Der Euro hängt am seidenen Faden. Eine massive Geldentwertung wird derzeit nur dadurch verhindert, dass die Bürger in erheblichem Maße auf Konsum verzichten, sei es weil sie infolge der anhaltenden Corona-Krise besorgt sind im Hinblick auf die Zukunft und deswegen ihr Geld lieber beisammenhalten wollen oder weil sie durch Lockdowns und Reisebeschränkungen schlicht an einer Reihe von Ausgaben gehindert werden, die sie unter normalen Umständen getätigt hätten.
Sobald dieser Konsumverzicht nachlässt, wird unausweichlich die wieder höhere Nachfrage nach Konsumgütern steigende Verbraucherpreise nach sich ziehen. Die Inflationsrate wird also deutlich anziehen, doch die Europäische Zentralbank kann nicht zulassen, dass auch die Zinsen, die heute historisch niedrig sind, im Einklang mit der Inflationsrate nach oben gehen. Denn die Unternehmen und Staaten der Eurozone können keine höheren Zinsen zahlen, könnten sich also nicht mehr refinanzieren und würden umgehend pleite gehen.
Bilanz der EZB besteht zu großen Teilen aus Ramsch
Bis zum Ende dieses Jahres wird die Bilanzsumme der EZB laut aktuellen Planungen so weit angestiegen sein, dass sie über der Marke von 80 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) liegen wird. Zum Vergleich: Die Bilanzsumme der Federal Reserve liegt bei knapp 40 Prozent der amerikanischen Wirtschaftskraft. Doch es kommt noch schlimmer: Denn die Bilanz der US-Notenbank besteht fast ausschließlich aus Krediten an die US-Regierung und staatlich geförderten Hypothekenkrediten.
Die EZB-Bilanz hingegen besteht größtenteils aus Ramsch, darunter etwa riesige Anleihebestände von Italien und anderen Pleitekandidaten. Und es kommt noch schlimmer: Ein Drittel der Assets in der Bilanz der EZB sind Kredite an einen praktisch bankrotten Bankensektor. Zudem haben die Zentralbanken von Italien und Spanien im Rahmen des sogenannten TARGET2-Systems Schulden in Höhe von über 1 Billion Euro aufgenommen. Hauptgläubiger ist die Deutsche Bundesbank.
Was würde passieren, wenn die Zinsen steigen?
Der Analyst Brendan Brown hat die Folgen einer Normalisierung der Geldpolitik kürzlich wie folgt beschrieben: "Gehen wir das Gedankenexperiment durch, dass die EZB einen Kurs der geldpolitischen Normalisierung einschlägt, in dessen Folge die Marktzinsen auf breiter Front um 2 Prozentpunkte steigen und sie ihre Bilanz, sagen wir, um 25 Prozent verkleinert. Dies wäre ein erster Schritt, um die Geldbasis als Anker des Systems wiederherzustellen." Doch bereits dieser erste Schritt hätte eine massive Pleitewelle im Bankensektor zur Folge.
"Die schwachen Banken könnten die zusätzlichen Zinskosten an die EZB auf ihre enormen Schulden einfach nicht zahlen, da sie keinen Spielraum haben, die Zinsen für ihre Kredite an schwache Staaten und Unternehmen zu erhöhen", schreibt Brown. Auf die eine oder andere Weise müssten die Banken staatliche Subventionen erhalten, um die Zinsen zahlen zu können. "Aber wie können sich die äußerst schwachen Staaten das leisten außer durch Gelddrucken der EZB?"
Niedrigzins und Target2 sind politisch so gewollt
Der Analyst erwartet auch von einer schwarz-grünen Bundesregierung, wie sie nach den derzeitigen Umfragen aus den Wahlen im Herbst hervorgehen dürfte, dass sie am Status quo festhalten wollen wird. Die Politik in der Eurozone werde der EZB zu verstehen zu geben, dass sie die Zinsen, die derzeit unter Null liegen, weiterhin niedrig halten soll. Denn auf diese Weise wird den politisch Verantwortlichen das oben beschriebene Szenario erspart oder zumindest wird es in die Zukunft verschoben.
Doch warum eigentlich erhalten die Südstaaten über das TARGET2-System de facto zinslose Kredite in unbegrenztem Umfang von den Nordstaaten? Brown schreibt: "Man stelle sich nur einmal den Systemstress vor, wenn die Bundesbank von der Banca d'Italia verlangen würde, dass sie auf ihren Sollsaldo innerhalb von TARGET2 Zinsen zahlt, oder wenn die EZB zur Wiederherstellung der Geldbasis als Anker 20 Prozent ihrer Bestände an italienischen Staatsanleihen im Rahmen einer allgemeinen Kürzung liquidieren müsste."
Steigende Inflation bedeutet das Ende des Euro
Vor diesem Hintergrund drohender Banken- und Staatspleiten sowie eines drohenden Auseinanderbrechens von Eurozone und Europäischer Union wählt die Politik lieber eine steigende Inflation als das vermeintlich geringere Übel. Doch Brown warnt, dass die Inflation in der aktuellen Problemlage durchaus extreme Ausmaße annehmen kann. "Wenn die USA im Kontext einer sich beschleunigenden Inflation ihre radikale Geldpolitik zurückfahren, dann könnte Europas Währungssturz tatsächlich atemberaubend sein."
Wenn die Inflation an Fahrt aufnimmt, so wird in Deutschland nach Ansicht von Brown auch der Widerstand dagegen an Kraft gewinnen. Doch der Widerstand der Deutschen könnte das Auseinanderbrechen der Eurozone und den Fall des Euro dann nicht mehr bremsen. "In jedem Auflösungsszenario für die Europäische Währungsunion, einschließlich der Eröffnung eines Weges zu einem neuen harten Euro, muss zuerst die EZB abgewickelt werden."