Der chinesische Präsident Xi Jinping und sein damaliger myanmarischer Amtskollege Htin Kyaw hatten sich am 10. April 2017 darauf geeinigt, eine Ölpipeline zu aktivieren, die etwa 770 Kilometer lang sein soll. Sie soll von Kyaukpyu, einer Hafenstadt am Indischen Ozean, bis zur chinesischen Grenze reichen. China will dadurch seine Abhängigkeit von Öl-Lieferungen über den Seeweg reduzieren, auf die die USA aufgrund der Kontrolle der Seewege einen maßgeblichen Einfluss haben, berichtet das Asian Nikkei Review. Die Pipeline soll jedes Jahr bis zu 22 Millionen Tonnen Öl transportieren. Die Bauarbeiten für die etwa 1,5 Milliarden US-Dollar teure Myanmar-China-Pipeline begannen 2010 und wurden 2015 abgeschlossen.
Unter der Führung des myanmarischen Präsidenten Thein Sein, der bis zum Jahr 2018 im Amt gewesen ist, wagte Myanmar einen Balanceakt zwischen China und dem Westen. Im März 2016, als die Nationale Liga für Demokratie (NLD) die Parlamentswahlen gewann, gab es eine Machtverschiebung in Myanmar. Die NLD-Chefin Aung San Suu Kyi, die damals als Staatsberaterin und Außenministerin diente, betriebt zunächst eine Annäherung an China, was ihr sehr viel Kritik in US-Kreisen bescherte. Plötzlich erinnerten sich westliche Politiker, dass auch sie eine Rolle bei der Vertreibung der Rohingya-Muslime gespielt hat.
China ist Myanmars größter Handelspartner und ein wichtiger Investor. Zudem tummeln sich im Grenzgebiet zwischen China und Myanmar eine Reihe militanter Gruppen, die nur durch eine Kooperation zwischen beiden Staaten bekämpft werden können. Doch mit der Zeit verortete sich die Politikerin im westlichen US-Lager. Bei der Parlamentswahl im November 2020 erreichte Suu Kyis Partei offiziellen Angaben zufolge die absolute Mehrheit. Es war davon auszugehen, dass sie und ihre Partei die Beziehungen zwischen Myanmar und den USA plus Europa stärken würden, was nicht im Interesse Chinas sein konnte.
Der private US-Informationsdienst Stratfor führt in einer Analyse aus: „Myanmar befindet sich in einem strategisch wichtigen Korridor zwischen China und dem Indischen Ozean. Dieses Gebiet wird zunehmend wichtiger, da China versucht, seine Versorgungswege – insbesondere für Energie aus dem Nahen Osten – zu diversifizieren, um seine Abhängigkeit von der Straße von Malakka, die von den USA und ihren Verbündeten dominiert wird, zu reduzieren. Im Juni begann die staatliche China National Petroleum Company (CNPC) mit der Errichtung von Öl- und Gaspipelines vom Myanmar-Tiefwasserhafen Kyaukphyu bis zum chinesischen Südwest-Tor von Kunming”. Nach einem Bericht von Geopolitical Futures empfängt China 82 Prozent seiner Öl-Importe und 30 Prozent seiner Gas-Importe über die Straße von Malakka. Seit Oktober 2017 hält China einen 70-prozentigen Anteil am Hafen von Kyaukpyu, berichtet der englischsprachige Dienst von Reuters.
Strategisch setzt Peking verstärkt auf den Indischen Ozean, um seinen Zugang zu den dortigen Handelslinien zu verbessern, Indien strategisch auszubalancieren und die Einkreisung durch die USA und ihren Verbündeten in der Asien-Pazifik-Region zu durchbrechen.
Der Endpunkt der Myanmar-China-Pipeline, die eine wichtige Funktion im Rahmen der Neuen Seidenstraße Chinas hat, befindet sich in der Hafenstadt Kyaukpyu, die sich wiederum im mehrheitlich muslimischen Arakan befindet. Arakan ist mit fünf Flughäfen und vier Flüssen ein wichtiges logistisches Zentrum Myanmars. Die ethnischen Säuberungen an den Rohingya-Muslimen hängen nicht nur mit einer extremistischen Auslegung des Buddhismus durch einige elitäre Kreise von Myanmar zusammen, sondern auch mit dem Bau dieser Pipeline und der Umsetzung der Neuen Seidenstraße. Denn Peking und Naypyidaw befürchten, dass westliche Mächte die Menschen in Arakan aufstacheln könnten, um einen unabhängigen Staat auszurufen, was einen Schlag gegen China nach sich ziehen würde. Die Vereinten Nationen stufen die Rohingya-Muslime als die „am stärksten verfolgte Minderheit der Welt“ ein. Als Staatenlose verfügen sie über keinerlei Rechte.
Das Militär („Tatmadaw“) spielt in der Wirtschaft Myanmars eine dominante Rolle, was aus einem Papier der „Naval Postgraduate School“ hervorgeht. Die „New York Times“ berichtet: „Das myanmarische Militär kontrolliert ein ausgedehntes Geschäftsimperium, das es ihm ermöglicht, Rechenschaftspflicht zu vermeiden und ungestraft Operationen gegen ethnische Gruppen durchzuführen, was zu weit verbreiteten Menschenrechtsverletzungen beiträgt. Dies geht aus einem am Montag veröffentlichten Bericht der Vereinten Nationen hervor. Eine Informationsmission der Vereinten Nationen forderte ausländische Unternehmen und Regierungen auf, die Beziehungen zu mehr als 140 Unternehmen zu trennen, die im Besitz des Militärs sind oder von diesem kontrolliert werden. Das Militär führt eine Kampagne zur ethnischen Säuberung, Ermordung und Vergewaltigung von Rohingya-Muslimen durch.“
Im vergangenen Monat besuchte der Generalstabschef des Militärs von Myanmar, Min Aung Hlaing, den chinesischen Außenminister Wang Yi. Das chinesische Außenministerium teilte am 12. Januar 2021 mit, dass China das Militär von Myanmar weiterhin dabei unterstützen wird, die Beziehungen zwischen beiden Ländern zu vertiefen. Myanmar werde China im Hinblick auf „Chinas Kerninteressen“ unterstützen. „Wang Yi sagte, China und Myanmar haben sich grundsätzlich auf die Umsetzung des Aktionsplans zum Aufbau einer Gemeinschaft zwischen China und Myanmar mit einer gemeinsamen Zukunft geeinigt – in der Hoffnung, dass das myanmarische Militär neue Beiträge zum gemeinsamen Ziel der beiden Länder leisten kann“, teilt das chinesische Außenministerium mit.
Der Besuch machte deutlich, dass Myanmars einflussreiche Militärs auf dem globalen Schachbrett eindeutig Partei für China und gegen die USA ergreifen. Der chinesische Außenminister sagte, dass China und Myanmar Bruderstaaten seien. Er lobte den Ansatz des Militärs von Myanmar, eine „nationale Wiederbelebung“ in Myanmar durchführen zu wollen.
Die USA hatten Myanmars obersten Militärchef 2019 wegen seiner angeblichen Rolle bei „ethnischen Säuberungen“ und Menschenrechtsverletzungen sanktioniert. Die internationale Gemeinschaft dürfte die schlimme Lage der Rohingya-Muslime im Kern völlig egal sein. An die heuchlerische Mär von Menschenrechten und Demokratie dürften die Völker weltweit ohnehin nicht mehr glauben. Beim aktuellen Putsch und beim generellen Konflikt in Myanmar findet ein Wettbewerb zwischen den USA und China statt. Peking versucht, seine Energiezufuhr weitgehend autonome zu kontrollieren und zu gestalten, was allerdings eine reale Gefahr für die USA darstellt. Aus diesem Blickwinkel sollten die Ereignisse in Myanmar und die Konflikte im Nahen Osten und Afrika betrachtet werden.
Was in Myanmar nun passieren wird, dürfte interessant werden:
Zunächst werden die Vertreibungen der Rohingya-Muslime weiterlaufen. Um nicht zu schlecht auf die internationale Gemeinschaft zu wirken, dürften die Militärs eine Teilrückkehr von einigen Flüchtlings-Familien aus Bangladesch zulassen, um in weiteren Schritten umso mehr Rohingya-Muslime zu vertreiben. All jene Geschäftsleute und Politiker in Myanmar, die über enge wirtschaftliche und politische Beziehungen zu den USA und Europa aufweisen, dürften „kaltgestellt“ werden. Ein Teil dieser Leute dürfte ins Ausland fliehen, um sich dort eine neue Existenz aufzubauen, oder aber als medienwirksame „Dissidenten“ zu fungieren.
Wenn der Westen in den kommenden Monaten im Zusammenhang mit Myanmar nichts unternehmen sollte, würde das strategisch wichtige Land eindeutig ins chinesische Lager fallen. Der Putsch in Myanmar ist als Antwort auf die Eindämmungspolitik der USA gegen China zu werten.