Finanzen

Medien unterschlagen richtungsweisendes Treffen: Bereiten chinesisch-amerikanische Finanz-Eliten digitale Zentralbankwährung vor?

Lesezeit: 5 min
06.06.2021 09:21  Aktualisiert: 06.06.2021 09:21
Mitglieder des "International Finance Forum" (IFF) sind in Peking zusammengekommen, was von den Medien vollständig ignoriert wurde. Ernst Wolff analysiert das richtungweisende Treffen, auf dem ein vielsagender Satz fiel.
Medien unterschlagen richtungsweisendes Treffen: Bereiten chinesisch-amerikanische Finanz-Eliten digitale Zentralbankwährung vor?
Facebook-CEO Mark Zuckerberg (r) applaudiert dem chinesischen Premierminister Li Keqiang (l) bei einem Treffen in der Großen Halle des Volkes in Peking im Jahr 2016. Der US-Internet-Gigant wurde und wird in China zwar massiv zensiert - aber die Zusammenarbeit mit den Mächtigen des Kommunistischen Systems ist dennoch ausgesprochen gut. (Foto: dpa)

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Ein großer Teil der Presse scheint in diesen Tagen vor allem ein Ziel zu verfolgen: der internationalen Öffentlichkeit die wirklich wichtigen Ereignisse und Entwicklungen vorzuenthalten und ihre Aufmerksamkeit ständig auf unwichtige Nebenschauplätze zu lenken. Anders ist es nicht zu erklären, dass eine Nachricht, die weltweit wie eine Bombe hätte einschlagen müssen, die meisten Medien in dieser Woche nicht einmal zu einer Randnotiz bewegt hat.

Es handelt sich um eine Ankündigung, die Yao Qian, der ehemalige Direktor des Forschungsinstitutes für Digitalwährungen bei der chinesischen Zentralbank, gemacht hat. Yao, aktuell Leiter des Büros für Wissenschafts- und Technologie-Aufsicht bei der „China Securities Regulatory Commission“ (chinesische Wertpapieraufsichtsbehörde), sagte am Montag auf der Jahrestagung des International Finance Forum (IFF) in Peking: „Wir können uns vorstellen, dass die digitale Währung der Zentralbank direkt auf Blockchain-Netzwerken wie Ethereum oder Diem läuft.“

Das ist nicht mehr und nicht weniger als eine handfeste Sensation, denn bei Diem handelt es sich um den Nachfolger von Libra, der von Facebook 2019 vorgestellten privaten Komplementärwährung. Einer der wichtigsten Blockchain-Experten Chinas kündigt also eine mögliche Partnerschaft zwischen dem von der Kommunistischen Partei regierten größten Widersacher der USA und dem bahnbrechenden Projekt eines der größten US-amerikanischen Digital- und Finanzkonzerne an, und das in einem der sensibelsten gesellschaftlichen Bereiche überhaupt, dem Geldwesen!

Ist die aggressive US-Außenpolitik gegenüber China nur eine Inszenierung?

Man traut seine Ohren kaum. Haben die USA in den vergangenen Jahren nicht zahlreiche Sanktionen gegen China erlassen? Haben sie nicht erst vor kurzem im Nahen Osten den Kurs gegen den Iran und damit auch gegen dessen Verbündeten China verschärft? Zusätzlich Öl ins Feuer gegossen mit der Behauptung, das Sars-Cov-2-Virus stamme aus einem Labor in Wuhan? Und haben die chinesischen Medien ihrerseits die amerikanischen Anschuldigungen nicht auf das Heftigste zurückgewiesen?

Wir haben es hier also mit zwei Kontrahenten zu tun, die offenbar keine Gelegenheit auslassen, um ihren langjährigen Konflikt zu schüren und sogar bereit sind, Kriegsdrohungen gegeneinander auszustoßen, die aber jetzt eine Zusammenarbeit ausgerechnet im überaus heiklen Währungsbereich planen. Wie erklärt sich das?

Ganz offensichtlich durch einen gewaltigen Unterschied zwischen dem, was die Politik der Welt vorgaukelt, und dem, was im Bereich von Wirtschaft und Finanzen tatsächlich geschieht. Werfen wir also einmal einen genaueren Blick auf das, was hier hinter den Kulissen abläuft.

Wer ist überhaupt das „International Finance Forum“?

Das „International Finance Forum“ (IFF) wurde 2003 von den Vereinten Nationen zusammen mit etwa zwanzig global agierenden Finanz-Organisationen gegründet. Es hat seinen Hauptsitz in Peking und hält jährliche Treffen zwischen renommierten Wissenschaftlern und hochrangigen Führungskräften aus Politik und Wirtschaft ab. Zu seinen Mitgliedern zählen nach eigenen Angaben fünfzig hochrangige Politiker und zweihundert internationale Führungskräfte aus dem Bereich der globalen Finanzen.

Ein Blick auf das Personal der Organisation enthüllt Erstaunliches: Unter den Aufsichtsratsmitgliedern finden sich unter anderen der ehemalige EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso, der ehemalige EZB-Chef Jean-Claude Trichet und Ex-Europarats-Präsident Herman Van Rompuy. Zum Beratergremium gehören neben anderen der Ex-Bundespräsident und -IWF-Chef Horst Köhler, der ehemalige argentinische Finanzminister Domingo Cavallo sowie Christopher Hill, von 2005 bis 2009 unter George W. Buch stellvertretender Außenminister der USA.

Auch die Rednerliste des diesjährigen Treffens kann sich sehen lassen: Vor fünfhundert politischen und ökonomischen Schwergewichten aus aller Welt sprachen Kristalina Georgiewa, Chefin des IWF, UN-Generalsekretär Antonio Guterres sowie Juan Manuel Barroso, zurzeit übrigens Vorsitzender der hauptsächlich von der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung finanzierten „Globalen Allianz für Impfstoffe und Immunisierung“ (GAVI).

Was seine Besetzung angeht, steht das IFF Klaus Schwabs „World Economic Forum“ (WEF) also in nichts nach. Wieso aber findet man so gut wie kein Wort über die Treffen des IFF in den Medien, während seit Jahren regelmäßig und ausführlich über die Davoser Treffen des WEF berichtet wird?

Ein Blick auf das Direktorium des IFF hilft, die Frage zu beantworten: Sowohl der amtierende Direktor als auch seine sechs Stellvertreter sind nämlich alles hochrangige Vertreter der chinesischen Polit-Elite und damit linientreue Kader der Kommunistischen Partei.

Es dürfte den westlichen Politikern und Wirtschaftsführern wohl kaum gut zu Gesicht stehen, wenn öffentlich darüber berichtet würde, dass sie einerseits der Demokratie das Wort reden und mangelnde Freiheit und Menschenrechtsverletzungen in China beklagen, zugleich aber den Beschuldigten in den Bereichen Wirtschaft und Finanzen – vermutlich nicht ohne Gegenleistung - zu Diensten sind.

Facebook sieht die Zukunft in halbprivaten Währungen

Was aber macht den Plan, die chinesische Zentralbankwährung in Zusammenarbeit mit Facebook herauszugeben, so brisant? Dazu ein Blick auf Facebooks bisherige Anstrengungen im Bereich digitaler Währungen:

2019 trat Facebook-Chef Zuckerberg mit seinem Projekt Libra an die Öffentlichkeit. Zusammen mit Finanzdienstleistern wie PayPal, den Kreditkartenkonzernen Master Card und Visa sowie den Internet-Plattformen Uber, Lyft und Ebay hoffte er, eine eigene Blockchain-basierte Kryptowährung in Umlauf bringen zu können.

Der Plan traf jedoch auf erheblichen Widerstand. Insbesondere die Zentralbanken liefen Sturm gegen die kaum kontrollierbare, weil dezentral konzipierte Währung, die vor allem einem genützt hätte: dem Facebook-Konzern. Doch Zuckerberg ließ das Projekt nicht fallen, sondern gab ihm den neuen Namen „Diem“, änderte das Konzept leicht und setzte auf neue Mitspieler.

Zwar blieben die finanzstarken Uber und Lyft bei der Stange, doch stiegen fast alle Finanzdienstleister aus. Hinzu kamen stattdessen neben anderen der Streamingdienst Spotify, der Softwarekonzern Shopify, die Risikokapitalgesellschaft Thrive Capital sowie Temasek, eine Holdinggesellschaft der Regierung von Singapur.

Ganz offenbar arbeiten die Entwickler von Diem aktuell daran, die Blockchain-Technologie so zu zähmen, dass sie trotz vieler Eigenschaften dezentraler Kryptowährungen kontrollierbar wird. Anders ist das Interesse Chinas an der Zusammenarbeit nicht zu erklären, denn die Zentralbanken dieser Welt und ganz besonders die „People’s Bank of China“ fürchten nichts mehr als Währungen, die sich ihrer Kontrolle entziehen.

Was wären die Folgen einer Kooperation zwischen China und Facebook – auch für Deutschland?

Sollte es tatsächlich zu der von Yao angekündigten Zusammenarbeit kommen, wäre das außergewöhnliche Joint Venture mit Sicherheit das wichtigste Projekt des nächsten Jahrzehnts und würde das Gesicht der Welt nachhaltig verändern. Facebook verfügt über mehr als zweieinhalb Milliarden User und China hat nicht nur 1,4 Milliarden Einwohner, sondern verfügt über die Digitale Neue Seidenstraße über ein internationales Netzwerk, das mindestens eine weitere Milliarde Menschen hinzufügen könnte.

Dass China im Rennen um die erste digitale Zentralbankwährung vorne liegt, ist allgemein bekannt. Dass es diese mit einem US-Konzern zusammen auf den Markt bringen könnte, zeigt, dass die Digital-Elite dieser Welt inzwischen so mächtig geworden ist, dass sie sich über nationale Grenzen und nationale Regierungen hinwegsetzen kann, denn es ist kaum anzunehmen, dass die Regierung in Washington diese Entwicklung begrüßt.

Das Ganze könnte allerdings auch ein Hinweis auf eine noch viel größere Veränderung sein: Da ja auch der US-gesteuerte IWF und die Weltbank sowie zahlreiche europäische Politiker am IFF beteiligt sind, könnte die Annäherung zwischen China und Facebook nur ein erster Schritt in Richtung einer globalen digitalen Zentralbankwährung sein.

Das mag sich für viele Menschen wie das Szenario eines Science-Fiction-Films anhören, ist aber absolut nicht von der Hand zu weisen: Das globale Geldsystem ist nach zwölf Jahren lockerer Geldpolitik durch die verschiedenen Lockdowns und die Billionensummen, die zu seiner Rettung mobilisiert wurden, irreparabel geschädigt worden. Insbesondere der US-Dollar steht vor dem größten Fall seiner Geschichte. Da sein Absturz rund um den Globus fatale Konsequenzen haben würde, wäre die Einführung einer globalen Digitalwährung möglicherweise ein letzter Versuch, das bestehende System und damit die bestehenden Machtverhältnisse zu erhalten.

Dritter im Bunde wäre neben China und den USA die Europäische Union, die allerdings mit Sicherheit das schwächste Glied in der Kette stellen dürfte. Angesichts der Machtkonzentration, die mit einer globalen Digitalwährung einherginge, würde vor allem Deutschland als viertgrößte Volkswirtschaft hinter den USA, China und Japan zu den Verlierern gehören, während die Führung der Kommunistischen Partei Chinas sich triumphierend die Hände reiben könnte.

Auf jeden Fall kann man jetzt schon feststellen, was Yaos Aussage für Deutschland und Europa bedeutet: Die Zukunft unseres Geldes wird sich aller Wahrscheinlichkeit nach weder in Berlin noch in Brüssel, sondern in Peking und im Silicon Valley entscheiden.

                                                                            ***

Ernst Wolff, 69, befasst sich mit der Wechselbeziehung zwischen internationaler Politik und globaler Finanzwirtschaft.


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