Politik

Niederlande rücken nach rechts, schwierige Regierungsbildung

Lesezeit: 2 min
18.03.2021 15:35
Nach der Wahl in den Niederlanden ist das Parlament stark zersplittert. Es braucht wohl mindestens vier Parteien, um eine Regierung zustande zu bringen.
Niederlande rücken nach rechts, schwierige Regierungsbildung
Der niederländische Premier Mark Rutte am Mittwoch vor Journalisten. (Foto: dpa)

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Nach seinem Wahlsieg bei der Parlamentswahl in den Niederlanden liegt bei Premier Mark Rutte die Initiative für die Regierungsbildung. Er kann zum vierten Mal Regierungschef des Landes werden. Rutte drängte am Donnerstag auf schnelle Verhandlungen. Erste Adresse ist die linksliberale D66. Sie ging überraschend stark als Nummer zwei aus der Wahl hervor. Doch die Verhandlungen werden schwierig. Das Parlament ist zersplittert wie kaum zuvor, und es machte einen deutlichen Ruck nach rechts.

Ruttes rechtsliberale VVD wurde nach den Hochrechnungen mit 35 Mandaten mit Abstand stärkste Kraft in der Zweiten Kammer mit 150 Sitzen. Doch die Show stahl Sigrid Kaag, Spitzenkandidatin von D66, der neue Star der Politik in Den Haag. Sie kam mit 24 Sitzen auf Platz zwei und verwies damit den Rechtspopulisten Geert Wilders auf Platz 3.

Der Jubel bei den Siegern war groß: Kurz nach Bekanntwerden der ersten Prognosen sprang der 54-jährige Rutte vor Freude vom Sofa. Und die Linksliberale Kaag tanzte auf dem Tisch. Rutte und Kaag werden aller Voraussicht nach das Land führen.

Doch die Koalitionsverhandlungen können schwierig werden. Sie brauchen mindestens noch zwei weitere Parteien für eine mehrheitsfähige Koalition. Rechnerisch hätte zwar das bisherige Bündnis von VVD, D66 mit Christdemokraten und der kleinen Christenunion weiter eine Mehrheit. Doch die Christdemokraten verbuchten Verluste. Und Kaag will eigentlich nur mit einer anderen progressiven Partei in die Koalition zurückkehren.

Eine beispiellose Affäre um Kinderbeihilfen konnte am Ende Rutte nichts anhaben. Seine VVD legte zwei Sitze zu und wird mit 35 Mandaten erneut die stärkste Kraft. Nach den Analysen von Wahlforschern wollen die Wähler Rutte als Krisenmanager in der Corona-Pandemie. Also gibt es keinen Machtwechsel, aber auch wenig Sicherheiten.

Wer wird auf dem Binnenhof regieren? Wie werden die Niederlande aussehen nach Corona? Das ist unklar. Die neue Koalition müsse dazu die Weichen stellen, sagt Rutte. "Wir müssen die Niederlande erst durch die Krise lotsen und dann schnell einen neuen Start ermöglichen."

Der 54-Jährige bleibt also im "torentje" - das Türmchen ist der Amtssitz des Premiers auf dem mittelalterlichen Binnenhof in Den Haag. Ob er nach zehn Jahren nicht langsam amtsmüde werde, wurde er am Wahlabend gefragt. "O nee, ich habe Energie für weitere zehn Jahre", antwortete Rutte.

Doch nun klopft eine Nachfolgerin energisch an die Tür des Türmchens. Sigrid Kaag (59), Außenhandelsministerin mit großer internationaler Erfahrung, macht keinen Hehl daraus, dass sie die erste weibliche Regierungschefin des Landes werden will. Sie führte als einzige einen klar proeuropäischen Wahlkampf.

Kaag will eine "progressivere, ehrlichere und grünere Politik". Und damit besetzte sie erfolgreich die Themen der linken Parteien. Das erklärt die historischen Verluste des grün-linken Blocks. 25 Prozent der D66-Wähler hatten nach den Analysen strategisch gewählt. Für sie hatte D66 die größten Chancen, linke Politik in einer Koalition durchzusetzen.

Klimawandel, Wohnungsnot, soziale Gerechtigkeit - alles waren Themen des Wahlkampfes. Und doch: Die grüne Partei verlor dramatisch die Hälfte der Sitze und kam nur auf sieben. Die Sozialisten haben nun neun Mandate, ein Minus von fünf, und die Sozialdemokraten konnten ihr mageres Ergebnis von neun Sitzen nach der historischen Niederlage von 2017 gerade noch halten.

Stattdessen wurden die Rechtsextremen so stark wie nie zuvor. Zwar verlor der Rechtspopulist Wilders Stimmen und kommt auf 17 Sitze. Doch mit acht Mandaten wurde das FvD von Thierry Baudet viermal so groß wie bisher. Vor allem Corona-Leugner und Gegner des Lockdown gaben ihm ihre Stimme. Erstmals im Parlament ist JA21, eine Abspaltung von FvD mit vier Sitzen. Auch wenn fast alle etablierten Parteien eine Zusammenarbeit mit Wilders und Baudet ablehnen. Der Druck von rechts ist stark. Hinzu kommt noch die Zersplitterung des Parlaments: 17 Parteien - das gab es zuletzt 1918 und ist ein schlechter Vorbote für Stabilität.


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Die Edelmetallmärkte

Wegen der unkontrollierten Staats- und Unternehmensfinanzierung durch die Zentralbanken im Schatten der Corona-Krise sind derzeitig...

DWN
Politik
Politik DWN-Kommentar: Deutsche müssen über Abschiebungen diskutieren - mit aller Vorsicht
26.04.2024

Liebe Leserinnen und Leser, jede Woche gibt es ein Thema, das uns in der DWN-Redaktion besonders beschäftigt und das wir oft auch...

DWN
Politik
Politik Tourismus-Branche: „In Hotellerie und Gastgewerbe ist noch nichts wieder in Ordnung“
26.04.2024

Die deutsche Tourismus-Branche, also Hotellerie und Gastronomie, firmiert neuerdings unter dem neuen Sammelbegriff „Gastwelt“ - auch um...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Bürokratieabbau: Ministerin fordert mehr Widerstandsfähigkeit und Effizienz
26.04.2024

Rheinland-Pfalz ist ein mittelständisch geprägtes Land. Gerade kleinere Betriebe hadern mit zu viel bürokratischem Aufwand.

DWN
Politik
Politik Hybride Bedrohungen: Drohnen-Flüge und psychologische Kriegsführung
26.04.2024

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius hat eindringlich vor hybriden Bedrohungen in Deutschland gewarnt. Gegen den Einsatz von...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Gallup-Studie: Globale Führungsbewertung 2024 - wie Deutschland unter Großmächten abschneidet
26.04.2024

Die Gallup-Studie 2024 zeigt die Stabilität und Herausforderungen in der globalen Führungsbewertung für Länder wie USA, Deutschland,...

DWN
Politik
Politik Habeck kontert Kritiker: „Energiekrise gemeistert und Strompreise gesenkt“
26.04.2024

Nach Kritik an Atomausstieg: Habeck und Lemke bestätigen, die Energieversorgung sei gesichert und nukleare Sicherheit gewährleistet.

DWN
Technologie
Technologie Künstliche Intelligenz: Wie sich Deutschland im internationalen Rennen positioniert
26.04.2024

Die Deutsche Industrie macht Tempo bei der KI-Entwicklung. Das geht aus einer kürzlich veröffentlichten Analyse des Deutschen Patent- und...

DWN
Immobilien
Immobilien Commerzbank-Studie: Immobilienpreise könnten weiter fallen
26.04.2024

Deutsche Wohnimmobilien verlieren weiter an Wert. Die Commerzbank sieht ein Abwärtspotenzial von 5 bis 10 Prozent, abhängig von...