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Kann Walmart auch im Internet Fuß fassen?

Lesezeit: 6 min
10.11.2020 09:51
Kann Walmart auch im Internet Fuß fassen?
Es ist Vorsicht geboten: Inwieweit sich der Angriff von Walmart auf Amazon auszahlen wird, lässt sich schwer ermitteln. (Foto: Erik S. Lesser/dpa)
Foto: Erik S. Lesser

Mit Walmart verbindet mich auch eine persönliche Geschichte. Nach dem Abitur habe ich für ein halbes Jahr in der Deutschland-Zentrale von Walmart gearbeitet, habe dort das Accounting unterstützt. Im Sommer 2006 zog sich Walmart aus Deutschland zurück. Auch zehn Jahre nach dem Markteintritt hatte das Unternehmen gegen die deutschen Platzhirsche keine Chance.

In den USA spielt Walmart in einer ganz anderen Liga. Dort kennt man es vor allem für den 24-Stunden-Supermarkt in Wohnortnähe.

Schätzungsweise 550 Milliarden US-Dollar wird Walmart im laufenden Gesamtjahr, das am 31. Januar 2021 enden wird, umsetzen. Dies entspricht etwa dem BIP von Schweden bzw. dem zweifachen BIP von Griechenland.

Mit ca. 2,2 Millionen Beschäftigten ist Walmart auch der größte private Arbeitgeber weltweit. Das Unternehmen führt weltweit 11.500 Märkte. In den USA, Mexiko und Kanada ist Walmart der dominierende Einzelhändler. Das Unternehmen hat zudem eine starke Präsenz in China und ist als Mehrheitsgesellschafter von Flipkart der dominierende Player im E-Commerce auf dem indischen Subkontinent. Das Warensortiment umfasst neben Lebensmitteln auch Kleidung, Drogerieartikel, Haushaltswaren und andere Gegenstände des täglichen Bedarfs.

1962 gründete Sam Walton Walmart. Im selben Jahr eröffnete der erste Walmart Store in Rogers, Arkansas. Dabei setzte der Gründer ein neuartiges, verbraucherfreundliches Konzept um, das auf dem Verkauf großer Mengen zu niedrigen Preisen mit reduzierten Margen basierte. Nur fünf Jahre später besaß die Walton-Familie bereits 24 Supermärkte mit einem Umsatzvolumen von insgesamt 12,7 Millionen US-Dollar.

Der Börsengang des Konzerns mit Sitz in Bentonville, Arkansas, erfolgte im Oktober 1969. Seit 1972 werden die Walmart-Aktien öffentlich an der New Yorker Börse gehandelt. In den 1980er Jahren erlebte der Konzern ein starkes Wachstum und betrieb 1987 bei seinem 25-jährigen Jubiläum knapp 1.200 Supermärkte.

Auch der Lebensmittelhandel befindet sich im digitalen Umbruch. Doch Walmart kann hier dank seiner starken Position an der Speerspitze stehen. Walmart expandiert bereits ambitioniert in den Online-Bereich, bietet mit seinem Abo-Modell Walmart Plus noch Wachstumsfantasie, ist zudem im Offline-Segment kaum zu verdrängen.

Walmart ist ein großer Tanker, kein Überflieger, aber zum günstigen Preis eine interessante, stabile Beimischung.

Krisenfestes Geschäft

Lebensmittel und Haushaltswaren werden immer benötigt. Corona zeigt uns das deutlich. In den Industrieländern ist das Wachstumspotenzial natürlich weitgehend aufgebraucht. Mit mehr als 2 bis 3 Prozent Wachstum pro Jahr sollten Anleger nicht mehr rechnen. Viele Kunden halten gewissen Marken und Produkten viele Jahre lang die Treue. Sie wissen genau, was sie mit einem Produkt kaufen und können sich darauf verlassen. Oft werden Konsumgewohnheiten bestimmter Produkte sogar an die nächste Generation weitergegeben. Umsätze in den entwickelten Regionen der Welt werden also mit Sicherheit stabil bleiben.

Doch gerade in den Entwicklungsländern bietet sich aufgrund der Demographie noch ordentliches Potenzial. Da hier die Bevölkerung immer weiter wächst, fragen auch immer mehr Menschen Konsumgüterprodukte nach. In vielen wirtschaftlich aufstrebenden Ländern kommt die Massenversorgung mit abgefüllten Getränken, abgepackten Lebensmitteln, Hygiene- und Körperpflegeprodukten gerade erst in Schwung. Doch wie sieht es nun aus mit der Online-Konkurrenz? Kann Walmart Fuß fassen im Internet?

Jeff Bezos‘ Universum steht Pate

Interessant zu beobachten war eines: Während der ersten Lockdown-Phase im Frühjahr gerieten die Online-Systeme und Vertriebsketten von Amazon und Ebay zeitweise an ihre Grenzen. Dies führte dazu, dass die Verbraucher andere Dienstleister ausprobierten. Walmart konnte hier punkten, auch weil das Unternehmen in den letzten Jahren in seine Online-Plattformen investiert hatte.

Walmart attackiert konsequent die Dominanz von Amazon im Online-Handel. Seit 2016 hat Walmart mit unterschiedlichem Erfolg eigene Online-Dienste und -Produkte gekauft bzw. selbst gelauncht, vieles von Amazon kopiert und zudem seinen Vorteil der physischen Präsenz ausgespielt. Walmart hat den Lieferservice und das kontaktlose Abholen im Geschäft auf deutlich mehr Produkte ausgeweitet, neue Dienste wie Express-Service eingeführt und seine Website walmart.com zu einem Marktplatz für Drittanbieter ausgebaut.

Zwar ist Amazons US-Marktanteil am E-Commerce in den letzten Quartalen geschrumpft, doch der Abstand zu Walmart ist natürlich noch groß. Walmart hat sich mittlerweile mit einem Marktanteil von 5,8 Prozent auf den zweiten Platz hoch gekämpft.

Im Vergleich zur Konkurrenz hat Walmart zudem einige Vorteile. Der Konzern verfügt über ein breiteres internationales Netz. Als Muttergesellschaft von Sam’s Club und dem britischen Supermarktbetreiber Asda ist Walmart auch offline mehr als nur seine Namensvetterkette.

Mit Walmart Plus wandelt das Unternehmen auf Amazon-Prime-Spuren, bietet seinen Kunden kostenlose Lieferungen und zahlreiche Rabatte. Das Vorteilspaket soll weiter ausgebaut werden, was sich in weiterem Kundenwachstum spiegeln wird.

Etwa 14 Millionen Haushalte in den USA sind bereits Walmart-Plus-Abonnenten. Laut Umfragen sind etwa 2,7 Millionen Amazon-Prime-Kunden zu Walmart Plus gewechselt.

Das Klientel von Walmart ist älter und technisch weniger versiert als die Stammkunden von Amazon.

Doch gerade in unteren Preissegmenten kann Walmart Amazon Marktanteile abnehmen. Unter den US-Haushalten mit niedrigerem Einkommen gibt es mehr Walmart-Kunden als Amazon-Kunden. Der Unterschied im Durchschnittseinkommen ist signifikant: 76.000 US-Dollar verdient der durchschnittliche Walmart-Kunde, 84.000 US-Dollar der Amazon-Kunde.

Immer mehr US-Kunden nutzen zudem Google Home, um von Walmart ihre benötigten Waren zu bestellen und nach Hause liefern zu lassen. Die Kooperation mit Google ist exklusiv und hat natürlich Amazons Eigenmarken-Vertrieb via Alexa zum Vorbild. Auch während der Prime Days von Amazon im Oktober wagte Walmart den Wettbewerb und pries sehr aggressiv seine eigenen Rabattaktionen an.

Gute Margen im Konkurrenzvergleich

Kommen wir nun zu den nackten Zahlen. Walmarts Bruttomarge liegt bei 25 Prozent, die operative Marge fiel in den letzten 10 Jahre um mehr als 2 Prozentpunkte auf 3,93 Prozent. Die Nettomarge liegt nach einer Durststrecke zwischen 2017 und 2019 wieder bei 3,3 Prozent, die EBITDA-Marge bei rund 6 Prozent. Dies sind gerade im Handel sehr gute Werte.

Der ROIC kletterte zuletzt wieder auf alte Werte, liegt aktuell bei 13,59 Prozent. Die Eigenkapitalrendite liegt bei 24 Prozent. Der Free Cashflow schwankt jedoch deutlich, war in den letzten 3 Jahren negativ. In den letzten 12 Monaten flossen 23 Milliarden US-Dollar in die Kassen. Zum Vergleich: Der Retail-Bereich von Konkurrent Amazon hat eine operative Marge von -1 Prozent in 2019.

Walmart-CEO McMillon sprach zuletzt von „signifikant gesenkten Kosten“ und gab sich positiv bezüglich der weiteren Margenentwicklung.

Was uns immer besonders wichtig ist: Die Eigentümerperspektive ist stark ausgeprägt.

Die Gründerfamilie Walton besitzt 48,9 Prozent der Anteile, die restlichen Aktien befinden sich im freien Streubesitz. CEO Andrew Wilson ist seit 2000 im Unternehmen beschäftigt. Im Tech-Sektor kennt er sich aus, war vorher unter anderem bei Intel. Sein Management setzt auf Digitalisierung und Innovation.

Manager mit Lernkurve

Viele Jahre hat der Konzern versucht, in seinen Märkten Menschen durch Roboter zu ersetzen. Auch die Roboter von Alphabot kamen zum Einsatz. Das sind selbstfahrende Fahrzeuge, die Gegenstände in einem Lagersystem sammeln und zu Mitarbeitern bringen.

Noch im Januar war man bei Walmart entschlossen, mehr Roboter zu kaufen und weitere 650 Märkte damit auszustatten, wodurch die Gesamtzahl auf 1.000 angewachsen wäre.

Doch die Verträge mit dem Roboterhersteller Bossa Nova Robotics wurden mittlerweile beendet. Angeblich habe man während der Corona-Pandemie die Erfahrung gemacht, dass Menschen die Arbeit besser leisten können. Das Management ist also durchaus experimentierfreudig, zeigt sich gleichzeitig lernfähig. Eine gute Voraussetzung, um den Kampf gegen Amazon erfolgreich weiterzufechten. Bislang ist Walmarts E-Commerce-Geschäft defizitär. Die großen Investitionen in den Onlinehandel haben in den letzten Jahren die Margen deutlich gedrückt. 2018 hat sich Walmart gegen Amazon durchgesetzt und für 16 Milliarden US-Dollar die Mehrheit an Flipkart übernommen. Mittlerweile liegt der Anteil bei 82 Prozent. Flipkart ist der dominante E-Commerce Player in Indien. Trotz mangelnder Profitabilität und starker Konkurrenz (beispielsweise JioMart von Reliance und PhonePe) kann Flipkart in Zukunft für Furore sorgen. Ein Börsengang ist für 2021 geplant.

Das Smartphone ist das neue Einkaufszentrum

Künstliche Intelligenz ist für den Einzelhandel kein Fremdwort. Bereits vor einer Dekade nutzte Konkurrent Target die Computerhirne, um vorherzusagen, wann eine Frau schwanger sein und Interesse an entsprechenden Produkten zeigen könnte. Heute, da Covid-19 das Online-Shopping anheizt, stehen mehr Daten und Rechenleistung als je zuvor zur Verfügung.

Machine Learning ermöglicht den Aufbau direkter Beziehungen zum Kunden. Und solche Systeme brauchen Daten, um intelligent zu werden. Je mehr Daten sie erhalten, desto intelligenter werden sie.

Genau diese Tatsache ist Walmarts Kalkül hinter dem nahenden TikTok-Deal. Die unter Teenies und Twens sehr beliebte Video-App kann dem Unternehmen zukünftig ungeheure Datenmengen zu Vorlieben und Einkaufsverhalten liefern. Und Walmart weiß, dass gerade die junge Zielgruppe, die kurz vor dem Aufbau eines eigenen Haushalts steht, die langfristig wertvollste Kundengruppe darstellt.

Das Schlagwort lautet „Personalisierung“. Die künstliche Intelligenz lenkt Werbegelder in Richtung eines aufmerksamen jungen Publikums und generiert dynamische Angebote auf der Grundlage der Kundenpräferenzen. Das Motto lautet: Wisse, was Deine Kunden wollen, bevor sie es selbst wissen! Kommen wir nun noch kurz zur Bilanz.

Walmarts Vorstöße in die digitalen Sphären hinterlassen natürlich Spuren beim Goodwill. Auch die Verschuldung ist kein Ruhmesblatt. Das Current Ratio liegt bei 0,8, der Verschuldungsgrad ebenso. Beides sind keine idealen Werte. Die langfristigen Verbindlichkeiten wurden in den letzten Jahren erhöht. Der Cash-Bestand ist jedoch noch dreimal höher als die kurzfristigen Verbindlichkeiten.

So, wie sieht es denn nun aus mit der Aktie?

Kaufen oder nicht kaufen? In den letzten Jahren wurde Walmart an der Börse kritisch beäugt. Aufgrund der starken Konkurrenz von Amazon traute man dem Unternehmen für die Zukunft nicht viel zu. Der Aktienkurs bewegte sich lange seitwärts. Inwieweit sich der Angriff auf Amazon auszahlen wird, lässt sich schwer ermitteln. Ich bleibe trotz aller guten Ansätze sehr vorsichtig. Bei einer konservativen Wachstumserwartung von max. 3 Prozent pro anno in den kommenden 10 Jahren liegt der Innere Wert der Aktie bei rund 120 US-Dollar Walmart ist in jedem Fall ein Langfristinvestment, vorausgesetzt Sie können das Papier zu einem solch niedrigen Preis bekommen. Aktuell steht die Aktie bei 142 US-Dollar. Neue Kursrücksetzer während der anhaltenden Corona-Krise können Sie nutzen für den Einstieg in diese „Brot-und-Butter-Aktie“.

Die Dividende ist stabil. Bei einer Payout Ratio von 34 Prozent werden 2,14 US-Dollar ausgeschüttet.



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Henning Lindhoff ist Redakteur der PI Privatinvestor Kapitalanlage GmbH.
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