Wie steht es mit dem schwedischen Corona-Sonderweg? Ist es überhaupt noch ein Sonderweg? Wie stellt sich momentan die Lage in Schweden dar? Und wie sind die gesundheitlichen und ökonomischen Auswirkungen der Pandemie?
Gesamtmortalität
Die folgende Tabelle zeigt die Gesamtmortalität in Schweden seit 2010 in den jeweils ersten 44 Wochen des Jahres, also bis Mitte/ Ende November. Die Zahl der Verstorbenen wurde durch die Einwohnerzahl geteilt und dann mal Tausend genommen. So erhält man die Gesamtmortalität pro tausend Einwohner. Die Zahl der Verstorbenen stammt von "The Human Mortality Database", deren Direktor Vladimir Shkolnikov am Rostocker "Max-Planck-Institut für Demografische Forschung" arbeitet, und die die Zahlen vom statistischen Zentralamt Schwedens (SCB) verwendet. Für die Bevölkerungszahlen wurde "Statista" verwendet.
Gesamtmortalität Schweden, jeweils Wochen 1-44 |
Verstorbene pro tausend Einwohner |
Rang (je niedriger der Rang, desto niedriger die Mortalität) |
2010 |
7,944374 |
10 |
2011 |
7,904536 |
9 |
2012 |
8,00659 |
11 |
2013 |
7,853161 |
8 |
2014 |
7,613949 |
6 |
2015 |
7,689374 |
7 |
2016 |
7,3988 |
2 |
2017 |
7,44031 |
5 |
2018 |
7,420626 |
3 |
2019 |
6,986447 |
1 |
2020 |
7,437203 |
4 |
Man sieht, dass innerhalb der letzten 11 Jahre das Jahr 2020 die viertniedrigste Gesamtmortalität aufwies. Das heißt, in drei Jahren (2019, 2018 und 2016) hatte Schweden eine niedrigere Gesamtmortalität als 2020 und in sieben Jahren eine höhere Mortalität. 2020 ist also ein Jahr mit recht niedriger Sterblichkeit, jedenfalls besser als der Median der letzten 11 Jahre. Man kann deshalb bis Mitte November kaum von einer Sterbewelle in Schweden sprechen oder von einem verantwortungslosen epidemiologischen Umgang, der besonders vielen Menschen das Leben kostete, im Gegenteil. Von der Sterblichkeit her betrachtet ist 2020 eines der vier besten Jahre innerhalb der letzten 11 Jahre. Angesichts dieser Zahlen kann man schwerlich von einer Gesamt-Übersterblichkeit in Schweden in den ersten 44 Wochen des Jahres 2020 sprechen.
Die starke Untersterblichkeit von 2019 und der zu erwartende rebound-Effekt im Jahr 2020
Dass es in Schweden in den ersten 44 Wochen 2020 keine Gesamt-Übersterblichkeit gab, ist umso bemerkenswerter, als es bis kurz vor Auftreten des Corona-Virus eine starke Untersterblichkeit in Form von zwei Tälern gab (siehe Schaubild unten). 2019 verzeichnete Schweden deshalb einen starken „Mortalitätsausreißer“ nach unten und wies die niedrigste Anzahl von Verstorbenen seit 1977 aus. Daher konnte man nach der "dry tinder" (trockener Zunder)-Hypothese mit einer deutlichen Übersterblichkeit 2020 rechnen. Insofern muss man berücksichtigen, dass das Land Anfang 2020 in einer verwundbareren Situation als viele andere Länder, insbesondere als seine Nachbarländer war, wo 2019 sehr viel mehr ältere Menschen den dortigen Grippewellen zum Opfer gefallen waren.
Kurz: Für 2020 war nach der ungewöhnlich starken Untersterblichkeit 2019 mit einem deutlichen Ansteigen der Gesamtmortalität gegenüber dem Vorjahr zu rechnen. Insbesondere bei Auftreten eines besonders aggressiven Virus war zu erwarten, dass ihm in Schweden besonders viele besonders verwundbare ältere und schwer vorerkrankte Menschen zum Opfer fallen würden. Genau dieser „rebound“-Effekt trat 2020 ein. Er führte dazu, dass in den ersten 44 Wochen 2020 der Gesamtmortalitätswert ziemlich exakt auf die Werte der drei Jahre vor 2019 zurücksprang (siehe Schaubild oben), aber erstaunlicherweise nicht darüber hinweg stieg. Es gab demnach also keine Gesamt-Übersterblichkeit.
Covid-Mortalität
Gehen wir nun weg von sämtlichen Verstorbenen und richten den Blick lediglich auf die Covid-Toten, vor allem auf den aktuellen Rand. An oder mit Corona starben in Schweden bis Ende November insgesamt etwas weniger als 10 Prozent aller Hingeschiedenen. Über 90 Prozent aller Toten starben also an anderen Ursachen. Das erklärt auch, warum in Schweden, obwohl die Covid-Sterblichkeit vergleichsweise hoch ist, die Gesamtsterblichkeit trotzdem nicht hoch sein muss und tatsächlich nicht überdurchschnittlich hoch ist. Laut statista.com gab es in Schweden im Oktober 147 Covid-Verstorbene, in Deutschland 989, im November in Schweden 1.118, in Deutschland 6.211. Berücksichtigt man die Größe der Bevölkerung (Deutschland 2019 83,2 Millionen, Schweden 10,33 Millionen) heißt das, dass in Schweden im Oktober etwa 25 Prozent mehr Menschen pro 100.000 Einwohner und im November gut 50 Prozent mehr als in Deutschland an oder mit Corona gestorben sind.
Allerdings scheint sich in der letzten November-Woche (der letzte Zeitraum, für den verlässliche schwedische Zahlen vorliegen) eine Trendumkehr abzuzeichnen. Von 24. bis 30.11. sank die Zahl der an oder mit Corona Gestorbenen in Schweden um 22 Prozent. In Deutschland stieg im selben Zeitraum jedoch der 7-Tages-Mittelwert der an oder mit Corona Gestorbenen um etwa 33 Prozent. Auch die Zahl der neu eingelieferten Intensivpatienten in Schweden scheint seit Mitte/ Ende November langsam zurückzugehen.
Das Argument, dass in Schweden bis heute (zumindest bis Ende November) mehr Menschen pro 100.000 Einwohner an Corona starben und sterben als in Deutschland, ist also korrekt. Da aber etwas weniger als 10 Prozent aller Toten in Schweden an oder mit Corona sterben, darf man daraus nicht ableiten, dass Schweden eine insgesamt höhere Gesamtmortalität hat und durch seine epidemiologischen Maßnahmen eine insgesamt höhere Sterblichkeit hervorgerufen hat oder hervorruft. Denn das stimmt nicht. Im Gegenteil. Angesichts der historisch niedrigen Sterblichkeit 2019 weist 2020, wie oben ausgeführt, einen überraschend milden Verlauf der Gesamtsterblichkeit auf, keine allgemeine Übersterblichkeit.
Dieser scheinbare Widerspruch liegt daran, dass, wie gesagt, der Anteil der an oder mit Corona gestorbenen Menschen in Schweden bei knapp 10 Prozent liegt. In Deutschland liegt dieser Wert bei unter 4 Prozent. Dennoch behandeln gefühlt 99 Prozent aller Medienberichte über Sterben und Tod in Deutschland seit März Corona. Die gut 96 Prozent aller Menschen, die 2020 in Deutschland nicht an oder mit Corona, sondern an anderen Ursachen starben, spielen in den Medien keine nennenswerte Rolle mehr. Das spricht doch für eine verblüffende Inkongruenz der Berichterstattung. Das Scheinwerferlicht der Medien strahlt gefühlt Tag und Nacht auf Corona. Es findet geradezu ein Hype statt. Auch viele andere wichtige Themen versinken seit Monaten in der Bedeutungslosigkeit.
Corona-Maßnahmen in Schweden
Zuletzt soll noch ein Blick darauf geworfen werden, welche Maßnahmen zur Pandemie-Eindämmung die Schweden eigentlich momentan, also Stand etwa Mitte Dezember ergreifen. Richten wir den Blick vor allem auf die Unterschiede zu Deutschland: Gesichtsmasken, also Mund-Nasen-Schutz-Masken gibt es in Schweden praktisch gar nicht. So gut wie alle Menschen laufen mit offenen Gesichtern statt mit Masken herum. Die Schulen (bis zur achten Klasse) waren das ganze Jahr hindurch geöffnet, die Schüler tragen keine Gesichtsmasken. Restaurants, Cafés, Hotels, Fitnessstudios und sonstige private Geschäfte sind geöffnet.
Öffentliche Veranstaltungen sind seit Kurzem auf acht Menschen begrenzt, nach 22 Uhr gilt ein Alkoholverbot und vom 7.12.2020 bis 8.1.2021 gibt es Homeschooling für Oberstufen-Schüler. Eine Maskenpflicht wird derzeit nicht einmal ernsthaft diskutiert, und privat dürfen sich auch mehr als acht Schweden treffen. Kurz: Schweden setzt nach wie vor auf einen äußerst liberalen Kurs in der Pandemie-Bekämpfung, appelliert ganz überwiegend an die Vernunft der Bürger statt eine Vielzahl von Verboten einzuführen. Erhebliche Einschränkungen in die Grundrechte gab es nie: Das Notfall-Pandemie-Gesetz, das im April verabschiedet worden war, lief Ende Juni aus, ohne jemals genutzt worden zu sein. Für Menschen mit starkem Freiheitsdrang klingt das nach wie vor paradiesisch.
Die Darstellung in den meisten deutschen Medien liest sich aber ganz anders. In unseren Leitmedien klingt es meist so, als ob Schweden nun – endlich – seinen Sonderweg, seine Rolle als schwarzes Schaf, aufgegeben habe und zu Zwangsmaßnahmen greife, wie eben alle anderen auch. Das ist aber eine klare Fehldarstellung, denn die Unterschiede zu Deutschland sind nach wie vor gewaltig. Insbesondere gibt es längst keine so aggressive und intolerante Stimmung und keine solche Angst wie bei uns. Kurz, die Menschen dort leben ungemein weniger (Corona)-belastet als bei uns.
Ökonomische Entwicklung
Vergleicht man die ökonomische Entwicklung von Deutschland und Schweden, so zeigt sich, dass Schweden deutlich erfolgreicher ist. Die beiden Länder haben praktisch eine gleich hohe Außenhandelsquote bzw. Offenheitsgrad (foreign trade quota, Anteil der Summe von Exporten und Importen am Bruttoinlandsprodukt) von 84 Prozent, sind also beide etwa gleich stark in den internationalen Handel eingebunden. Das deutsche Sozialprodukt ist in den ersten drei Quartalen 2020 um insgesamt 5,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr zurückgegangen, das schwedische um 3,13 Prozent. Der deutsche Wirtschaftsabschwung war also 1,85 Mal stärker als der schwedische, die deutsche Volkswirtschaft ist damit fast doppelt so stark abgestürzt wie die schwedische. Glückliches Schweden!
Fazit
Zusammenfassend lässt sich sagen: Der schwedische Corona-Weg ist entgegen den meisten deutschen Medienberichten nach wie vor ein liberaler Sonderweg. Es gibt praktisch keine Gesichtsmasken und sehr wenige gesetzliche Grundrechts-Einschränkungen. Das Leben in Schweden ist sehr viel freier, weniger aggressiv und weniger angstbesetzt als in Deutschland und den meisten anderen Industrieländern. Die Gesamtmortalität in Schweden war in den ersten 44 Wochen 2020 die viertniedrigste innerhalb der letzten 11 Jahre, es gibt 2020 keine Übersterblichkeit, sondern einen überraschend milden Verlauf der Gesamtsterblichkeit. Allerdings ist die Covid-Mortalität in Schweden pro 100.000 Einwohner unverändert deutlich höher als in Deutschland. Da es keine nennenswerten Lockdowns gab, ist die schwedische Wirtschaft 2020 nur etwa halb so stark abgestürzt wie die deutsche.