Der größte Erdöl-Konzern der Welt, Saudi Aramco, sieht in China den mit Abstand wichtigsten Markt der Zukunft. Wie der Vorstandsvorsitzende des Unternehmens, Amin Nasser, am 21. März im Rahmen einer im Internet übertragenen Rede zum China Development Forum sagte, habe die Versorgungssicherheit Chinas für Aramco künftig „höchste Priorität“ – dies gelte nicht nur in den nächsten fünf Jahren, sondern in den nächsten 50 Jahren und darüber hinaus, berichtet Daily Sabah.
Saudi-Arabien hatte im vergangenen Jahr Russland als wichtigsten Rohöllieferanten Chinas abgelöst und darüber hinaus in der jüngeren Vergangenheit Wirtschaftsverträge in zweistelliger Milliardenhöhe mit dem Reich der Mitte abgeschlossen.
Nasser zufolge ist Aramco nicht nur Chinas wichtigster Energielieferant, sondern auch gut positioniert, um das Land bei der Umstellung auf alternative Energieformen zu begleiten. „Wir erkennen an, dass nachhaltige Energielösungen für einen schnelleren und reibungslosen Wandel bei der Energieversorgung zentral sind – aber realistisch betrachtet wird dieser Wandel viel Zeit brauchen, weil es in vielen Bereichen kaum Alternativen zum Erdöl gibt“, wird Nasser von Daily Sabah zitiert.
Aramco arbeitet schon seit einiger Zeit bei Forschungs- und Entwicklungsfragen mit chinesischen Universitäten und Unternehmen zusammen – etwa bei der Herstellung emissionsarmer Antriebsstoffe oder der Umwandlung von Rohöl in chemische Nutzstoffe. „Tatsächlich haben wir noch weitaus größere Ambitionen, unsere Zusammenarbeit mit China auszuweiten und zu vertiefen“, sagte Nasser. Weitere Felder der Kooperation seien demzufolge eine rentable Speicherung von Kohlenstoffdioxid oder die umweltfreundliche Herstellung von Wasserstoff.
Paukenschlag für den Petro-Dollar?
Die Ankündigungen Nassers – und insbesondere die Aussage, dass die Versorgungssicherheit Chinas höchste Priorität habe – dürften in den USA von Entscheidern in Politik, Wirtschaft und Militär aufmerksam registriert worden sein.
Denn Saudi Aramco ist nicht einfach nur der größte Energiekonzern der Welt, dessen Bedeutung mit einer Systemrelevanz für die weltweite Energieversorgung einhergeht – Aramco ist darüber hinaus auch eine tragende Säule im sogenannten Petrodollar-System.
Dabei handelt es sich um eine angeblich in der ersten Hälfte der 1970er Jahre zwischen der US-Regierung einerseits und den Saudis andererseits getroffenen Vereinbarung, der zufolge das von Aramco in alle Welt exportierte Rohöl nur gegen US-Dollar verkauft werden solle. Im Gegenzug – so jedenfalls spekulieren Beobachter – garantierte die US-Regierung dem herrschenden Königshaus seine politische Unterstützung gegen innere und äußere Widersacher, welche sich konkret in der Stationierung amerikanischer Soldaten niederschlug.
Belege für die Petrodollar-Abmachung wurden nie vorgelegt. Fakt ist, dass Saudi-Arabien sein Rohöl bis heute fast ausschließlich in Dollar fakturiert. Die Folge: Es herrscht auf der ganzen Welt eine permanente signifikante Nachfrage nach US-Dollar, um damit saudisches Erdöl zu kaufen. Zudem fließt ein Großteil der Dollar-Einnahmen der erdölexportierenden Staaten in Form von Direktinvestitionen in andere Erdteile oder aber wieder in die USA zurück, wo es beispielsweise in Staatsanleihen investiert wird.
Zu bedenken ist weiterhin, dass neben Saudi-Arabien praktisch auch alle anderen Ölstaaten ihren Exportschlager in Dollar abrechnen. Die wichtigste Ausnahme bildet der Iran, welcher sein Erdöl hauptsächlich in der Landeswährung Rial verkauft nachdem Pläne scheiterten, das Öl in Euro abzuwickeln.
Mit der faktischen Bindung des Dollar an das saudische Erdöl war ein neues Standbein geschaffen worden, das den Status des Dollar als Weltleitwährung sicherte, nachdem das alte Standbein Gold (genauer: die garantierte Einlösbarkeit von Dollar in Gold) im Zuge der einseitig im August 1971 von Präsident Richard Nixon verkündeten Loslösung vom Goldstandard des Bretton Woods-Systems aufgegeben wurde.
Wenn nun Aramco verkündet, dass China der mit Abstand wichtigste Abnehmer sei und dessen „Versorgungssicherheit höchste Priorität“ in den anstehenden Jahrzehnten genieße, impliziert diese Aussage eine enorme Verhandlungsmacht der Chinesen. Diese Verhandlungsmacht könnte Peking eines Tages einsetzen, um mit Nachdruck eine Umstellung der Abrechnungsmodalitäten weg vom Dollar hin zum Yuan (Renminbi) oder hin zu anderen Währungen wie dem Euro zu fordern.
Die Folge wäre nicht nur eine Schwächung des Petrodollar-Systems, weil ein beträchtlicher Teil der Ölgeschäfte Saud-Arabiens dann eben nicht mehr in Dollar abgewickelt würde, sondern auch eine Aufwertung des Yuan im internationalen Zahlungsverkehr, weil dessen global zirkulierende Volumina steigen und die Saudis nun große Yuan-Bestände in geeigneten Wertpapieren und Finanzmärkten anlegen müssten.
Kurzum, die weltweite Nachfrage nach chinesischer Währung würde steigen und es käme in diesem Zusammenhang unweigerlich zu einem Ausbau der Finanz-Infrastruktur für Yuan-Anlagen auf der Welt. Diese Yuan-Infrastruktur muss als Alternative zum Dollar-System verstanden werden.
Eine solche Abkehr vom Dollar im saudisch-chinesischen Handel ist denkbar, weil die Chinesen erkannt haben, dass die Nutzung der amerikanischen Weltleitwährung potenzielle Risiken birgt. Die US-Justiz hatte in der Vergangenheit mehrfach auf politischen Druck aus Washington hin bei in Dollar verrechneten Zahlungsabwicklungen angesetzt, um extraterritoriale Zwangsmaßnahmen und Sanktionen gegen Unternehmen und Einzelpersonen auf der ganzen Welt zu verhängen. Schon heute versucht China deshalb aktiv, die Nutzung des Dollars im Handel mit Russland und weiteren Ländern zurückzudrängen.
Auch die russische Regierung hatte in den vergangenen Jahren mehrfach angekündigt, sich unabhängiger vom Dollar aufstellen zu wollen – Ankündigungen, denen konkrete Maßnahmen folgten: So hat die Zentralbank ihre Dollar-Wertpapiere in den vergangenen Jahren beträchtlich reduziert und auch der russische Staatsfonds wurde vom Finanzministerium jüngst angewiesen, einen Prozess der „Ent-Dollarisierung“ einzuleiten.
Eine mögliche schrittweise Abkehr Chinas von Dollar-Geschäften mit Handelspartnern wie Saudi-Arabien wird darüber hinaus auch durch den Umstand erleichtert, dass die US-Regierungen seit Trump eine aktive Eindämmungspolitik gegen das Land betreiben, deren Instrumentarium insbesondere auch Sanktionen auf den Finanzmärkten (etwa Sanktionen gegen chinesische Technologie-Unternehmen) und im bilateralen Handel (Importzölle) umfasst.
Die geopolitisch motivierte Auseinandersetzung beider Länder hat zur Entstehung paralleler und miteinander konkurrierenden Strukturen (beispielsweise bei Zahlungsabwicklern, internationalen Finanz-Organisationen, Freihandelsabkommen oder Raumfahrt-Programmen) geführt. Darüber hinaus nährt sie auch strategische Autonomie-Bestrebungen auf beiden Seiten, wie sie zuletzt beispielsweise im neuen chinesischen 5-Jahres-Plan hervorgehoben wurden.
Sollte künftig saudisches Öl ganz oder teilweise in Yuan nach China verkauft werden, würde dies den Status des Dollar als Weltleitwährung zwar nicht erschüttern, weil Saudi-Arabien und andere Rohstoff-Staaten auch weiterhin einen (Groß-)Teil ihrer Geschäfte in Dollar abwickeln würden. Es würde aber den Yuan als Alternative aufwerten, weil das im Umlauf befindliche Volumen der chinesischen Landeswährung anschwellen und Anlagemöglichkeiten suchen würde. Die von Peking seit einigen Jahren vorangetriebene schrittweise Öffnung der heimischen Finanzmärkte für ausländische Anleger könnte eine vorbereitende Maßnahme innerhalb dieses Szenarios darstellen.
Peking und Riad – Annäherung im Schatten des Iran
Nicht nur in wirtschaftlicher, sondern auch in geopolitischer Hinsicht deuten die derzeit verfügbaren Informationen auf eine schrittweise Annäherung zwischen Peking und Riad hin. Besonders deutlich wurde dies beim Besuch des chinesischen Außenministers Wang Yi in Saudi-Arabien in der vergangenen Woche.
So verurteilte der einflussreiche Kronprinz Mohamed bin Salman die von den USA, Kanada, Großbritannien und der EU gegen China wegen angeblicher Menschenrechtsverletzungen in der westchinesischen Provinz Xinjiang erlassenen Sanktionen mit scharfen Worten: „Saudi-Arabien unterstützt Chinas legitime Position bei den Fragen rund um Xinjiang und Hongkong nachhaltig, lehnt jegliche unter Vorwänden getätigte Einmischung in die inneren Angelegenheiten Chinas ab und weist die Versuche verschiedener Seiten zurück, Unfriede zwischen China und der islamischen Welt zu säen.“
Seine Aussagen hatte bin Salman in den vergangenen beiden Jahren durch Taten untermauert, beispielsweise, indem das saudische Königreich bei den Vereinten Nationen die chinesische Position hinsichtlich Xinjiang und Hongkong unterstütze, schreibt die South China Morning Post. Bin Salman hatte sich auch mehrfach öffentlich für das chinesische Infrastrukturprojekt der „Neuen Seidenstraße“ ausgesprochen. Wang wiederum bezeichnete Saudi-Arabien als einen „wichtigen strategischen Partner“ und eine Annäherung beider Länder als eine „Priorität in der chinesischen Nahost-Politik.“
Die Äußerungen Wangs müssen im Kontext der seit einiger Zeit zunehmenden diplomatischen Verstimmungen zwischen der Biden-Administration und dem Kronprinzen verstanden werden. Im Zusammenhang mit dem Mord an dem Journalisten Jamal Kaschoggi im Oktober 2018 in der Türkei hatte das Büro der US-Geheimdienstkoordinatorin Avril Haines Ende Februar einen Bericht veröffentlicht, der bin Salman schwer belastete und auf den die saudische Führung mit scharfem Widerspruch reagierte.
Trotz dieser leichten Erschütterungen bleiben die USA und die Wüstenmonarchie solide Verbündete und weiterhin sind US-Soldaten in Saudi-Arabien stationiert. Erschwert werden könnte eine Annäherung an China zudem durch das enge Verhältnis, das Peking mit dem großen Gegenspieler Saudi-Arabiens in der Region – dem Iran – pflegt. Beide Länder werden ihre Beziehungen in den kommenden Jahren noch signifikant vertiefen. Die Grundlage dafür ist ein umfangreiches Kooperationsabkommen, welches Anfang der Woche vorgestellt wurde und das neben wirtschaftlichen Aspekten auch eine militärische Dimension beinhalten soll.