Die US-Staatsschulden betragen derzeit rund 27 Billionen Dollar, Tendenz stark steigend. Das rekordträchtige Schuldenniveau von annähernd 140 Prozent der Wirtschaftsleistung ist schon extrem ungesund, bevor Biden überhaupt mit der Umsetzung seiner ambitionierten wirtschaftspolitischen Ziele beginnen kann. Und die Überschuldung betrifft nicht nur den Staat. Auch Unternehmen und Privathaushalte sind bedenklich hoch verschuldet. Die US-Wirtschaft hat tiefe strukturelle Probleme, die der neue Präsident Joe Biden nicht von heue auf morgen beseitigen kann.
Es bräuchte schon einen gewaltigen wirtschaftlichen Aufschwung, um die gegenwärtigen Staatsverbindlichkeiten tragfähiger zu gestalten. Außerdem ist es nicht ausgeschlossen, dass die US-Wirtschaft auch unter neuer politischer Führung zunächst stagnieren wird. Die Coronakrise ist nach wie vor nicht beendet und bei allen hohen Erwartungen, die Bidens wirtschaftliche Pläne hervorgerufen haben, darf man nicht vergessen, dass diese (auch abseits der zu erwartenden Neuverschuldung) mit höheren Steuersätzen, einer verstärkten Regulierung und höheren Energiekosten einhergehen, welche die Wirtschaftsaktivität behindern werden.
Die wirtschaftlichen Voraussetzungen für eine massiv expansive Fiskalpolitik sind zurzeit also denkbar schlecht. Für die politische Umsetzung sind aber nach den Nachwahlen in Georgia, die den Demokraten eine hauchdünne Mehrheit im Senat sicherte, alle Ampeln auf grün. Mit einer Mehrheit in beiden Volkskammern wird Biden seine fiskalischen Pläne umsetzen können – wenn er denn will.
Konjunktur-Impulse mit Fragezeichen
Und jetzt schon geht es mit vollem Tempo los. Das 900 Milliarden Dollar schwere Konjunkturpaket vom Dezember letzten Jahres wurde noch in einem Kompromiss beider Parteien verabschiedet. Dem neuen Präsident war das bei weitem nicht genug. Biden erhöhte das Programm um satte 1,9 Billionen (1.900 Milliarden) Dollar. Damit bewegte man sich schon zu Jahresbeginn bei einem Konjunkturstimulus in Höhe von 15 Prozent des BIP, ähnlich hoch wie das gesamte Haushaltsdefizit 2020.
Im Detail ist das von Biden aufgestockte Konkunkturpaket nicht unumstritten: Wie schon unter Trump setzt man kurzfristig stark auf einmalige Hilfszahlungen an private Haushalte, die – unabhängig vom Einkommen – in identischer Höhe von 1.400 Dollar ausgezahlt werden. Nur besonders Reiche erhalten reduzierte oder gar keine „Stimulus-Checks“ (Einzelhaushalte ab einem Brutto-Jahreseinkommen von mindestens 100.000 Dollar im Jahr 2019 bekommen nichts). Unter Trump gab es schon einen Stimulus-Check von 1.200 Dollar im Frühjahr 2020. Nach den 600 Dollar im usprünglichen Dezember-Paket erhalten US-Bürger nun also zum dritten Mal direkte Geldgeschenke vom Staat. Alleine diese dritte Auflage des Quasi-Helikoptergelds ist der größte Posten von Bidens erweitertem Konjunkturprogramm und wenn es nach einigen demokratischen Senatoren geht, dann sollen die Stimulus-Checks schon bald eine reguläre Angelegenheit werden.
Neben den Stimulus-Checks enthält das Fiskalpaket unter anderem Finanzierungsmaßnahmen für Coronavirus-Tests und die Verteilung von Impfstoffen, zusätzliche Hilfen für Arbeitslose sowie Unterstützungszahlungen für von der Coronakrise besonders hart getroffene Firmen . Teilweise werden dabei wiedersprüchliche Anreize für Arbeitgeber gesetzt. Die Aufstockung der Arbeitslosenhilfe macht es für Unternehmen attraktiver, ihre Mitarbeiter freizustellen, während gleichzeitig Unterstützungszahlungen für Unternehmen unter anderem davon abhängig sind, dass die Angestellten eben nicht entlassen werden.
Ein indirektes Konjunkturprogramm für China
Biden sagt, das Programm wäre gut für die USA, aber auch gut für die Welt. Letzteres stimmt tatsächlich: Die USA sind ein chronisches Defizitland, also enorm abhängig von Importen. Das Leistungsbilanzdefizit für 2020 betrug 647,2 Milliarden Dollar, was einen Anstieg von knapp 35 Prozent gegenüber dem Vorjahr darstellte.
Der durch die Konjunkturchecks und andere Zahlungen induzierte zusätzliche Konsum kann nicht allein aus den USA selbst befriedigt werden. Es ensteht also eine Mehr-Nachfrage für Weltmarkt, die vor allem aus China bedient werden wird. Chinas Wirtschaft erhält damit einen weiteren Impuls, nachdem jüngst ohnehin starke Zahlen vermeldet wurden. Während der Rest der Welt größtenteils noch in der Corona-Rezession steckt, läuft Chinas Wirtschaft schon längst wieder auf Hochtouren. Im Februar stiegen die chinesischen Exporte um 60,6 Prozent zum Vorjahresmonat.
Anstatt der eigenen Wirtschaft auf die Beine zu helfen, ist Bidens Notfallpaket faktisch ein indirektes Konjunkturprogramm für die Welt, vorrangig für den größten wirtschaftlichen und politischen Konkurrenten China. Die USA geraten damit noch weiter ins Hintertreffen gegen China, das deutlich geringere Werte bei der Staatsverschuldung (65 Prozent versus 140 Prozent des BIP) und den laufenden Haushalts-Defiziten (4 Prozent versus 20 Prozent vom BIP) aufweist und außerdem viel besser durch die Coronakrise kommt. Auch die langfristigen Aussichten sind beim Rivalen aus Fernost besser, weil die Industrie und die gesamte Wirtschaft in China weitaus konkurrenz- und zukunftsfähiger aufgestellt ist. Die chinesische Regierung fokussiert sich eben auf Strukturpolitik und nicht auf Geldgeschenke.
Noch ist es aber nicht zu spät. Bidens erweitertes Konjunkturprogramm soll nämlich nur ein „Notfallpaket“ sein. Weitere Aufstockungen oder neue Programme werden folgen und diese sollen dann auch investiver Natur sein. Mittelfristig steht im Rahmen von Bidens großen Wirtschaftsplänen ein gigantisches Fiskalpaket an, das neben einer Bekämpfung des Klimawandels auch der Modernisierung der Infrastruktur und einer Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit in Zukunftstechnologien dienen soll. Im Wahlkampf kolpotierte Biden für seinen „Green Deal“ Staatsausgaben von rund 2 Billionen Dollar innerhalb von vier Jahren. Als nächstes ist aber erst mal das Infrastrukturprogramm dran, welches schlappe drei Billionen Dollar verschlingen soll. Nur: Wer soll das ganze bezahlen?
Die einzige Lösung: Noch mehr Schulden
Es scheint so, als ob sich die Biden-Regierung vorwiegend um die Ausgaben und höchstens sekundär um die Einnahmen kümmert. Eine höhere Besteuerung von Besserverdienern wird bei Weitem nicht ausreichen, um aktuelle und künftige Konjunkturpakete zu finanzieren. Es deutet alles darauf hin, dass die Biden-Administration in die Fußstapfen ihrer Vorgänger-Regierung treten und noch tiefer im Schuldensumpf versinken wird.
Analysten der Helaba prognostizieren, dass das Haushaltsdefizit in Relation zum BIP in den nächsten Jahren im Durchschnitt 10 Prozent und bis 2030 immer über 5 Prozent betragen wird. In diesem Szenario steckt bereits die Erwartung an ein verstärktes Wirtschafswachstum in den nächsten zwei Jahren.
In den USA und vielen anderen Ländern wird oft vergessen, dass eine keynesianische Ausgabenpolitik – das sogenannte „Deficit Spending“ – eigentlich nur einen temporären Wachstumsschub setzen soll. In guten Zeiten sollen die Staatsschulden dann wieder reduziert werden. In der Praxis wird das „Deficit Spending“ meist nicht kurzfristig, sondern überaus langfristig betrieben – ein gefährliches Spiel mit ungewissem Ausgang.
Wie lange kann das in den USA wohl noch gut gehen? Eine Staatsverschuldung von 200 Prozent der Wirtschaftsleistung erscheint mittelfristig keineswegs unrealistisch. In der Praxis spielt es dabei keine Rolle, ob die US-Regierung an die „Modern Monetary Theory“ (MMT) – und damit an die Irrelevanz einer Gegenfinanzierung der Staatsausgaben – glaubt oder nicht. Die sich immer weiter auftürmenden Defizite müssen absorbiert werden, denn irgendwer muss die ganzen neu emittierten Staatsanleihen ja kaufen. Ein besonders eifriger Käufer von Staatsanleihen sind die Zentralbanken, in den USA also die Federal Reserve (Fed). In Zukunft könnten wir noch massivere Interventionen der Fed und folglich eine sich weiter verschärfende Verschmelzung von Geld- und Fiskalpolitik beobachten. Alternativ könnte man versuchen, die Staatsschulden aktiv „wegzuinflationieren“.
Die Finanzmärkte scheinen den Braten jedenfalls zu riechen. Der US-Dollar schwächelte zuletzt und parrallel stiegen die Anleihezinsen merklich an, was auch höhere Inflationserwartungen widerspiegelt. Falls die höheren Zinsen zu einem dauerhaften Phänomen avancieren, dann wird die Refinanzierung für die US-Regierung teurer und die Löcher im Staatshaushalt noch größer. Die Fed weiß das auch und wird mit allen Mitteln gegensteuern.
In den modernen monetären Zeiten von heute mag man es sich kaum vorstellen können, aber eine Zahlungsunfähigkeit der US-Regierung oder eine Hyperinflationierung des Dollar ist nicht unmöglich. Und anscheinend geht die hochprekäre Schuldenparty bereits dieser Tage in die nächste Runde. Im Februar wies das Federal Budget ein Defizit von 311 Milliarden Dollar und damit ungefäht doppelt so viel wie im Vormonat aus. Bidens Schuldenwirtschaft könnte zu einem ökonomischen Debakel führen.