Politik

Deutschland ist für Friedrich Merz zweitrangig: An erster Stelle steht die Finanz-Industrie

Friedrich Merz könnte morgen CDU-Vorsitzender und im September Bundeskanzler werden. Für Deutschland wäre das eine denkbar schlechte Option.
15.01.2021 09:00
Lesezeit: 3 min
Deutschland ist für Friedrich Merz zweitrangig: An erster Stelle steht die Finanz-Industrie
Will Bundeskanzler werden: Joachim-Friedrich Martin Josef Merz. (Foto: dpa)

Morgen wird die CDU auf ihrem Parteitag ihren neuen Vorsitzenden wählen. Ohne Übertreibung lässt sich sagen: Die Entscheidung der 1001 Delegierten wird für Deutschland mindestens genauso weitreichende Folgen haben wie der Ausgang der Bundestagswahlen im September. Zwei Umstände sollte man nämlich als gegeben akzeptieren. Erstens: Der Vorsitzende der Christdemokraten wird auch ihr Spitzenkandidat. Zweitens: Dieser Kandidat wird neuer Kanzler. Dass Grün-Rot-Rot eine Mehrheit erhält, ist nämlich äußerst unwahrscheinlich. Und selbst wenn: Wie wahrscheinlich ist es, dass sich die drei Parteien soweit einig werden, dass eine Koalition tatsächlich möglich wird?

Mit anderen Worten: Der Sieger des morgigen Tages wird in den Jahren 2022 bis 2025 die Richtlinien der deutschen Politik bestimmen.

Einer der drei zur Wahl stehenden Kandidaten ist für diese Aufgabe denkbar ungeeignet. Er würde unserem Land schaden. Sein Name: Joachim-Friedrich Martin Josef Merz.

Der studierte Jurist ist seit Jahrzehnten ein neoliberaler Befürworter für Lohndruck sowie für massive Steuersenkungen für (Groß)Unternehmen und Reiche. Dem Millionär ging die Agenda 2010 nicht weit genug – am liebsten hätte er die Hartz IV-Sätze radikal gekürzt. Die Umsetzung solcher Ideen birgt gewaltigen gesellschaftlichen Sprengstoff, könnte gar zu Unruhen führen.

Der 66-jährige Merz ist Befürworter eines Wirtschafts- und Gesellschaftsmodells, das in den 80er-Jahren in den USA seinen Siegeszug antrat und vom Land der unbegrenzten Möglichkeiten nach Europa exportiert wurde. Mittlerweile, rund 40 Jahre später, muss man konstatieren, dass es sowohl jenseits als auch diesseits des Atlantiks gescheitert ist. Bewirkt hat es nämlich:

  • Produktionsauslagerungen in Billiglohnländer, De-Industrialisierung, hohe Einkommensverluste für viele Arbeitnehmer, den Zerfall der Mittelklasse sowie massive Konzentration der Einkommen und Vermögen, von der das reichste ein Prozent der Bevölkerung sowie – an der Spitze der Pyramide – eine Reihe von Milliardären profitieren.
  • Eine massive Entwertung des Großteils der existierenden Altersvorsorge-Systeme. Tatsache ist: Vielen von ihnen wie Pensionskassen oder Lebensversicherungen mit ihren gemischten Portfolios stehen vor dem Kollaps.
  • Gigantische Fehlinvestitionen in rückständige Sektoren wie die Erdöl- und Erdgas-Industrie.
  • Eine Aushöhlung des Sozialstaats auf allen Ebenen, begleitet von riesigen strukturellen Haushalts-Defiziten und explodierenden Staatsschulden.

Merz ist kein Berufspolitiker: Er hat reiche Erfahrungen in der Wirtschaft gesammelt, was durchaus für ihn spricht. Man sollte sich allerdings genauer ansehen, wo er beschäftigt war.

Von Anfang 2016 bis März 2020 war er Aufsichtsrat-Chef von BlackRock Deutschland. Als solcher war er für den weltweit größten und mächtigsten Vermögensverwalter mit Sitz in New York City zwar nicht im operativen Tagesgeschäft tätig, dafür aber umso aktiver als Botschafter und Lobbyist. BlackRock verwaltet ein Vermögen von über sieben Billionen Euro und hält Anteile an fast allen deutschen Dax-Unternehmen – bei mehreren sogar als größter Anteilseigner. Für den Wall-Street-Giganten stellte März´ Berufung ein klassisches Investment in einen hervorragend vernetzten, in Wirtschaftsangelegenheiten äußerst libertär denkenden Angehörigen der deutschen Elite dar. Ein ehemaliger Angestellter auf dem Kanzlersessel – davon träumt jedes Unternehmen.

Übrigens ist BlackRock als großer passiver Investor ein struktureller Faktor hinter der amerikanischen Zombie-Ökonomie: Passive, das heißt index-replizierende Fonds und ETFs verschaffen solchen Unternehmen, die bereits in hohem Maße durch Aktien kapitalisiert und durch die Ausgabe von Anleihen hoch verschuldet sind (zum Beispiel viele Fracking-Unternehmen sowie Tesla, das mit seinem Kerngeschäft bisher fast ausschließlich Verluste eingefahren hat) zusätzliche Mittel.

Für Millionen von (zukünftigen) Rentnern stellt eine von Merz´ Ideen eine besonders große Gefahr dar: Auf der Anlageseite will er die Altersvorsorge-Systeme in Aktienanlagen umpolen, mit anderen Worten: Die Höhe der Renten würden von der Entwicklung des Aktienmarkts abhängen. Großartig, könnte man denken, angesichts der derzeitigen Lage am Markt. Doch die präsentiert sich in hohem Maße auch deshalb so positiv, weil die Zentralbanken schon seit Jahren unglaubliche Mengen an Geld ins System pumpen und dadurch die Zinsen und Kapitalmarkt-Renditen von teils zweistelligen Niveaus auf null gedrückt haben, was den vertikalen Anstieg der Aktienpreise erst möglich gemacht hat. Das wiederum hat uns eine Blase von historischer Dimension beschert hat, die – wenn Merz´ Idee umgesetzt und die Blase platzen würde – die Altersarmut in Deutschland explodieren lassen würde. Eine Katastrophe gigantischen Ausmaßes, die unser Land dann heimsuchen würde.

Eins steht fest: Als Interessenvertreter leistet Merz hervorragende Arbeit. Leider vertritt er aber nur die Interessen ganz weniger. In seinem Amtseid schwört jeder Bundeskanzler, „Gerechtigkeit gegen jedermann“ zu üben. Friedrich Merz definiert „Gerechtigkeit“ auf seine ganz eigene Weise.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Unternehmen
Unternehmen Angst vor Richtlinien: Europas Startup-Offensive droht zu verpuffen
03.08.2025

Europa will seine Startups endlich global konkurrenzfähig machen – doch ausgerechnet beim wichtigsten Hebel droht Brüssel zu versagen....

DWN
Immobilien
Immobilien Fenstertausch: Was tun mit dem alten Material?
03.08.2025

Ein Fenstertausch steigert den Wohnkomfort und spart Energie. Doch nach dem Ausbau stellt sich die Frage: Was passiert mit den alten...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Führung neu gedacht – aber nicht abgeschafft
03.08.2025

Immer mehr Unternehmen schaffen Titel ab und schwören auf flache Hierarchien. Klingt modern – doch funktioniert das wirklich? Dieser...

DWN
Finanzen
Finanzen Bitcoin-Firma unter Verdacht: Spekulationsblase rund um Aktien?
03.08.2025

Ein schwedisches Bitcoin-Unternehmen verspricht Anlegern steigenden Bitcoin-Wert pro Aktie, doch dahinter steckt ein riskantes Modell: Fast...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Globale Handelsadern unter Beschuss: Wem gehören die Häfen der Welt?
02.08.2025

Im globalen Machtpoker um maritime Infrastruktur blockiert China die milliardenschwere Übernahme von CK Hutchinson-Terminals durch...

DWN
Panorama
Panorama Sommerferien 2025: Wer früher startet, erlebt mehr Sonne – wer später reist, profitiert anders
02.08.2025

Sommerferien sind heiß ersehnt – doch wann ist der beste Zeitpunkt für den Urlaub? Früh oder spät starten, Sonne oder Schnäppchen,...

DWN
Finanzen
Finanzen Lebensversicherung verkaufen: Wie Sie die Lebensversicherung zu Geld machen können
02.08.2025

Bei einem Verkauf der Lebensversicherung erhält man in aller Regel mehr Geld als bei einer Kündigung des Vertrags. Während der...

DWN
Technologie
Technologie LinkedIn ist das professionelle soziale Netzwerk: Doch etwas ist im Wandel
02.08.2025

LinkedIn galt lange als letzte seriöse Bastion im Netz – ein Ort für Karrieren, Netzwerkpflege und Fachlichkeit. Doch jetzt häufen...