltweit unter den Marktplätzen zu den Top Ten. Jetzt haben sie mit dem größten Börsengang Europas die deutsche Fachpresse überrascht.
19.10.2020 10:00
Lesezeit: 3 min
Polnische Plattform Allegro überrascht als größter E-Marktplatz der EU
Der CEO von Allegro, Francois Nuyts. (Foto: Unternehmen)

„Allegro rockt die Börse“, titelt die FAZ und schreibt von einem „kuriosem IPO“. „Ein starkes Debüt“, fand das „Handelsblatt“ und „Das Manager Magazin“ freut sich über einen „spektakulären Börsengang“.

So feiert derzeit die deutsche Fachpresse den polnischen E-Commerce-Händler Allegro. Das Unternehmen hat Mitte Oktober in Warschau das größte Initial Public Offering (IPO) über die Bühne gebracht, das es bisher im laufenden Jahr in Europa gegeben hat. Die Plattform war bis dato im Westen nicht einmal Fachleuten ein Begriff gewesen.

Das Unternehmen erzielte ein Emissionsvolumen von fast zehn Milliarden Złoty oder zwei Milliarden Euro. Der Ausgabepreis hatte bei 43 Złoty (etwa 9,40 Euro) gelegen und war am ersten Handelstag im zweistelligen Prozentbereich explodiert. Bisher ist der Kurs weiter auf Werte über 80 Złoty (rund 17,50 Euro) geklettert. Damit setzte die Aktie am einheimischen Markt eine wichtige Marke und wurde sofort das größte Schwergewicht an der Börse.

„Dies ist eine positive Nachricht für uns alle“, sagte das Regierungsmitglied Jaroslaw Gowin bei der Eröffnung. „Die Rolle des E-Commerce hat sich zuletzt verbessert. Während der Pandemie sind die Einkäufe übers Netz eine sichere Alternative“, wies Gowin darauf hin, warum sich Allegro geschäftlich immer besser entwickelt.

Erlöse klettern um die Hälfte auf fast zwei Milliarden Euro

Der Händler hat bis Ende Juni seine Umsätze um 51,7 Prozent auf fast 1,8 Milliarden Złoty (rund 400 Milliarden Euro) erhöht. Der Nettogewinn vergrößerte sich um fast 200 Prozent 290 Millionen Złoty (etwa 44 Millionen Euro).

Im vergangenen Jahr waren die Erlöse gegenüber dem Vorjahr um ein Viertel auf 22,8 Milliarden Złoty oder 4,8 Milliarden Euro gestiegen. Der Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (EBIT) war um ein Drittel auf etwa 2,4 Milliarden Złoty oder 5,3 Milliarden Euro geklettert.

Wie gut sich das Unternehmen entwickelt, spiegelt sich auch in anderen Statistiken wider. So dominiert Allegro zuhause die Szenerie und hängt dabei sogar die ausländische Konkurrenz ab, die den Händler hier nicht im Ansatz das Wasser reichen kann.

Auf einer Tabelle, die der polnische Wirtschaftsdienst „bankier.pl“ für Juni 2020 erstellt hat, liegt der Händler mit einer Reichweite von fast 65 Prozent unangefochten auf dem ersten Platz. Die Nutzerzahl liegt bei 17,6 Millionen. Die ausländischen Mitbewerber folgen mit ihren polnischen Domänen weit abgeschlagen. Die russische AliExpress landet auf dem fünften Rang (21,6 Prozent und 5,9 Millionen Nutzern). Und die deutsche Zalando wird als Nummer acht gelistet – und zwar mit 13 Prozent und 3,6 Millionen Kunden.

Auffällig ist, dass die US-Amerikaner hier gar nicht auftauchen. Weder Ebay noch Amazon werden von dem Dienst berücksichtigt. Bei Amazon ist der Grund denkbar einfach: Denn der US-Konzern verfügt bisher über keine eigene Domain in Polen, sondern wickelt die Geschäfte für seine polnischen Kunden über die deutsche Seite des internationalen Konzerns ab.

Allegro weltweit die Nummer zehn

Doch nicht nur zuhause, sondern auch weltweit hat Allegro bereits seinen Abdruck hinterlassen: So gehört das Portal mit monatlichen Seitenaufrufen von mehr als 190 Millionen sogar global zu den größten virtuellen Marktplätzen – als einziges Unternehmen aus der EU.

Auf der Liste, die von der polnischen Tageszeitung „Rzeczpospolita“ veröffentlicht worden ist, liegen die Polen auf dem zehnten Platz. Amazon thront in der Tabelle, die sich wie das „Who is Who“ der Branche liest, mit 4,6 Milliarden Seitenaufrufen auf dem ersten Platz, gefolgt von ebay (rund 1,8 Milliarden) und AliExpress (rund 870 Millionen).

Besonders ist, dass der polnische Händler sein Angebot ausschließlich in Polen anbietet. Dies ist wohl auch ein Grund, warum es im Westen so wenig bekannt ist. Der Erfolg des Unternehmens beruht unter anderem darauf, dass mehr als 90 Prozent der verkauften Produkte direkt vom Verkäufer zu den Kunden gelangen.

Dafür hat Allegro ein Netz von Schließfächern eingerichtet, das über das gesamte Land verteilt ist. Zum Vergleich: Polen ist flächenmäßig fast so groß wie Deutschland. Dabei verknüpft die Plattform mehr als 100.000 kleine Händler mit etwa zwölf Millionen aktiven Käufern.

Hintergrund: Allegro wurde in den Neunziger Jahren aus der Taufe gehoben – also zu einem Zeitpunkt, als an das Internet in seiner heutigen Form nicht im Ansatz zu denken war. Der damals 19jährige IT-Mann Tomasz Dudziak hat es 1999 in einer Garage in der westpolnischen Stadt Poznań (Posen) programmiert. Die Idee dafür hatte ein niederländischer Händler, der anfangs 30.000 Złoty (weniger als 7.000 Euro) in das Projekt investierte.

Danach entwickelte sich die Plattform so rasant, dass sie von unterschiedlichen Eigentümern übernommen wurde. Im Oktober 2016 stiegen dann die Investmentfonds Cinven, Permira und Mid Europa Partners ein, die bis heute das Unternehmen dominieren.

Doch die internationale Konkurrenz schläft nicht. So bereitet einem Zeitungsbericht zufolge gerade Amazon, das bisher hier vor Ort vertreten ist, den Direkteinstieg in Polen vor. Die konservative Tageszeitung „Dziennik Gazeta Prawna“ (DGP) schreibt, dass die US-Amerikaner am 27. November – dem Black Friday – mit einer eigenen Domain in Polen starten wollen. Die staatliche Polnische Post wird den Angaben zufolge für die Auslieferung zuständig sein. Beide Unternehmen wollten darauf keine Bestätigung abgeben, widersprachen aber auch nicht.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Gold als globale Reservewährung auf dem Vormarsch

Strategische Relevanz nimmt zu und Zentralbanken priorisieren Gold. Der Goldpreis hat in den vergangenen Monaten neue Höchststände...

 

DWN
Unternehmen
Unternehmen Hitzestress am Arbeitsplatz: Mehr Krankmeldungen bei Extremtemperaturen
02.07.2025

Extreme Sommerhitze belastet nicht nur das Wohlbefinden, sondern wirkt sich zunehmend auf die Arbeitsfähigkeit aus. Bei Hitzewellen...

DWN
Politik
Politik Europa vor dem Zerfall? Ex-Premier Letta warnt vor fatalem Fehler der EU
02.07.2025

Europa droht, zum Museum zu verkommen – oder zum Spielball von Trump und China. Italiens Ex-Premier Letta rechnet ab und warnt vor dem...

DWN
Politik
Politik Warum sprechen diese Woche alle über Trumps „Big Beautiful Bill“?
01.07.2025

Es ist Trumps größtes Prestigeprojekt. Doch welche Vor- und Nachteile hat das Gesetzespaket, das am Freitag unterschriftsreif auf dem...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Kernenergie-Aktien explodieren um 542 Prozent: Anleger warnen vor Blasenbildung
01.07.2025

Kernenergie-Aktien feiern ein spektakuläres Comeback – befeuert durch den steigenden Strombedarf für Rechenzentren. Die Branche erlebt...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Svenska Digitaltolk: Dolmetscher-Gigant kauft KI-Unternehmen – Millionenumsatz prognostiziert
01.07.2025

Schwedens Dolmetscher-Gigant will Europas Übersetzungsmarkt aufrollen – mit KI, Millionenplänen und dem Griff nach Deutschland. Doch...

DWN
Politik
Politik Grenze zu – zumindest teilweise: Polen kontrolliert ab Montag
01.07.2025

Polen wird ab kommendem Montag vorübergehend wieder Grenzkontrollen an der Grenze zu Deutschland einführen. Das kündigte...

DWN
Politik
Politik Krankenkassen schlagen Alarm: Zusatzbeiträge könnten deutlich steigen
01.07.2025

Die gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) warnen vor Druck zu neuen Beitragserhöhungen ohne eine rasche Bremse für steigende Kosten....

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Thyssenkrupp-Umbau betrifft Tausende – Betriebsräte fordern Klarheit
01.07.2025

Angesichts weitreichender Umbaupläne bei Thyssenkrupp fordern die Beschäftigten klare Zusagen zur Zukunftssicherung. Betriebsräte pochen...