Finanzen

Was sind die Folgen, wenn Chinas Bürger weltweit investieren dürfen?

Lesezeit: 6 min
12.07.2021 10:03
China erlaubt seinen Bürgern zunehmend das Investieren im Ausland. Die möglichen Folgen für die globalen Finanzmärkte sind enorm.
Was sind die Folgen, wenn Chinas Bürger weltweit investieren dürfen?
Millionen neue wohlhabende Investoren dürften Spuren auf denen globalen Finanzmärkten hinterlassen. (Foto: dpa)
Foto: Cai Yang

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Seit 2007 dürfen Chinas Bürger pro Jahr 50.000 Dollar außer Landes bringen, ohne dass sie dafür eine besondere Genehmigung benötigen. Allerdings dürfen sie auf diese Weise bisher nur ausgewählte Dinge finanzieren, etwa ein Auslandsstudium oder Auslandsreisen. Doch künftig können sie das Geld zunehmend auch in die globalen Finanzmärkte investieren.

Zwar hat China trotz seines Aufstiegs zur globalen Wirtschaftsmacht noch immer strenge Kapitalkontrolle. Doch bereits im Februar sagte Ye Haisheng, ein Beamter des Staatlichen chinesischen Devisenamts (Safe), dass die Regierung prüfe, ob der Freibetrag von 50.000 Dollar künftig nicht nur für Bildungsausgaben und Reisen verwendet werden könnte, sondern auch für den Kauf von ausländischen Wertpapieren und Versicherungen.

Wealth-Connect-Programm ermöglicht Bürgern Auslandsinvestitionen

Außerdem steht ein Programm in Kooperation mit Hongkong kurz vor dem Start, das sogenannte Wealth-Connect-Programm, das es Haushalten in Südchina ermöglichen wird, im Ausland zu investieren. "Dies ist eine sehr interessante Zeit für uns alle", zitiert die Financial Times Terry Pan, den Chief Executive Officer für Greater China (Großchina, das heißt China und Taiwan, Anm. d. Red.) bei Invesco, das im Rahmen von Wealth Connect Geld verwalten darf. "Die Liberalisierung findet vor unseren Augen statt."

Die Abflüsse aus der Vermögensverwaltung in China sind zwar noch gering, aber sie sind Teil eines tiefgreifenden Wandels. Das Finanzsystem des Landes öffnet sich und lockt die größten Banken und Vermögensverwalter der Welt an. HSBC, einer der aktivsten Teilnehmer, schätzt, dass chinesische Haushalte bis 2025 über ein investierbares Vermögen von 300 Billionen RMB (rund 39,2 Billionen Euro) verfügen werden.

"Wenn mehr Investitionskanäle nach außerhalb des Landes zur Verfügung stehen, bieten sich den Haushalten echte Möglichkeiten, in ausländische Wertpapiere zu diversifizieren", stellte die Bank im Mai fest. In der Vergangenheit hat China solche Programme in Zeiten von Marktvolatilität ausgesetzt.

Woher kommt Chinas Interesse an Auslandsinvestitionen?

Der Renminbi hat gegenüber dem Dollar deutlich an Wert gewonnen und zugleich hat Chinas Aktienmarkt im Februar seinen Höchststand von 2007 übertroffen. Die Warnungen vor Vermögenspreisen sind daher lauter geworden, insbesondere auch im Immobiliensektor des Landes, wo weiterhin ein Großteil des Vermögens der privaten Haushalte investiert wird.

HSBC schätzt, dass Chinas wachsende Mittelschicht bald 500 Millionen Menschen übersteigen wird. Wenn China es zuließe, dass seine Bürger im großen Stil weltweit investieren, so hätte das erhebliche Folgen. Die Ersparnisse des Landes könnten einige internationale Märkte überschwemmen. Wenn nur 10 Prozent der Haushalte 50.000 Dollar im Ausland investieren würden, so wären das laut Berechnungen von HSBC 2,4 Billionen Dollar.

Nach Ansicht von Michael Every, einem globalen Marktstratege bei der Rabobank, ist eine wirkliche Öffnung des chinesischen Kapitalkontos "strukturell extrem unwahrscheinlich", weil der daraus resultierende Kapitalabfluss zu einem Zusammenbruch der chinesischen Vermögenspreise und einer extremen Abwertung der chinesischen Währung führen würde. Allerdings könnten die Öffnung in kleinen Schritten erfolgen.

Was passiert, wenn die chinesischen Ersparnisse auf die Welt losgelassen werden?

Im Jahr 2016 untersagte Chinas Zentralbank die Verwendung von sogenannten "Doppelwährungs"-Kreditkarten, mit denen die Chinesen über die internationalen Netzwerke Visa und Mastercard im Ausland einkaufen konnten. Unionpay, der wichtigste Kreditkartenanbieter des Landes, durfte nicht mehr für den Kauf von Versicherungen in Hongkong genutzt werden.

Das Verbot kam, nachdem die Bürger begonnen hatten, in Hongkong Lebensversicherungen abzuschließen, die mit Sparverträgen verbunden waren. Wenn die Policen fällig wurden, blieb dem Kunden eine Pauschalsumme in Hongkong-Dollar. "Damals konnte man mit einer Kreditkarte aus China alles in Hongkong bezahlen", sagt Stewart Aldcroft, Asien-Chef von Cititrust, einem Zweig der Citibank. "Die Aufsichtsbehörden sind plötzlich aufgewacht und mussten etwas dagegen tun."

Wie die Casinos im benachbarten Macau ist auch Hongkong für seine Rolle im Zusammenhang mit illegalen Geldströmen aus China bekannt. Aber Hongkong bietet heute auch eine Reihe von legalen Möglichkeiten, um Geld außerhalb von China anzulegen. Das Wealth-Connect-Programm soll der bisher symbolträchtigste Meilenstein bei der Festigung von Hongkongs Rolle als Tor zu den internationalen Märkten sein.

Internationale Banken sehen große Chancen in China

Ein Pilotprojekt, das noch dieses Jahr starten soll, wird es Haushalten in neun Städten in der Greater Bay Area, zu der auch Shenzhen und Guangzhou gehören und in der etwa 70 Millionen Menschen leben, ermöglichen, bis zu 1 Million RMB (rund 131.000 Euro) in Fonds mit niedrigem und mittlerem Risiko zu investieren, die in Hongkong ansässig sind. Das soll ihnen Zugang zu den globalen Finanzmärkten verschaffen.

Ausländische Investoren können über das Programm auch chinesische Finanzprodukte kaufen. Die Gesamtströme in beide Richtungen sind zunächst auf 150 Milliarden Renminbi (rund 19,6 Milliarden Euro) begrenzt. Dies ist nur ein Bruchteil des Vermögens der privaten Haushalte in China, was die Vorsicht der chinesischen Behörden widerspiegelt.

"Wealth Connect wird das erste Mal sein, dass China Festlandbewohnern erlaubt, Geld direkt aus dem Land zu bewegen, um es im Ausland anzulegen", sagt Anthony Lin, Standard Chartered Chief Executive für die Greater Bay Area. "Heute ist das Limit nicht sehr groß und es gibt Einschränkungen bei den Produkten, aber wir glauben, dass sich das mit der Zeit ändern wird."

Im Februar erklärte die HSBC, dass sie über einen Zeitraum von fünf Jahren 3,5 Milliarden Dollar für den Ausbau ihres Wealth- und Personal-Banking-Geschäfts in Asien ausgeben werde, das bereits zwei Drittel ihres weltweiten Vermögensgeschäfts ausmacht. Die Citibank und Standard Chartered haben ähnliche Pläne vorgelegt. Sie wollen die Zahl der Mitarbeiter im Wealth Management und die Einnahmen in Festlandchina und Hongkong in den nächsten fünf Jahren verdoppeln.

"Die Chance ist enorm", sagt Greg Hingston, Leiter Wealth and Personal Banking bei HSBC für den asiatisch-pazifischen Raum. "Selbst wenn man nur einen kleinen Teil davon bekommt, wird es sehr bedeutsam sein." Bloomberg Intelligence schätzt jedoch, dass die jährlichen Gesamtgebühren der Banken im Rahmen von Wealth Connect wegen der anfänglichen Obergrenze wahrscheinlich weniger als 500 Millionen Dollar betragen werden.

Große US-Banken, die eine Partnerschaft mit chinesischen Partnern eingegangen sind, haben auch die Offshore-Möglichkeiten betont, wo sie einen deutlichen Vorteil gegenüber den Konkurrenten vor Ort haben. Goldman Sachs plant, durch seine Partnerschaft mit der ICBC irgendwann "Offshore-Produkte" anzubieten.

"[Internationale] Banken schauen nicht darauf, welche direkten Einnahmen kurzfristig generiert werden können", sagt Anthony Lin von Standard Chartered. "Wir konzentrieren uns darauf, einen Kundenstamm aufzubauen, sodass mit der Zeit, wenn China sein Kapitalkonto weiter öffnet, die Beziehungen zu diesen Kunden viel größer werden."

Öffnung bringt China Chancen und Risiken

In diesem Jahr gibt es starke Anzeichen dafür, dass sich die staatliche Kontrolle über die enormen Ersparnisse der Chinesen lockern könnte. So erhöhte die Regierung im Juni die Gesamtsumme für ein Programm namens Qualified Domestic Institutional Investor Scheme, das es Unternehmen erlaubt, im Namen ihrer Kunden, von denen die meisten Kleinanleger sind, im Ausland zu investieren. Die Erhöhung um 10 Milliarden Dollar auf 147 Milliarden Dollar war die größte seit Beginn des Programms im Jahr 2006.

Wie das kurz vor dem Start stehende Wealth-Connect-Programm zwingt auch das Qualified Domestic Institutional Investor Scheme (QDII) die Investoren dazu, sich ihr Geld in Renminbi auszahlen zu lassen. Das bedeutet, dass es derzeit keinen klaren Nutzen für diejenigen hat, die im Ausland eher Geld ausgeben als investieren wollen.

Nachdem Deng Xiaoping Chinas Wirtschaft in den späten 1970er Jahren reformiert hatte, strömten ausländische Direktinvestitionen in das Land. Die Kapitalabflüsse wurden nach der asiatischen Finanzkrise Ende der 1990er Jahre eingeschränkt, die das Risiko eines schnellen Abzugs ausländischer Gelder aufzeigte. Die ausländischen Direktinvestitionen in China übertrafen im letzten Jahr mit 163 Milliarden Dollar erstmals jene in den USA.

Für die chinesische Regierung kann es durchaus von Vorteil sein, wenn die Bürger des Landes im Ausland investieren. Denn die Kapitalabflüsse würden nicht nur die zuletzt erstarkte Landeswährung abschwächen, sondern auch den Ansturm auf die chinesischen Aktien- und Anleihemärkte mindern, die in der Folge der schnellen Erholung Chinas von Corona stark angestiegen sind.

Zudem haben sich die offiziellen Äußerungen der Besorgnis über überhöhte inländische Vermögenspreise in diesem Jahr gehäuft. Im März warnte Guo Shuqing, Chinas oberste Bankenaufsicht, vor "Blasen" im Immobiliensektor des Landes. Guo warnte aber nicht nur vor inländischen Immobilien, sondern auch vor Blasen in jenen "ausländischen Märkten", in denen chinesische Sparer aktiver sein würden.

Wird China tatsächlich die Schleusen öffnen?

"Langfristig wird eine vollständige Liberalisierung des Kapitalverkehrs erst dann stattfinden, wenn alle inländischen strukturellen Schwachstellen beseitigt sind", sagt Carlos Casanova, ein leitender Ökonom für Asien bei der Schweizer Privatbank UBP. Das größte Problem sei die hohe Verschuldung der chinesischen Unternehmen.

Dariusz Kowalczyk, Ökonom bei Crédit Agricole, hält eine vollständige Liberalisierung für unwahrscheinlich, da die Regierung "die Wirtschaft weiterhin mikromanagen möchte", sodass sie Kapitalkontrollen und Wechselkurse beibehalten muss, "um nicht den Launen des globalen Systems mit all seiner Volatilität ausgeliefert zu sein".

China hält US-Staatsanleihen im Umfang von mehr als 1 Billion Dollar, mit denen das Land seinen Wechselkurs kontrollieren kann. Aber wenn China sein erklärtes Ziel der Internationalisierung seiner Währung erreichen will, muss es seine Kapitalkontrollen lockern. Die derzeit vorangetriebenen Experimente zur Liberalisierung der Kapitalbilanz könnten auf den globalen Finanzmärkten erhebliche Folgen haben.

Chinesische Investoren dominieren bereits ausgewählte internationale Märkte. Unternehmensaktivitäten in Übersee oder Käufe durch vermögende Privatpersonen mit Einkommen im Ausland haben bereits zur Überhitzung der Immobilienmärkten ganzer Städte im Westen beigetragen, darunter Vancouver an der kanadischen Westküste oder Sydney, die größte Stadt Australiens.

Die erste Phase des Wealth-Connect-Programms erlaubt Chinas Bürgern nur den Kauf von Produkten mit niedrigem und mittlerem Risiko, also etwa Anleihen mit hohem Rating. Wenn hypothetisch alle chinesischen Ersparnisse in solche Anleihen fließen würden, "würde man natürlich noch mehr negative Zinsen sehen", sagt Terry Pan von Invesco. Denn die Nachfrage würde die Preise in die Höhe und die Renditen nach unten treiben.

Sicherlich werden die insgesamt 150 Milliarden Renminbi (rund 19,6 Milliarden Euro), die im Rahmen des diesjährigen Pilotprojekts zum Wealth-Connect-Programm in die globalen Märkte fließen, keine Verwerfungen auslösen. Aber wenn Peking die Öffnung weiter vorantreibt, werden die massiven chinesischen Ersparnisse mit Sicherheit global spürbar werden.


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