Politik

Deutschland steuert auf schärfste Grundrechtseingriffe seit Bestehen des Grundgesetzes zu

Angesichts der epidemischen Lage wird die Bundesregierung tiefgehende Grundrechtseingriffe durchführen. Während der Bundestag weitgehend entmachtet werden soll, soll die Regierung ermächtigt werden, das Grundgesetz auszuhebeln. Die Bürger könnten bald mit Ausgangssperren konfrontiert werden.
18.11.2020 13:20
Aktualisiert: 18.11.2020 13:20
Lesezeit: 2 min
Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..
Deutschland steuert auf schärfste Grundrechtseingriffe seit Bestehen des Grundgesetzes zu
16.05.2019, Berlin: Horst Seehofer (l, CSU), Bundesminister für Inneres, Heimat und Bau, und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) unterhalten sich in der Plenarsitzung anlässlich der Debatte zu 70 Jahre Grundgesetz im Deutschen Bundestag. (Foto: dpa) Foto: Bernd von Jutrczenka

Im „Dritten Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ soll ein neuer § 28a IfSG („Besondere Schutzmaßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus SARS-CoV-2“) eingefügt werden. Dieser Paragraph präzisiert künftig alle möglichen in Betracht kommenden Grundrechtseinschränkungen.

Im Detail geht es um folgende Bereiche:

„Ausgangs- oder Kontaktbeschränkungen im privaten sowie im öffentlichen Raum,

  1. Anordnung eines Abstandsgebots im öffentlichen Raum,
  2. Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung (Maskenpflicht),
  3. Untersagung oder Beschränkung des Betriebs von Einrichtungen, die der Kultur- oder Freizeitgestaltung zuzurechnen sind,
  4. Untersagung oder Beschränkung von Freizeit-, Kultur- und ähnlichen Veranstaltungen,
  5. Untersagung oder Beschränkung von Sportveranstaltungen,
  6. Schließung von Gemeinschaftseinrichtungen im Sinne von § 33 oder ähnlicher Einrichtungen sowie Erteilung von Auflagen für die Fortführung ihres Betriebs,
  7. Untersagung oder Beschränkung von Übernachtungsangeboten,
  8. Betriebs- oder Gewerbeuntersagungen oder Schließung von Einzel- oder Großhandel oder Beschränkungen und Auflagen für Betriebe, Gewerbe, Einzel- und Großhandel,
  9. Untersagung oder Erteilung von Auflagen für das Abhalten von Veranstaltungen,
  10. Untersagung sowie dies zwingend erforderlich ist oder Erteilung von Auflagen für das Abhalten von Versammlungen oder religiösen Zusammenkünften,
  11. Verbot der Alkoholabgabe oder des Alkoholkonsums auf bestimmten öffentlichen Plätzen oder zu bestimmten Zeiten,
  12. Untersagung oder Beschränkung des Betriebs von gastronomischen Einrichtungen,
  13. Anordnung der Verarbeitung der Kontaktdaten von Kunden, Gästen oder Veranstaltungsteilnehmern, um nach Auftreten eines Infektionsfalls mögliche Infektionsketten nachverfolgen und unterbrechen zu können,
  14. Reisebeschränkungen.“

Der verfassungspolitische Sprecher der Linken, Niema Movassat, sagte gegenüber „Legal Tribune Online“: „Wir erleben die schärfsten, grundrechtsintensivsten Maßnahmen seit Bestehen des Grundgesetzes und die Koalitionsfraktionen betreiben trotzdem weiter politisch Schindluder. Statt die Rolle des Parlamentes und der Opposition ernst zu nehmen, legen sie montagmorgens dem Ausschuss dutzende Änderungen an ihrem eigenen Gesetz als Tischvorlage vor. Das ist ein Stil, der die Legitimität von parlamentarischen Verfahren gefährdet und geeignet ist, noch mehr Vertrauen in der Bevölkerung zu verspielen.“

Problematisch ist vor allem, dass der Exekutive, also der Regierung, große Macht eingeräumt wird, ohne den Bundestag zu beteiligen. Der FDP-Politiker Konstantin Kuhle spricht im Interview mit „Merkur Online“ von „exekutiver Arroganz“. „Cicero“ führt aus: „Eine Beschränkung des privaten Raumes ist damit unter den gleichen Voraussetzungen möglich, wie eine solche des öffentlichen Raumes, maßgeblich ist allein die Einschätzung der Exekutive im Hinblick auf die Notwendigkeit der Maßnahme. Auch hier ist die Anhörung der Sachverständigen glücklicherweise nicht folgenlos geblieben, so dass nunmehr für einige wenige Maßnahmen, die verfassungsrechtlich sensible Bereiche betreffen (etwa Versammlungen und Gottesdienste) spezifische Voraussetzungen vorliegen müssen. Dennoch: Hier hätte sich der Gesetzgeber besser generell am allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht orientiert, das neben einer Generalklausel für besondere Maßnahmen jeweils eigene Rechtsgrundlagen und besondere Tatbestandsvoraussetzungen formuliert.“

Angesichts der Kritik an dem geplanten Paragraphen entschied sich die Bundesregierung dazu, den Paragraphen teilweise zu entschärfen. Auf Openpetition.de wird trotzdem Kritik an der Novelle geübt. Dort heißt es: „Neu: Offenbar sollen nächtliche Ausgangssperren zulässig sein (,Ausgangsbeschränkungen‘/,Verlassen des priv. Wohnbereichs nur zu bestimmten Zeiten‘). Das Virus überträgt sich aber nachts nicht anders als tagsüber (oder andersh.). Die Regelung halte ich für verfassungswidrig. Es ist weiterhin davon die Rede, dass ggf. bundesweit einheitliche Maßnahmen anzustreben sind. Bundesweit einheitliche Maßnahmen kann aber nur der Bund verordnen, dafür bedarf es einer entsprechenden Verordnungsermächtigung.”

Doch Andrea Kießling, eine der Expertinnen für das neue Infektionsschutzgesetz, meint der „Zeit“ zufolge: „Wenn wir keine Gesetze hätten, die die Behörden zu Grundrechtseingriffen ermächtigen würden, wäre der Staat handlungsunfähig – oder eine Diktatur.“

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Politik
Politik Nawrocki besucht Berlin – Bundesregierung weist Reparationsforderungen zurück
16.09.2025

Polens neuer rechtskonservativer Präsident Karol Nawrocki ist zu seinem Antrittsbesuch in Berlin eingetroffen. Dabei könnte es zu...

DWN
Immobilien
Immobilien Smart Cities in Europa: Warum die urbane Zukunft mehr als IT braucht
16.09.2025

Smart Cities gelten als Schlüssel für die urbane Zukunft – doch ohne klare Strategie und Bürgerbeteiligung bleiben sie Stückwerk....

DWN
Politik
Politik EU-Datengesetz: Smart-TV bis E-Bike - mit Data Act haben Nutzer neue Rechte
16.09.2025

Der Data Act der EU sieht seit dem 12. September 2025 vor, dass Hersteller Zugang zu den gespeicherten Daten vernetzter Geräte gewähren...

DWN
Politik
Politik Sondergipfel in Katar: Forderung nach internationalem Waffenembargo gegen Israel
15.09.2025

Der Sondergipfel in Katar hat mit scharfer Kritik auf das israelische Vorgehen reagiert. Mehrere Staaten der Region erklärten ihre...

DWN
Politik
Politik UN-Kritik: Israel zielt auf Journalisten um eigene Gräueltaten zu vertuschen
15.09.2025

252 Reporter sind in gut zweieinhalb Jahren im Gazastreifen getötet worden. Diese Zahl sei kein Zufall, meinen Menschenrechtsexperten und...

DWN
Politik
Politik Elektroautos: Autofahrer revoltieren gegen Brüsseler Kurs
15.09.2025

Subventionen statt Innovation: Während China den Markt dominiert, setzt die EU auf Elektroautos um jeden Preis. Für Autofahrer und...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Apothekennetz schrumpft - Branche verlangt Reform
15.09.2025

In Deutschland schließen immer mehr Apotheken: Allein im ersten Halbjahr sank die Zahl der Standorte um 238 auf 16.803. Damit hat in den...

DWN
Technologie
Technologie Klage gegen Google: Streit um KI-Zusammenfassungen
15.09.2025

Der US-Medienkonzern Penske Media, zu dem Titel wie Rolling Stone und Hollywood Reporter gehören, hat Google wegen seiner neuen...