Deutschland

Gesetzes-Verschärfung steht bevor: Regierung will deutschlandweite Ausgangsbeschränkungen - Bundestag dürfte zustimmen

Die Bundesregierung will mittel einer Gesetzesverschärfung die Einspruchmöglichkeiten der Länder brechen.
10.04.2021 17:00
Aktualisiert: 10.04.2021 17:00
Lesezeit: 3 min
Gesetzes-Verschärfung steht bevor: Regierung will deutschlandweite Ausgangsbeschränkungen - Bundestag dürfte zustimmen
Ziehen härtere Saiten auf: Kanzlerin Angela Merkel und Gesundheitsminister Jens Spahn. (Foto: dpa) Foto: Michael Kappeler

Nächtliche Ausgangsbeschränkungen bei einer Corona-Inzidenz über 100, aber Schulschließungen erst ab einer Inzidenz von 200: Die Bundesregierung hat einen Vorschlag für bundeseinheitliche Maßnahmen gegen die dritte Corona-Welle vorgelegt. Der Entwurf für eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes soll nun mit den Fraktionen im Bundestag und mit den Ländern abgestimmt werden. Das Gesundheitsministerium bat die Fraktionen um Anregungen bis Sonntag, 12 Uhr.

In der Formulierungshilfe, die heute an Fraktionen und Länder geschickt worden ist, schlägt der Bund mehrere Maßnahmen für Landkreise vor, in denen binnen einer Woche eine Inzidenz von 100 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner oder mehr registriert wird - das sind aktuell mehr als die Hälfte aller Landkreise in Deutschland. Gestattet wären etwa nur noch private Treffen eines Haushaltes mit einer weiteren Person und von insgesamt maximal fünf Personen; Kinder zählen nicht mit.

Vorgeschlagen sind zudem Ausgangsbeschränkungen von 21 Uhr abends bis 5 Uhr morgens. Dabei soll es nur wenige Ausnahmen geben, etwa für medizinische Notfälle, den Weg zur Arbeit oder die Versorgung von Tieren, nicht aber für abendliche Spaziergänge, auch nicht Spaziergänge allein.

Für Schülerinnen und Schüler schlägt der Bund eine Testpflicht vor: Wer am Präsenzunterricht teilnimmt, sei zweimal in der Woche zu testen. Erst ab einer Inzidenz von 200 an drei aufeinanderfolgenden Tagen in einem Landkreis sollen die Schulen schließen. Es darf jedoch auch dann Notbetreuung in Schulen und Kitas geben und Abschlussklassen können von der Schließung ausgenommen werden.

Bund und Länder hatten angesichts steigender Neuinfektionszahlen und einer zunehmenden Belastung auf den Intensivstationen ein neues Verfahren vereinbart. Statt der gewohnten Konferenz von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit den Ministerpräsidenten sollen Maßnahmen für Regionen mit hohen Infektionszahlen gesetzlich festgehalten werden. Bevor Details bekannt waren, stieß der Vorstoß auf breite Zustimmung. Es zeichnete sich aber zugleich ab, dass man um die einzelnen Maßnahmen noch ringen würde.

FDP-Chef Christian Lindner reagierte kritisch auf den Entwurf des Bundes: «Die vorgesehene scharfe Ausgangssperre schließlich ist unverhältnismäßig. Beispielsweise geht vom abendlichen Spaziergang eines geimpften Paares keinerlei Infektionsgefahr aus», betonte er. «Diese Bestimmung ist verfassungsrechtlich höchst angreifbar.» Auch die alleinige Orientierung an dem Inzidenzwert von 100 Infektionen pro 100.000 Einwohnern binnen einer Woche sei falsch. Dieser bilde das Pandemiegeschehen vor Ort nur unzureichend ab.

Nach den Vorschlägen des Bundes soll auch die Öffnung von Läden bei Überschreiten der Grenzwerte wieder untersagt werden - mit Ausnahme von Supermärkten, Getränkemärkten, Drogerien, Apotheken, aber auch Buchhandel, Blumenläden und Gartenmärkten. Auch Freizeiteinrichtungen, Theater, Kinos, Museen und Zoos blieben demnach geschlossen. Verboten wäre zudem wieder Sport in der Gruppe - mit Ausnahme des Profi- und Leistungssports. Gastronomie und Tourismus blieben zu.

Der Bund strebt an, dass das Gesetz so schnell wie möglich durch Bundestag und Bundesrat gebracht wird, sobald die Maßnahmen mit den Ländern und Fraktionen abgestimmt sind. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) rechnet allerdings damit, dass der Prozess bis zu zwei Wochen dauern könnte. «Ich gehe schon davon aus, dass innerhalb der nächsten 10, 14 Tage wir das gemeinsam - Bundestag und Bundesrat - auch bewältigen werden und dass wir damit dann auch einen Rahmen haben, mit dem wir alle gemeinsam gut arbeiten können», sagte der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz im ZDF-«Heute Journal». Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) hatte sich zuvor noch zuversichtlich geäußert, die Änderungen auch innerhalb einer Woche umsetzen zu können.

Bereits Anfang März hatten Bund und Länder Regeln für den Fall vereinbart, dass die Sieben-Tage-Inzidenz in einer Region über 100 steigt. Alle bis dahin getroffenen Lockerungen sollten wieder vollständig zurückgenommen werden. Allerdings zeigte sich danach vielfach, dass die sogenannte Notbremse nicht ausreichend angewendet wurde - wie etwa Merkel kritisiert hatte.

Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) plädierte nun für ein zügiges Verfahren. «Brandenburg hat sich stets für bundeseinheitliche Regeln zur Eindämmung der Pandemie stark gemacht», sagte er in Potsdam. «Wenn die Änderung des Bundesinfektionsschutzgesetzes dazu beiträgt, ist das gut. Wir können uns aber keine langwierigen Gesetzesänderungsverfahren leisten, sondern brauchen schnelle Entscheidungen. Die dritte Welle der Pandemie macht keine Pause.»

Zuletzt hatten die Gesundheitsämter dem RKI binnen eines Tages 24.097 Corona-Neuinfektionen gemeldet. Zudem wurden innerhalb von 24 Stunden 246 neue Todesfälle verzeichnet. Wegen der Oster-Feiertage und der Schulferien könnten die Zahlen noch immer verfälscht sein, warnte das RKI. Die Zahl der binnen sieben Tagen gemeldeten Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner lag am Samstagmorgen bundesweit bei 120,6. Ärzte auf den Intensivstationen sagen, das Limit sei bald erreicht.

Unionsfraktions-Chef Ralph Brinkhaus forderte Bund und Länder angesichts der drängenden Lage zum Schulterschluss auf. Zuletzt hätten die Länder ihren Spielraum oft uneinheitlich ausgeübt, kritisierte er. Jetzt sei ein gemeinsames Vorgehen wichtig: «Es darf keine Front zwischen Bund und Ländern geben. Wir sind darauf angewiesen, dass wir diese Pandemie gemeinsam bekämpfen», sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Denn die Umsetzung der Maßnahmen liege in der Zuständigkeit der Länder.

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich betonte, es gehe nicht um eine Kompetenzverschiebung von den Ländern zum Bund, sondern um Transparenz und Verbindlichkeit. «Änderungen am Infektionsschutzgesetz können für mehr Klarheit sorgen und dem Eindruck eines Flickenteppichs entgegenwirken», sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Die SPD-Fraktion werde sich den Entwurf der Bundesregierung genau anschauen. Ein schnelles, aber geordnetes Verfahren sei gesichert.

Lesen Sie am morgigen Sonntag das große DWN-Interview von Chefredakteur Hauke Rudolph mit einem prominenten Verteidiger der Freiheitsrechte.

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