Politik

Deutschlands und Frankreichs außenpolitische Ziele passen nicht zusammen

In einem offenen Brief an Washington wollen die Außenminister Frankreichs und Deutschlands Einheit demonstrieren. Doch die jüngsten Ereignisse zeigen: Paris und Berlin haben verschiedene außenpolitische Ziele. Während Deutschland offen für die Nato und die USA unter Joe Biden ist, will Emmanuel Macron, dass in Europa alle nach seiner außenpolitischen Pfeife tanzen.
19.11.2020 12:57
Aktualisiert: 19.11.2020 12:57
Lesezeit: 6 min
Deutschlands und Frankreichs außenpolitische Ziele passen nicht zusammen
19.06.2020, Berlin: Heiko Maas (r, SPD), Außenminister, und Jean-Yves Le Drian, Außenminister von Frankreich, kommen zu einer Pressekonferenz nach einem Gespräch in der Villa Borsig. (Foto: dpa) Foto: Bernd von Jutrczenka

Deutschlands Außenminister Heiko Maas und sein französischer Amtskollege Jean Yves Le Drian schreiben in einem Betrag für die drei Medien „Zeit Online“, „Le Monde“ und „Washington Post“, dass Europa und Amerika einen transatlantischen „New Deal“ bräuchten. Aus dem offenen Brief an die US-Regierung geht hervor, dass Maas und Le Drian die USA für die Interessen Kontinentaleuropas einspannen wollen, die teilweise im Gegensatz zu den Interessen der USA und Großbritanniens stehen.

Im Zusammenhang mit Russland führen die beiden Top-Diplomaten aus: „Mit Biden aber wird wieder größere transatlantische Geschlossenheit möglich, sowohl gegenüber Autokraten als auch gegenüber Staaten, die ihre Macht durch das Untergraben der internationalen oder regionaler Ordnungen zu mehren versuchen. Prinzipienfestigkeit schließt Dialog und Zusammenarbeit jedoch nicht aus. Wir hoffen, dass es den Vereinigten Staaten und Russland gelingen wird, den New START-Vertrag über Februar 2021 hinaus zu verlängern. Auch wir sind bereit, bei Fragen, die die europäische Sicherheit betreffen, auf Moskau zuzugehen, und erwarten eine konstruktive Reaktion. Die Europäische Union muss sich darauf vorbereiten.“

Maas und Le Drian argumentieren widersprüchlich. Während sie von den USA eine gemeinsame Haltung gegenüber Russland einfordern, erwarten sie offenbar nicht nur von Washington, sondern auch von Moskau Verhandlungen und Einigungen entlang französisch-deutscher Interessen. Es wird deutlich, dass Maas und Le Drian ernsthaft glauben, dass sie die USA für ihre Interessen - und nicht andersherum - einspannen können. Vielleicht hängt dieser Ansatz auch mit dem Wunsch zusammen, Nord Stream 2 in Betrieb nehmen zu können.

In Bezug auf China führen die beiden Politiker aus: „Unter einer Regierung Biden wird sich die Kompassnadel der US-Außenpolitik auch weiterhin eher auf China ausrichten, ein Land, das wir gleichzeitig als Partner, Wettbewerber und systemischen Rivalen sehen. Gemeinsam müssen wir einen wirksamen Hebel finden, wie wir mit dem wachsenden Selbstbewusstsein Chinas umgehen und zugleich die notwendigen Kanäle für eine Zusammenarbeit mit Peking offenhalten, um globalen Herausforderungen wie der COVID-19-Pandemie und dem Klimawandel zu begegnen. Dies erfordert jedoch, dass die Vereinigten Staaten und Europa sich enger miteinander abstimmen, um beispielsweise im Umgang mit Menschenrechten, digitaler Infrastruktur und fairem Handel gemeinsam vorzugehen.“

Dieser Ansatz von Maas und Le Drian stellt einen Widerspruch in sich dar. Es ist zwar richtig, dass China ein „systemischer Rivale“ der USA ist, doch für Deutschland gilt das eigentlich nicht. China war 2019 mit einem Handelsvolumen von fast 200 Milliarden Euro erneut Deutschlands wichtigster Handelspartner. Deutschland gibt sich sehr offenherzig, wenn es darum geht, dass reiche Chinesen in Deutschland auf „Einkaufstour“ gehen, während es US-amerikanische Kauf-Interessenten mit Argwohn beäugt. Das Auswärtige Amt, das von Maas geleitet wird, führt schließlich selbst aus: „China sieht Deutschland sowohl wirtschaftlich als auch politisch als wichtigen Partner in Europa. Die regelmäßige Koordinierung der Politik auf hoher Ebene in rund 80 Dialogmechanismen sowie dynamische Handelsbeziehungen, Investitionen, Umweltzusammenarbeit und Zusammenarbeit im kulturellen und wissenschaftlichen Sektor sind Schlüsselelemente in den bilateralen Beziehungen.“

Hinzu kommt, dass die USA Deutschland und China als wirtschaftliche Rivalen einstuft. Dies hat in erster Linie damit zu tun, dass beide Staaten seit Jahren Handelsüberschüsse erzielen, während die USA sowohl ein Handels- als auch ein Haushaltsdefizit vorzuweisen hat. Während beide Staaten ihre wirtschaftliche Macht einsetzen, um politischen Einfluss in der Welt zu erzielen, droht den USA ein wirtschaftliches Fiasko und - als Folge davon - eine massive Schwächung sowohl ihrer politischen als auch militärischen Kapazitäten, falls dieses Welthandelssystem weiterhin aufrechterhalten werden sollte. Zudem stellt die angestrebte Kooperation Deutschland mit China im Bereich 5G ein Problem dar. So sehen es jedenfalls die Amerikaner. Daraus folgt, dass die USA sehr gerne mit Deutschland gegen China und Russland vorgehen würden, doch dafür müssen folgende Voraussetzungen gegeben sein:

  • Nord Stream 2 muss gestoppt werden
  • Keine französisch-deutsche Klüngelei mit Russland
  • Die Exportquoten für US-amerikanische Waren in der EU müssen erhöht werden
  • Einen Ausbau des 5G-Netzes durch Huawei darf es nicht geben
  • Deutschland muss bei den Rüstungsausgaben das Zwei-Prozent-Ziel der NATO erfüllen

Nur wenn diese Voraussetzungen erfüllt werden würden, wäre Washington bereit, Deutschland als engen weltpolitischen Verbündeten anzuerkennen. So sieht die Realität aus.

Zum Iran und zum Nato-Partner Türkei führen Le Drian und Maas aus: „Als Europäer wollen wir die Vereinigten Staaten dazu bewegen, wieder gemeinsam mit uns darauf hinzuarbeiten, dass das iranische Nuklearprogramm ausschließlich friedlichen Zwecken dient. Und zugleich wollen wir auch die anderen Probleme anzugehen, die Irans Verhalten für unsere Sicherheit und die gesamte Region darstellt. Wir müssen uns zudem mit dem problematischen Auftreten der Türkei im östlichen Mittelmeerraum und darüber hinaus auseinandersetzen. Und wir müssen bei der Bekämpfung von Terrorismus und Radikalisierung, die unsere Sicherheit und unsere Gesellschaften auf beiden Seiten des Atlantiks bedrohen, Hand in Hand arbeiten.“

Wie wollen Le Drian und Maas garantieren, dass das iranische Atomprogramm friedlichen Zwecken dient? Wie wollen sie Israel von diesem Ansatz überzeugen? An den Ausführungen der beiden Diplomaten ist erneut eine gewisse Heuchelei herauszulesen. Fakt ist, dass Frankreich und Deutschland den Iran in erster Linie als Handels- und Energiepartner auf der europäischen Seite haben wollen, um ein Gegengewicht zu den USA zu bilden. Doch in ihrem Brief behaupten sie, dass ihr pro-iranischer Ansatz nur dem Frieden und der Sicherheit dienen soll.

Im zweiten Absatz wird die Türkei als Gefahr dargestellt, der es gemeinsam zu begegnen gilt. Dieser Ansatz von Le Drian und Maas ist wiederum in sich schlüssig. Denn eine europäische Kooperation und Zusammenarbeit mit dem Iran setzt wiederum zwangsläufig einen Ausschluss der Türkei voraus, weil die aktuelle Außenpolitik Kontinentaleuropas darauf ausgerichtet ist, die Türkei im östlichen Mittelmeer und in der gesamten Region zu schwächen und vollständig zu isolieren. Dabei würden Paris, Berlin und Ankara allesamt profitieren, wenn trilaterale Gespräche stattfinden würden. Doch das ist nicht möglich, weil Großbritannien und Russland alles tun würden, um dies zu verhindern. Der englischsprachige Dienst der Zeitung „Hürriyet“ kritisiert: „Die Darstellung der Türkei als Problemquelle in ihrer Region ist nicht fair und nicht realistisch. Das Problem im östlichen Mittelmeerraum ist sowohl rechtlich als auch politisch sehr kompliziert und hat mehrere Blickwinkel und Akteure. Indem die Minister die ganze Schuld auf die Türkei legen und ihre Maßnahmen als problematisch einstufen, wollen sie sich anscheinend nicht daran erinnern, dass es das griechische Zypern war, das in der Region Aktivitäten zur Exploration von Kohlenwasserstoffen unter Missachtung der Interessen und Rechte der türkischen Zyprioten und der Türkei gestartet hat.“

Weiterhin führen Maas und Le Drian aus: „Wir Europäer fragen nicht länger nur, was Amerika für uns tun kann. Sondern was wir tun können, um unsere eigene Sicherheit zu verteidigen und zugleich die transatlantische Partnerschaft ausgewogener zu gestalten. Dies sind zwei Seiten derselben Medaille. Die europäische Souveränität ist so mit den Jahren gewachsen. Wir entwickeln gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungskapazitäten. Diese braucht es, um sowohl die Europäische Union als auch die NATO zu stärken.

Die sogenannte „europäische Souveränität“ ist umstritten. Ein Ansatz geht davon aus, dass eine europäisch-militärische Souveränität nur unter dem Dach der Nato möglich sein kann. Ein Sprecher des Pentagon hatte zuvor den Deutschen Wirtschaftsnachrichten im Rahmen eines Interviews mitgeteilt: „Die USA unterstützen ergänzende Verteidigungsinitiativen der Europäischen Union, solange sie nicht von den Fortschritten und Anforderungen der NATO ablenken (…) Die NATO und die EU müssen sich gegenseitig bei der Unterstützung von Partnern im Osten und Süden ergänzen. Eine stärkere und leistungsfähigere europäische Verteidigung wird zu einer stärkeren NATO führen.“

Frankreich vertritt eine ganz andere Ansicht. Paris fordert eine europäische Armee unter europäischer Führung, womit die Franzosen eigentlich „französischer Führung“ sagen möchten. Der französische Präsident Emmanuel Macron hatte sich mehrmals kritisch gegenüber der Nato geäußert.

In diesem Zusammenhang muss ein Ereignis geschildert werden, das den gemeinsamen Brief von Maas und Le Drian weitgehend obsolet macht. Die aktuelle deutsche Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer hatte kürzlich gesagt, dass sich Europa ohne die USA nicht verteidigen könne. Macron hatte daraufhin die Äußerungen Kramp-Karrenbauers als „Fehlinterpretation der Geschichte“ kritisiert und sich für europäische Souveränität in Verteidigungsfragen ausgesprochen.

Kramp-Karrenbauer bekräftigte anschließend ihre Auffassung, dass sich Europa absehbar nicht ohne die USA verteidigen könne. Die scheidende CDU-Chefin sagte bei der Veranstaltungsreihe „Augsburger Allgemeine Live“, in weiten Teilen sei sie sich mit Macron zwar einig, nämlich dass die Europäer mehr tun müssten für ihre eigene Sicherheit und Verteidigung. Worum es am Ende aber gehe, sei die Frage: „Tun wir es, um ein besseres Verhältnis mit den USA zu haben? Oder tun wir es, um ohne die USA und ohne Nato zurecht zu kommen? Und ich bin der festen Überzeugung: Wir werden immer noch die Nato und gute amerikanische Verbündete brauchen.“



Macrons Vision einer europäischen Armee teile sie ebenfalls. „Ob das am Ende eine europäische Armee ist oder eine Armee der Europäer, darüber kann man streiten. Aber dass wir gemeinsam als Europäer in den Einsatz gehen wollen und dass wir auch gemeinsam Verteidigungssysteme für die Zukunft entwickeln wollen, das ist völlig unbestritten.“

Somit kann zusammenfassend festgestellt werden, dass Deutschland in den kommenden Jahren voraussichtlich dazu tendieren wird, mit den USA auf der Weltbühne zu kooperieren, während in Frankreich die anti-amerikanischen Kräfte an Zulauf gewinnen. Dies könnte zu Spannungen zwischen Deutschland und Frankreich führen, die jedoch nicht eskalieren würden, weil beide Länder über die EU-Mechanismen viel zu sehr miteinander verbunden sind.

Zu einer Eskalation der deutsch-französischen Spannungen und zum „großen Knall“ innerhalb der EU würde es nur dann kommen, wenn der „Rassemblement National“ unter Marine Le Pen in Frankreich die Macht ergreifen würde. Wenn dieses Szenario eintreten sollte, würde Frankreich anschließend nach Russland ausschwenken. Frankreich und Russland würden sich als zwei teilweise isolierte Staaten zusammenfinden, um die französisch-russische Allianz (Zweibund) des 19. Jahrhunderts wiederaufleben zu lassen, was Deutschland wiederum in eine ähnliche Lage wie Polen bringen würde. Durch diese „politische Zweifrontenlage“ würde sich Deutschland nämlich noch stärker in Richtung der USA orientieren.

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