Bei einer Razzia gegen Kinderpornografie haben am vergangenen Dienstag mehr als 1.000 Polizeibeamte in zehn Bundesländern zahlreiche Objekte durchsucht. Die Aktion richtete sich gegen 65 Tatverdächtige, die kinderpornografische Inhalte besessen und verbreitet haben sollen. Es gebe keine Hinweise, dass aktive Missbrauchtäter unter ihnen seien, es habe auch keine Haftbefehle gegeben, erklärte die Polizei in Köln. Auf die Beschuldigten waren die Ermittler durch Auswertung von Chats und Messenger-Diensten gekommen.
Die Verfahren ergaben sich demnach aus den seit 15 Monaten dauernden Ermittlungen rund um den Kindesmissbrauchskomplex Bergisch Gladbach. Mehr als tausend Beweismittel, darunter viele elektronische Datenträger, seien sichergestellt worden, berichtete Michael Esser, Leiter der Besonderen Aufbauorganisation (BAO) „Berg“ bei der Kölner Polizei.
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An einer Adresse stieß die Polizei auf ein 13-jähriges Kind mit „unklaren Wohn- und Familienbeziehungen“, das vom Jugendamt in Obhut genommen worden sei. In einem Fall habe ein Mann versucht, zu fliehen. Bei einem anderen, der keine Kinder habe, sei Sex- und Kinderspielzeug gefunden worden. An einem weitläufigen Objekt setzte die Polizei drei Datenspeicher-Spürhunde ein, um die in „äußerst kreativen Verstecken“ steckenden Datenträger zu finden. Auch Pistolen mit 148 Schuss Munition und scharfe Patronen wurden entdeckt. „Das zeigt mir, dass wir die richtigen Täter identifizieren konnten“, sagte Esser.
An der Razzia waren an vielen Orten auch Spezialeinsatzkommandos (SEK) der Polizei im Einsatz. Durchsucht wurde in Nordrhein-Westfalen, Bayern, Schleswig-Holstein, Sachsen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Hessen, Baden-Württemberg, Brandenburg und Berlin. Die genauen Örtlichkeiten wollte die Polizei am Nachmittag noch nicht nennen, da die Durchsuchungen teilweise noch andauerten. Allein in NRW waren fast 500 Beamte beteiligt.
Schwerpunkte waren nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur auch Bayern und Niedersachsen. Allein in Bayern wurden demnach 15 Objekte quer durch den Freistaat durchsucht, allein drei im Bereich Rosenheim. Es war bereits der zweite bundesweite Großeinsatz der Ermittlungsgruppe im Fall Bergisch Gladbach. Im vergangenen September wurden in zwölf Bundesländern 60 Anschriften von rund 50 Beschuldigten von rund 1000 Einsatzkräften durchsucht.
Die Besondere Aufbauorganisation „Berg“ der Kölner Polizei ermittelt seit Oktober 2019. Im Haus eines Mannes aus Bergisch Gladbach waren damals Unmengen kinderpornografischer Daten gefunden worden. Über ihn stießen die Ermittler auf Hunderte weitere Verdächtige. Die Polizei arbeitet mit der Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime (ZAC) der Kölner Staatsanwaltschaft zusammen.
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Der Leiter der ZAC würdigte die Unterstützung der Ermittler durch Betreiber und Anbieter von Sozialen Medien. Gerade im Bereich der Kinderpornografie sei die Zusammenarbeit „ausgesprochen gut, kooperativ und einvernehmlich“, sagte Markus Hartmann. Ein wesentlicher Teil der Erkenntnisse dieses Ermittlungsverfahrens sei auch darauf zurückzuführen, dass die privaten Anbieter mit eingebunden seien.
Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) dankte nach den neuen Durchsuchungen „den Hunderten von Polizistinnen und Polizisten für ihren hochprofessionellen und hochkomplexen Einsatz“. „Beharrlichkeit und Geduld zahlen sich in unserem Kampf gegen Kindesmissbrauch und Kinderpornografie aus“, sagte Reul der Deutschen Presse-Agentur. NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU) sagte: „Der Aktionstag zeigt, dass die Justiz auch im Internet uneingeschränkt handlungsfähig ist.“
Die Polizei hat im Missbrauchskomplex Bergisch Gladbach nach eigenen Angaben 330 Beschuldigte identifiziert. Sieben Personen sitzen in Untersuchungshaft, es gibt elf Anklagen und zehn Urteile. Im vergangenen Oktober wurde in Köln ein 43-Jähriger zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Der Mann aus Bergisch Gladbach gilt als Schlüsselfigur in dem Netzwerk.
Die Funde der Behörden könnten nur die Spitze des Eisbergs bilden. Denn es ist nicht ausgeschlossen, dass Zirkel der deutschen Wirtschafts- und Politeliten ebenfalls verwickelt sind. Wie sehr vor allem die Eliten in derartige Netzwerke verstrickt sein können, hatte bereits 2014 der große Missbrauchsskandal in Großbritannien gezeigt, in dem Prominente und Politiker involviert gewesen sind. Darüber hatte unter anderem die „Süddeutsche Zeitung“ berichtet. „Ein Pädophilenring: unter den Tätern auch Politiker, von der Polizei gedeckt. Es sind unglaubliche Anschuldigungen“, hatte das Erste Deutsche Fernsehen (ARD) damals berichtet.
Im Februar 2020 wurde enthüllt, dass britische Politiker den sexuellen Missbrauch von Kindern ignoriert und über Jahrzehnte hinweg aktiv Vorwürfe vertuscht haben. In dem offiziellen 173-seitigen Bericht wurde festgestellt, dass mehrere Abgeordnete in den 1970er und 1980er Jahren, darunter Peter Morrison und Cyril Smith, „bekanntermaßen oder angeblich in ihrem sexuellen Interesse an Kindern aktiv waren und in vielerlei Hinsicht vor Strafverfolgung geschützt waren“, berichtet der englischsprachige Dienst von Reuters.
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