Weltwirtschaft

Deutschland braucht mehr Minen: Wegen der Energiewende wächst der Bedarf an Rohstoffen

Lesezeit: 7 min
10.07.2021 09:16
Nicht trotz, sondern wegen der Energiewende, wächst der Bedarf an mineralischen Rohstoffen. Wie dieser gedeckt werden kann und wie Deutschland seine strategische Abhängigkeit reduzieren sollte, erläutert der renommierte Geologe Gregor Borg im großen DWN-Interview.
Deutschland braucht mehr Minen: Wegen der Energiewende wächst der Bedarf an Rohstoffen
Braunkohle-Tagebau in Garzweiler. (Foto: dpa)

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Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Herr Prof. Borg, alle Welt nimmt anscheinend an, dass durch die gewaltigen Umbrüche der Energiewende zukünftig auf Bergbau weitestgehend verzichtet werden kann, was erheblich zur Rettung unserer Umwelt beitragen würde. Teilen Sie diese Einschätzung, und sehen Sie dies mit einem lachendem, aber auch einem weinenden Auge?

Gregor Borg: Warum einem weinenden Auge?

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Weil bald weniger Geologen benötigt werden. Sie und Ihre Kollegen verlieren sozusagen ihre Lebensgrundlage …

Gregor Borg: Herr Rudolph, Sie sitzen da einem Irrtum auf – genau wie große Teile der Medien, der Politik, des überwiegenden Teils der Öffentlichkeit. Um uns Rohstoff-Geologen braucht sich niemand Sorgen zu machen, wir werden in Zukunft mehr benötigt denn je.

Tatsache ist nämlich, dass die neuen Technologien den Bedarf an mineralischen Rohstoffen – also an Metallen, Industrie-Mineralen sowie Steinen und Erden – nicht verringern, sondern im Gegenteil erheblich erhöhen. Ein paar Beispiele: Für den Bau der Windenergie-Infrastruktur benötigt man riesige Mengen an Beton, Stahl, Aluminium sowie mehr Seltene Erden, vor allem Neodym. Und was die Automobil-Produktion angeht: Für einen Verbrenner werden 17 Kilo Kupfer benötigt, für ein Hybrid-Auto 55 und für ein E-Auto sogar 70 Kilo – dazu kommt noch der Bedarf für die Lade-Infrastruktur. Tatsache ist: Der Kupfer-Verbrauch ist bei der Nutzung von erneuerbaren Energien am höchsten, vor allem bei der Offshore-Windenergie und der Solarenergie. Bei der durch Kohle gewonnenen Energie ist er niedriger, am geringsten fällt er bei der Atomkraft aus, da hier die Kraftwerke zentraler konzipiert und betrieben werden.

Nun ist es natürlich so: Metalle – wie beispielsweise das eben angesprochene Kupfer – lassen sich beliebig oft recyceln. Allerdings können wir selbst mit optimalem Recycling nur die Kupfermengen erfassen, die vor 25 bis 30 Jahren verbaut wurden, und das ist viel zu wenig für die heutigen und zukünftigen Bedarfe. Fakt ist, dass die schiere Menge an Metall, welche für die Energiewende benötigt wird, sowohl eine Intensivierung des Abbaus als auch die Entdeckung neuer Lagerstätten notwendig macht. Letzteres ist besonders bei den Spezialmetallen der Fall, die nur in relativ geringen Mengen existieren und abgebaut werden und bislang nur in sehr kleinen Mengen zum Recycling zur Verfügung stehen – ihre Recycling-Raten sind, ich kann es nicht anders sagen, deprimierend. Daher wird der Bedarf an ihnen auch weiterhin in erster Linie über den Abbau gedeckt werden müssen.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Mehr Abbau – das wird vielen überhaupt nicht schmecken. Schließlich gilt der Bergbau als einer der größten Umweltschädlinge überhaupt.

Gregor Borg: Aber ohne ihn wird es nichts mit der Energiewende, das muss in die Köpfe der Menschen hinein. Sowohl in die der Bevölkerung als auch der Entscheidungsträger, vor allem der Umweltpolitiker.

Auf der Ebene der Parteipolitik haben natürlich die Grünen die meisten Bedenken. Ich würde da sogar von einer Problemannahmeverweigerung sprechen – das könnte nach den Bundestagswahlen im September zu Schwierigkeiten führen. Andererseits haben die Grünen – beispielsweise in Baden-Württemberg – gezeigt, dass sie, sowie sie Regierungsverantwortung tragen, die Realitäten des industriellen Lebens rasch zu verstehen und akzeptieren in der Lage sind. Übrigens gibt es einen Grünen, der sich sehr tief in die Materie eingearbeitet hat und ein sehr gutes Verständnis von ihr besitzt: Der EU-Abgeordnete Reinhard Bütikofer. Der ist kein Ideologe, sondern jemand, der sowohl ein offenes Ohr für Umweltschützer hat als auch die wirtschaftlichen Notwendigkeiten anerkennt.

Schwer zu überzeugen sind natürlich auch die Mitglieder von „Fridays for Future“. Sie hatten mich mal zu einem Vortrag eingeladen. Als ich auf die Notwendigkeit von Bergbau zu sprechen kam, wurde ich unterbrochen – man wollte so etwas

nicht hören, wollte noch nicht einmal eine Diskussion dazu. Ich habe dann aber darauf hingewiesen, dass es ohne Lithium für die Batterien von E-Autos keine Mobilitätswende gibt, dass Lithium jedoch abgebaut werden muss, weil es noch lange nicht in ausreichenden Mengen recycelbar ist. Da war man dann schließlich doch bereit, mich anzuhören.

Eins ist klar: Bergbau ist heute – zumindest in westlichen Gesellschaften – nicht mehr möglich, ohne die Bevölkerung mit ins Boot zu holen. Es ist unabdingbar, dass alle Stakeholder, dass heißt Bevölkerung, Politik und beteiligte Unternehmen, beteiligt und vernetzt werden. Wobei es solche und solche Unternehmen gibt – einige benehmen sich wie die Axt im Walde, andere sind, was ihr Vorgehen und ihre Öffentlichkeitsarbeit anbelangt, vorbildlich.

In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, dass es nicht so sehr die großen Bergbau-Gesellschaften sind, die die Regeln brechen. Das hat zweierlei Gründe: Zum einen besitzen sie Bergwerke und Minen, bei denen der Abbau in großer Tiefe stattfindet, was den Einsatz von sehr komplexer Technik erfordert. Das ist mit schlecht bezahlten Hilfskräften oder gar mit Hilfe von Kinderarbeit nicht leistbar. Zum anderen handelt es sich bei den großen Unternehmen fast immer um Aktiengesellschaften. Die haben eine Heidenangst um ihren Ruf – ist der angekratzt, geht´s mit den Kursen ganz rasch in den Keller. Nein, die Problemmacher sind in erster Linie Gesellschaften, die – im wahrsten Sinne des Wortes – aus dem Boden gestampft werden, die nur existieren, um kurzfristig Profit zu machen, und die deshalb auf nichts und niemanden Rücksicht nehmen, nach dem Motto: „Nach mir die Sintflut.“

Ein Vorreiter bei der Kontrolle ist Australien – dort befinden sich die Minen unter strenger staatlicher Aufsicht. Vorbildlich! Verglichen mit dort sind die Vorschriften bei uns lax und locker – ich bin der Meinung, wir sollten uns an Down Under ein Beispiel nehmen.

Übrigens gibt es noch einen Akteur, den ich bisher noch nicht erwähnt habe, der sich gegenüber der Notwendigkeit, Bergbau zu betreiben, ziemlich ignorant zeigt.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Das wäre?

Gregor Borg: Die Industrie. Nehmen wir das Beispiel VW: Der Autobauer hat angekündigt, sechs Mega-Fabriken mit einer Leistung von 240 Gigawattstunden für die Batterie-Fertigung hochzuziehen. Diese sechs Fabriken werden einen Erz-Bedarf haben, der rund 78 Prozent der derzeitigen Weltproduktion entspricht. Thematisiert wurde dieser Umstand seitens des Konzerns allerdings noch nicht, zumindest nicht öffentlich. Das hat das renommierte „Mining Journal“ zum Anlass genommen, einen Artikel zu veröffentlichen, in dem die Frage gestellt wird, wie ein riesiges globales Unternehmen eine so offensichtliche Herausforderung nicht zur Kenntnis nehmen kann.

Noch ein anderes Beispiel: die Bayer AG. Der Konzern besaß in Südafrika eine Mine namens „Vergenoeg“, in der das Mineral Flussspat – wir Geologen sprechen von Fluorit – gefördert wird. 1998 hat man die Mine jedoch verkauft. Heute kommt diese Entscheidung den Leverkusenern teuer zu stehen. Die Preise von Flussspat sind nämlich in die Höhe geschossen und der Konzern muss viel Geld dafür ausgeben, seinen Bedarf zur Flusssäure-Produktion zu decken.

Aber so ist das nun mal in der freien Wirtschaft, in der ein CEO meist fünf bis höchstens fünfzehn Jahre am Ruder eines Konzerns steht – langfristiges Denken gibt es dort kaum. Also verfallen die Unternehmen in Extreme: Unter dem einen Vorstands-Chef wird sich auf das Kerngeschäft konzentriert, unter dem nächsten stellt man sich dann wieder äußerst breit auf. Eine Konstante ist nicht zu erkennen. Das ist in China anders – dort wird eine konsequente Strategie verfolgt. Und China ist heute in Sachen Rohstoffe und Bergbau einer der wichtigsten Akteure weltweit. In Sachen Seltene Erden ist es der wichtigste Akteur.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: In welcher Hinsicht? Und welche Strategie verfolgt die Volksrepublik?

Gregor Borg: Sowohl beim Abbau als auch bei der Veredelung von Seltenen Erden ist das Land in quantitativer Hinsicht die Nummer eins. Wobei die chinesischen Unternehmen es häufig geschafft haben, die ausländische Konkurrenz durch Dumpingpreise in die Knie zu zwingen. Vor allem in Australien und den USA mussten Minen für Seltene Erden dichtmachen, weil sie von den Kosten – und der Bergbau ist nun einmal ein kostenintensiver Wirtschaftszweig – überrollt wurden. Der chinesische Staat hat den heimischen Bergbau mit hohen Summen subventioniert – Peking ist da wirklich sehr zielgerichtet und planvoll vorgegangen.

Insgesamt lässt sich konstatieren, dass China in Sachen Rohstoffe eine äußerst vorausschauende expansive national-strategische Vernetzungspolitik betreibt. Im Rahmen der Neuen Seidenstraße und darüber hinaus. Man kauft weltweit Minen, man treibt wichtige Förderländer durch Kredite in die Abhängigkeit. Früher haben die westlichen Staaten Kolonialismus betrieben – heute praktiziert das Reich der Mitte etwas, was ich als Neo-Kolonialismus bezeichnen möchte.

Aus Sicht Pekings ist das natürlich nachvollziehbar und genau das richtige Rezept. Schließlich hat man sich auf diese Weise innerhalb von wenigen Jahren von einem Dritte-Welt-Staat zur zweitgrößten Wirtschaftsnation der Welt emporgeschwungen. Vorhin erwähnte ich, dass hierzulande Bergbau nur noch möglich ist, wenn alle Stakeholder miteingebunden werden. Aus chinesischer Sicht ist eine solche Basisdemokratie natürlich nicht nachvollziehbar, im Gegenteil: Sie stellt lediglich ein völlig unnötiges selbstgeschaffenes Hindernis dar.

Zur Person: Prof. Dr. Gregor Borg lehrt Petrologie und Lagerstättenforschung an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Darüber hinaus hat er die Position eines Honorary Professors an der renommierten „Camborne School of Mines“ in Cornwall inne, die zur University of Exeter gehört. Seine langjährige Erfahrung in der Erforschung von Bunt- und Edelmetall-Vorkommen sowie von Lagerstätten strategischer Metalle beruhen auf umfangreichen Tätigkeiten in Europa, Afrika und Vorderasien. Neben seiner Tätigkeit in universitärer Forschung und Lehre berät er nationale und internationale Rohstoff-Unternehmen bei der Exploration, Extraktion und Aufbereitung mineralischer Rohstoff-Lagerstätten. Gregor Borg ist seit 2011 stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der Deutschen Rohstoff AG.

Lesen Sie morgen im zweiten Teil des großen DWN-Rohstoff-Interviews:

  • Wo der Markt versagt - und der Staat eingreifen muss
  • Was Hermann Göring mit der Sache zu tun hat
  • In welchem Teil der Welt kein Bergbau stattfinden sollte


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