Wer fast schon ideologisch nur in seiner eigenen Blase denkt, der verliert manchmal den Blick für das große Ganze. Das gilt auch beim Thema der „globalen Energiewende“. Die geht doch viel schleppender voran, als es so mancher deutsche Politiker jemals zugeben würde. Der Anteil erneuerbarer Energien am weltweiten Energiekonsum (hier ist nicht nur Strom, sondern auch Heizung und Mobilität enthalten) beträgt stand heute gerade einmal fünf Prozent. Auch wir Deutschen als vermeintliches Vorreiterland liegen nur bei circa acht Prozent. Zwar machen Erneuerbare hierzulande rund 40 Prozent der Stromerzeugung aus, aber Strom entspricht nur einem Fünftel des Energieverbrauchs.
Ein genauerer Blick auf die Fakten: Im „Statistical Review of World Energy 2020“ wird die Zusammenstellung des weltweiten Energiekonsums visualisiert. Der Anteil der konventionellen Energieträger Kohle, Erdöl und Gas beträgt 84,3 Prozent, aus der Wasserkraft kommen 6,4 Prozent, sonstige erneuerbaren Energien liefern fünf Prozent und die Kernenergie 4,3 Prozent.
Auch wenn die Schwellenländer bei der Klimapolitik nicht so recht mitziehen wollen: Wenn es allein die Industrie-Nationen mit der Abkehr von fossilen Brennstoffen ernst meinen, dann muss ein erheblicher Teil des globalen Energiebedarfs (der mit steigender Weltbevölkerung und einer wachsenden Weltwirtschaft immer größer wird) perspektivisch aus anderen Quellen kommen.
In Deutschland beispielsweise ist der Kohleausstieg in vollem Gange – und in den USA will Neupräsident Biden einen rund zwei Billionen Dollar teuren „New Green Deal“ durchsetzen, welcher ähnliche Ziel verfolgt. Die Abkehr von Öl und Gas ist hingegen noch nicht absehbar, würde aber die zukünftige Energie-Lücke noch weiter vergrößern.
Erneuerbaren Energien werden diese perspektivische Lücke nicht ansatzweise füllen können. Wasserkraft ist vergleichsweise unbedeutend, und nur in wenigen Ländern (zum Beispiel Norwegen) sind überhaupt die geographischen und klimatischen Voraussetzungen gegeben, um hiermit einen signifikanten Beitrag zu leisten. Das Verbrennen von Biomasse ist weder wirklich nachhaltig noch komplett CO2-neutral. Solar- und Windenergie sind in aller Munde, aber die Problematik der unstetigen Stromerzeugung (Stichwort: Dunkelflaute) ist weiterhin ungelöst und kann aufgrund des Mangels an skalierbaren Speicher-Technologien nur indirekt über Reserve-Kapazitäten adressiert werden.
Ergo benötigt fast der gesamte Pool an Erneuerbaren eine hundertprozentige Abdeckung durch Backup-Kapazitäten. Ein weiteres Problem ist die relativ geringe Energiedichte der wichtigsten erneuerbaren Energieträger oder auf gut deutsch: Solarpanels und Windräder beanspruchen zu viel Platz für ihren relativ geringen Output.
Die notwendige Renaissance der Kernenergie
Was hat das Ganze nun mit der Atomkraft und Uran zu tun? Erneuerbare Energien sind für die ambitionierten Klimaziele offensichtlich nur eine Teillösung, sie müssen durch andere Stromerzeugungs-Technologien ergänzt werden. Woher werden wohl die Backup-Kapazitäten kommen, wenn alle Kohlekraftwerkte abgeschaltet wurden? Gaskraftwerke können keine wirkliche Alternative sein, sofern die Regierenden ihre auf dem Leitspruch „CO2-Neutralität“ basierende Klimapolitik nicht vollends in die Absurdität abgleiten lassen möchten, indem man „CO2-neutral“ zu wörtlich nimmt und die dahinter stehenden Ziele ignoriert. Bei der Verbrennung von Erdgas wird nämlich Methan freigesetzt, was ein vielfach stärkeres Treibhausgas als Kohlendioxid ist. Die gegenwärtig einzige ernstzunehmende Option ist die Nuklear-Energie – es sei denn, in der Zwischenzeit wird eine völlig neuartige klimaneutrale Energiequelle entdeckt.
Nach Angaben des jährlich erscheinenden World Nuclear Industry Status Reports (WNISR) deckte die Atomkraft 2020 rund zehn Prozent des globalen Strombedarfs. Dieser Anteil dürfte deutlich ansteigen. Denn es scheint so, als ob mittelfristig kein Weg an der Kernkraft vorbeiführt. Das sieht man auch daran, dass weltweit abseits des deutschen Sonderweges fleißig neue Kernkraftwerke gebaut wurden. Zu den derzeit circa 450 aktiven Reaktoren sollen in naher Zukunft rund 50 neue hinzukommen, die sich aktuell in der Bauphase befinden. Zusätzlich sind laut der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) mehr als 150 neue Atomkraftwerke in Planung.
Damit wird die parallele Abschaltung von einigen Kernreaktoren mehr als kompensiert. Es ist außerdem zu erwarten, dass man es mit der Stilllegung von Atomkraftwerken nicht übertreiben wird. Schließlich reißt die Eliminierung von Reaktoren, welche bereits „kohlenstoff-freie“ Energie bereitstellen, ein unnötiges Loch in den Strommarkt. Eine Massenschließung würde ohnehin effektiv Milliarden verschlingen, die anderweitig für Dekarbonisierungs-Zwecke besser eingesetzt werden können.
Atomkraft produziert genau wie Sonnen- und Windenergie – bezogen auf die reinen Grenzkosten – relativ günstigen Strom. Kernenergie hat aber nicht die Effizienz-Problematik der Erneuerbaren, muss dafür aber zugegebenermaßen gravierendere Sicherheits-Bedenken, vor allem im Hinblick auf die radioaktiven Abfälle aushalten. Der größte Pluspunkt ist die hohe Energiedichte: Kernreaktoren benötigen im Vergleich zu Solaranlagen und Windparks grob ein Fünfhundertstel der Fläche, um dieselbe Energiemenge zu liefern. Als nachhaltig kann man Kernkraft nicht bezeichnen und doch wird stets die Klimafreundlichkeit dieser Energieform hervorgehoben.
US-Präsident Biden befürwortet den Ausbau der Kernkraft in den Vereinigten Staaten, wo schon heute die mit Abstand meisten Reaktoren stehen. Nachbarländer Deutschlands wie Frankreich, Niederlande und bald auch Polen setzen massiv auf Atomkraft. Das „Clean Energy Package“ der EU-Kommission sieht flächendeckende Laufzeitverlängerungen sowie den Bau von 100 neuen Kernkraftwerken in den nächsten dreißig Jahren vor. Auch viele aufstrebende Länder wie Russland, Brasilien und Indien vertrauen auf die Kernkraft-Technologie und bauen ihre Nuklear-Kapazitäten stark aus. An vorderster Front steht China als weltweiter Spitzenreiter im Neubau von Atomkraftwerken mit 37 neu installierten Anlagen in den letzten zehn Jahren. Der Anteil der Kernkraft am Strommix beträgt im Reich der Mitte etwa fünf Prozent und soll nach Maßgabe der Regierung schrittweise auf 20 Prozent steigen. Hier und andernorts besteht also noch reichlich Potenzial nach oben.
Die Atomenergie dürfte demnach in dreifacher Hinsicht eine Renaissance erleben. Erstens als Backup für Erneuerbare, zweitens als Teilbeitrag beim Ersetzen der wegfallenden Primärkapazität durch Kohlekraft in einigen Industrieländern und drittens als (jetzt schon) wichtiger Stromlieferant für viele Schwellen- und Industrieländer – häufig mit dem Segen oder gar der finanziellen Unterstützung der Regierungen.
Uran sollte vom Atomkraft-Ausbau profitieren
In den meisten Kernreaktoren wird angereichertes Uran als Brennstoff eingesetzt. Uran ist ein radioaktives Metall, das in Verbindung mit mehr als 200 Mineralen in der Erdkruste zu finden ist. Die bekannten Vorkommen sollen beim aktuellen Verbrauch schätzungsweise 100 bis 200 Jahre ausreichen. Über die Hälfte der globalen Uranförderung entfällt auf Kasachstan und Kanada. Kasachstan ist nicht nur das größte Förderland, hier lagern auch die meisten Reserven. Weitere bedeutende Förderländer sind Australien, Russland und Namibia. Das allermeiste Uran wird im Tiefbau gewonnen.
Nach dem Atomunfall von Fukushima im Jahr 2011 fiel der Uranpreis (U308) von rund 70 Dollar je Pfund (453,6 Gramm) bis 2017 auf unter 20 Dollar und verweilt seit geraumer Zeit auf ähnlichem Niveau bei aktuell rund 30 Dollar. Der Markt scheint an dieser Stelle eine zukünftige Renaissance der Kernkraft noch nicht so wirklich abzubilden.
Dabei spricht viel für Uran, zumindest solange kein effizienterer Brennstoff gefunden wird. Die Internationale Energieagentur (IEA) schätzt, dass weltweit bis 2040 rund 1,2 Billionen Dollar in den Ausbau der Atomenergie investiert werden. Das würde zu einer 50-prozentigen Steigerung der weltweiten Kernenergie-Produktion führen und den Bedarf an Uran massiv erhöhen. Folglich prognostizieren Experten, dass der jährliche Uran-Verbrauch bis 2030 im Vergleich zu heute um mehr als 25 Prozent auf circa 110.000 Tonnen steigen wird.
Der Uran-Markt ist eng und die Fördermenge geringer als die Nachfrage
Den Uran-Markt kennzeichnet derweil seit 2019 eine Angebotslücke. Dies liegt unter anderem an hohen Lagerbeständen, die seit der Fukushima-Katastrophe aufgebaut und noch nicht wieder vollständig aufgebraucht wurden. Ein weiterer Grund: Die durchschnittlichen Förderkosten der Minenbetreiber liegen mit 40 Dollar je Pfund deutlich über dem Preis. Dementsprechend gibt es nur wenige Uranminen weltweit, die profitabel sind – und seit Jahren war der Produktions- und Investitions-Anreiz für die meisten Bergbau-Konzerne entsprechend gering. Eine stagnierende Minenproduktion und fallende Lagerbestände bei gleichzeitig steigender Nachfrage dürfte tendenziell die Verknappung des Angebots vergrößern – das ist zumindest die Konsens-Meinung der Analysten zu den kurzfristigen Aussichten im Uran-Markt.
Darüber hinaus ist der Uran-Markt relativ klein und wird von wenigen Bergbau-Gesellschaften wie der kasachischen „Kazatomprom“ und der kanadischen „Cameco“ dominiert. Die Zahl der aktiv betriebenen Uranminen hat sich innerhalb einiger Jahre von 500 auf aktuell rund 50 gezehntelt. Circa 80 Prozent der weltweiten Uranversorgung soll aus lediglich zehn Minen stammen. Die Enge des Marktes begünstigt eine anhaltende Versorgungs-Knappheit.
Sollte Uran deutlich teurer werden, wird die Abbau-Menge nicht einfach so mitziehen. Die Eröffnung einer neuen Uranmine ist ein komplizierter und kostspieliger Prozess, der nach der Entdeckung eines Vorkommens zwischen 10 und 20 Jahre in Anspruch nehmen kann.
Das ist eine ideale Konstellation für den berüchtigten „Schweinezyklus“. Angenommen, es kommt zu einer Preisexplosion bei Uran. Wenn die Kapazitäten der Minenkonzerne dann deutlich erhöht sind, ist der Preisauftrieb wahrscheinliche schon wieder vorbei und das Angebot auf einmal höher als die Nachfrage. Dann kann man mit Preisstürzen und darauffolgenden Kapazitäts-Reduzierungen rechnen, bis der Zyklus wieder von vorne beginnt.
Die Kraftwerksbetreiber könnten steigende Uranpreise derweil recht gut verschmerzen, da einerseits ein Teil ihres Uran-Bedarfs traditionell mit langfristigen Verträgen zu alten Preisen gesichert ist und andererseits die Brennstoffkosten beim Betrieb eines Atomkraftwerks nur einen kleinen Bruchteil der Gesamtkosten ausmachen.