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Sozialismus, Rassenhass, Korruption: Südafrika steht am Abgrund

Lesezeit: 5 min
28.02.2021 11:00
Fast 25 Jahre hat Sebastiaan Biehl in Südafrika gelebt. Im großen DWN-Interview erläutert der Politikwissenschaftler und Journalist, wie korrupte Eliten das Land in den Abgrund führen.
Sozialismus, Rassenhass, Korruption: Südafrika steht am Abgrund
Insassen des "Malmesbury-Gefängnis" in der Nähe von Kapstadt machen das Zeichen der seit 1994 herrschenden Partei "Afrikanischer Nationalkongress". (Foto: dpa)

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Vor dem Hintergrund einer grassierenden Korruption und zunehmenden Spannungen zwischen den Volksgruppen erscheint die Zukunft der „Republik Südafrika“ ungewiss. Sollte das Land implodieren, würde dies die gesamte Region destabilisieren - mit geopolitischen Konsequenzen weit über den gesamten Kontinent hinaus. Die Deutschen Wirtschaftsnachrichten haben mit dem Politologen Sebastiaan Biehl, der viele Jahre in Südafrika gelebt hat, gesprochen.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wie hat sich die Republik Südafrika in den letzten Jahren entwickelt?

Sebastiaan Biehl: Man kann die wirtschaftliche Entwicklung Südafrikas der letzten gut 25 Jahre in verschiedene Phasen unterteilen: Unter Präsident Nelson Mandela (1994-1999) herrschte die Euphorie des Neuanfangs. Nach dem Ende der internationalen Isolation bekam das Land Zugang zum Weltmarkt. Gleichzeitig wurde der Binnenmarkt stimuliert, da sich über die Jahre ein enormer Nachholbedarf an Konsumgütern aufgestaut hatte. Eine in Teilen planlose Wirtschaftspolitik führte allerdings schon damals zu einer negativen Handelsbilanz.

Unter Präsident Thabo Mbeki (1999-2007) und seinem fähigen Finanzminister Trevor Manuel gab es einige markwirtschaftliche Impulse (beispielsweise das GEAR-Programm „Wachstum, Beschäftigung und Umverteilung“). Eine wachsende schwarze Mittelschicht sowie niedrige Kreditzinsen führten zu einem Immobilienboom. Zudem sorgte der Aufstieg Chinas für eine größere Nachfrage nach Rohstoffen (der sogenannte Rohstoff-Superzyklus 2002-2005). Negativ wirkten sich hingegen die Affirmative Action (Arbeitsreservierung für Schwarze) aus sowie die „Black Economic Empowerment“ (Maßnahmen zur wirtschaftlichen Stärkung der schwarzen Bevölkerung, die jedoch häufig zur Monopolbildung gut vernetzter Politiker und Großaktionäre führte) aus. Diese bewirkten, dass sehr viele erfahrene Weiße aus der Verwaltung und zunehmend auch aus der Wirtschaft entfernt wurden. Viele von ihnen suchten ihr Heil im Ausland.

Präsident Jacob Zuma (2007-2018), der die unter Mbeki kaltgestellten Sozialisten um sich versammelte (der ANC regiert in einer permanenten Allianz mit der Südafrikanischen Kommunistischen Partei und dem sozialistischen Gewerkschaftsdachverband COSATU), hatte von Wirtschaft keine Ahnung. Als ausgesprochener Populist sprach er aber die Sprache der einfachen Leute und kam sehr warmherzig daher – während es ihm in erster Linie darum ging, sich selbst und seinen Clan zu bereichern. Die Korruption, die auch zuvor schon ein Problem dargestellt hatte, wurde unter Zuma epidemisch.

Bis zur Fußballweltmeisterschaft 2010 war Südafrika auf dem internationalen Radar. Es gab reichlich Tourismuswerbung rund um die WM und auch einiges an Infrastruktur-Entwicklung. Doch nach der WM endete all dies, das internationale Interesse ebbte ab. Innerhalb des ANC wuchs der Widerstand gegen Zuma, was allerdings eher mit den Auseinandersetzungen verschiedener Gruppierungen in dieser Partei als mit prinzipiellen ideologischen Fragen zu tun hatte. Hier erwies sich Zuma als ein meisterhafter Strippenzieher, und es gelang ihm, seine Machtposition - und damit seinen Lebensstil und den seiner riesigen Familie und Klientel – zu sichern.

Cyril Ramaphosa, der Zuma 2017 als ANC-Vorsitzender und 2018 als Präsident Südafrikas ablöste, wurde anfangs als Hoffnungsträger gefeiert, aber auch er sollte schon bald die in ihn gesteckten Erwartungen enttäuschen. Er bekräftigte das Ziel der entschädigungslosen Enteignung, die sich vor allem gegen weiße Farmer richtet, und bekennt sich zu rassistischen Gesetzen und Maßnahmen. So bekommen beispielweise nur schwarze Unternehmer Corona-Hilfen. Der angebliche wirtschaftliche Neuanfang war nichts anderes als alter Wein in neuen Schläuchen. Auch der Kampf gegen Korruption kommt nicht voran, weil im Prinzip die ganze Partei inzwischen mehr oder weniger verfilzt ist und Ramaphosa auf die Unterstützung der Parteikader angewiesen ist.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Was sind die tieferen Gründe für den Niedergang des Landes?

Sebastiaan Biehl: Eine sozialistische und rassistische Politik, die Marktwirtschaft und Weißen (egal ob Einheimische oder Europäer und Amerikaner) grundsätzlich misstraut, kombiniert mit horrender Gewalt, einer unsicheren Gesetzeslage sowie eine Korruption epidemischen Ausmaßes. Dazu eine regierende Partei, die sich in Dauer-Grabenkämpfen befindet und der die eigene Klientel wichtiger ist als das Land und seine Bewohner.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Droht, sollte sich dieser Trend fortsetzten, die Implosion des Landes?

Sebastiaan Biehl: Südafrikas Implosion wurde schon oft vorausgesagt. Wenn sich der aktuelle Trend allerdings verstetigen sollte – und zurzeit gibt es wenig Gründe, etwas anderes zu erwarten – kann Südafrika zu einem failed state, einem gescheiterten Staat werden, in dem es nur noch ein paar Inseln der Exzellenz geben wird, und diejenigen, die es sich leisten können, alles privatisieren (von Schulen und Sicherheit bis hin zu privaten Wohngebieten, von denen es schon jetzt immer mehr gibt), sofern sie nicht auswandern, während alle anderen von Sozialhilfe dahinvegetieren.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Würde ein solche Entwicklung auch die angrenzenden Länder destabilisieren?

Sebastiaan Biehl: Mosambik und Simbabwe sind bereits hoffnungslose Fälle. Namibia, Lesotho und Swasiland, die alle sehr stark von Südafrika abhängen, würde es hart treffen. Botswana ist fast die einzige Erfolgsgeschichte. Das Land hat sich schon etwas mehr von Südafrika abgenabelt und könnte sogar als sicherer Hafen profitieren. Bisher flüchten Menschen aus vielen Teilen Afrikas nach Südafrika, aber wohin sollen die Südafrikaner flüchten?

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Welche weltweiten geopolitischen Konsequenzen hätte ein politisch instabiles Südafrika?

Sebastiaan Biehl: Das südliche Afrika ist immer noch wesentlich sicherer und stabiler als das Horn von Afrika oder West- und Zentralafrika. Südafrika ist trotz aller Gefahren und Verfall das einzige entwickelte afrikanische Land südlich der Sahara mit immer noch funktionierenden, wenn auch stetig weniger effizienten Strukturen. Sehr lange wurden übertriebene Hoffnungen auf das damals neue, demokratische Südafrika gesetzt, als Motor für ganz Afrika und als südliche Mittelmacht. Allerdings hat die internationale Gemeinschaft, speziell der Westen, inzwischen resigniert und belässt es nunmehr bei Lippenbekenntnissen. Gerade in Bezug auf internationalen Terrorismus, Menschen- und Drogenhandel sowie den Handel mit bedrohten Tieren - hier ist China der Hauptinteressent - könnte eine Implosion Südafrikas ein Alptraum für die internationale Sicherheit werden.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wird China seinen Einfluss in Südafrika langfristig - und auf Kosten der westlichen Staaten - ausbauen können?

Sebastiaan Biehl: China wird immer mehr zum eigentlichen Herren Südafrikas, während sich der Westen immer mehr von dem gesamten afrikanischen Kontinent zurückzieht. Südafrika scheint ein Fass ohne Boden zu sein und wirtschaftlich wenig zu bieten. Möglicherweise ist man im Westen auch die ewigen Anschuldigungen des Neo-Kolonialismus und Rassismus leid, ohne dies offen auszusprechen. Dabei ist Südafrika noch immer das bei weitem wichtigste Land Afrikas, speziell südlich des Äquators, und weiterhin eine Regionalmacht, wenn auch mit abnehmendem Einfluss. Die strategische Bedeutung, die es früher einmal wegen der Kap-Route und der seltenen Rohstoffe hatte, ist nämlich nicht mehr ganz so groß.

Die ANC-Regierung ist sehr China-freundlich und sieht dessen massive Investitionen, die allerdings oft neo-koloniale Züge tragen, nicht als Bedrohung ihrer Souveränität an, da mit China sowohl sozialistische als auch anti-westliche Eintracht herrscht und China sich nicht um Menschenrechts- und Umweltstandards kümmert. Auch im übrigen Afrika ist China am Werk. Und anders als der Westen leistet China keine klassische Entwicklungshilfe, sondern setzt auf Investitionen, vor allem in die Infrastruktur der einzelnen Länder. Die allerdings müssen bezahlt werden. Entweder mit Rohstoffen, Ackerland oder über langfristige, verzinste Kredite. Dabei werden die meisten Arbeiten von chinesischen Firmen durchgeführt. China ist allerdings in Ländern wie Angola, Sambia oder Mosambik noch viel einflussreicher und aktiver als in Südafrika. Denn in diesen Ländern gibt es kaum Infrastruktur, keine funktionierende Wirtschaft und so gut wie keine Mittelschicht.

Die einstmals starke und vielseitige Industrie Südafrika wird schon lange vernachlässigt und kaputtgemacht, weil alles, wirklich alles, was früher in Südafrika hergestellt wurde, inzwischen aus China eingeführt wird.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wie könnte Ihrer Ansicht nach eine erfolgreiche südafrikanische Außen- und Wirtschaftspolitik aussehen?

Sebastiaan Biehl: Mit der heutigen Regierung und ihrer sozialistischen Haltung und Rassenideologie ist dies kaum vorstellbar. Außenpolitisch müsste Südafrika sich wie Brasilien positionieren: Als regionale Macht auf dem Kontinent, und gleichzeitig als ein globaler Spieler der zweiten Reihe, der pragmatisch Handelsbande knüpft und sich aus „Dritte Welt-Solidarität“ heraushält und nicht aus Afrika-Solidarität noch mehr Arme in ein Land lässt, das ohnehin schon eine hohe Arbeitslosigkeit hat. Als Teil der BRICS-Gruppe (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) hat Südafrika bereits gute Bande mit den mächtigsten Schwellenländern geknüpft, sollte aber auch seine traditionell guten Beziehungen mit den westlichen Ländern wieder stärken. Ideologisch begründete Bruderschaften mit Kuba und Venezuela sind hingegen absolut kontraproduktiv!

Wirtschaftlich betrachtet müssen unbedingt die Affirmative Action und „Black Economic Empowerment“, die der Korruption Vorschub leisten, beendet werden. Steuern und bürokratische Hürden müssen weg, der Staatsdienst kleiner und effektiver werden. Bei der massiven Arbeitslosigkeit müssen gerade arbeitsintensive Betriebe gefördert werden und nicht noch immer mehr Hürden auf dem Arbeitsmarkt errichtet werden. Die Macht der Gewerkschaften müsste beschränkt werden.

Denn hier ist gut gemeint das Gegenteil von gut: Arbeitsgesetze wie in Deutschland funktionieren in einem vollentwickelten Industrieland mit einer hochausgebildeten Arbeiterschaft, aber nicht in einem Schwellenland, wo es Massen unqualifizierter Arbeitssuchender gibt, denen derartige Gesetze den Zugang zum Arbeitsmarkt verwehren. Es muss auch Schluss sein mit der Grundgesetzänderung, die darauf abzielt, das Privateigentum dem Staat auszuliefern. Mehr Eigenverantwortung und weniger Zentralismus würden auch helfen. Viele Südafrikaner sind von Natur aus Unternehmer und wissen sich zu helfen, wenn man sie nur lässt. Die Idee einer sozialistisch genormten Gesellschaft, wo alle Unterschiede ausgemerzt werden und der Staat alles regelt, sollte begraben werden.

Info zur Person: Der Politologe Sebastiaan Biehl, Jahrgang 1974, lebte zwischen 1995 bis 2019 in Südafrika. Er wohnt in Berlin ist unter anderem als freier Journalist tätig.


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