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Irrationale Wasserstoff-Begeisterung? Der vermeintliche Heilsbringer der Energiewende droht zum Milliardengrab zu werden

Lesezeit: 5 min
22.07.2021 09:00
Wasserstoff soll in Zukunft einen wesentlichen Beitrag zur Energiewende leisten. Doch diese Hoffnung ist ein Trugschluss, der im Wesentlichen auf schlampigen Rechnungen basiert.
Irrationale Wasserstoff-Begeisterung? Der vermeintliche Heilsbringer der Energiewende droht zum Milliardengrab zu werden
Die Idee, Wasserstoff als Antrieb zu nutzen, ist gar nicht so neu. (Foto: dpa)
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Erneuerbaren Energien sollen nach Meinung der verantwortlichen Politiker den Hauptbeitrag zur Umstellung der Energiewirtschaft auf CO2-freie Stromerzeugung, Fortbewegung und Heizung liefern. Jedoch sorgt die politisch gewollte Umstellung der Automobilindustrie auf Elektroantriebe für einen immer weiter steigenden Strombedarf, der durch Solaranlagen (Stichwort Dunkelflaute) und Windräder (Stichwort Windstille) nicht stetig bedient werden kann, weshalb man bei den designierten Energieträgern der Zukunft nach weiteren Alternativen zu fossilen Brennstoffen sucht. Eine solche Alternative soll Wasserstoff werden.

Wasserstoff-Autos gab es schon vor 200 Jahren

Die Idee ist tatsächlich gar nicht so neu. Das erste Wasserstoff-Auto wurde schon 1807 gebaut. Der Motor wurde mit einem zündfähigen Gemisch aus Steinkohlengas, Wasserstoff und Luft betrieben. Das Prinzip der Brennstoffzelle, die Strom aus einer Wasserstoff-Sauerstoff-Reaktion erzeugt und damit einen Elektromotor speist, wurde 1838 entdeckt.

Bald war die Fachwelt von den Brennstoffzellen begeistert und man hoffte, Kohle und Dampfmaschinen ersetzen zu können. 1875 schrieb Jules Verne in seinem Buch „Die geheimnisvolle Insel“ über die Brennstoffzelle: „Das Wasser ist die Kohle der Zukunft. Die Energie von morgen ist Wasser, das durch elektrischen Strom zerlegt worden ist. Die so zerlegten Elemente des Wassers, Wasserstoff und Sauerstoff, werden auf unabsehbare Zeit hinaus die Energieversorgung der Erde sichern.“

Anschließend lief die Fahrzeugentwicklung aber hin zu Diesel- und Benzinantrieben. Trotzdem war Wasserstoff im 19. und 20. Jahrhundert ein wichtiger Brennstoff. In den Gaskesseln der Städte wurden riesige Mengen gespeichert und durch Rohrleitungen verteilt. Dieses „Stadtgas“ enthielt neben Wasserstoff auch Methan und geringe Mengen an giftigem Kohlenmonoxid. Durch die Elektrifizierung hat es dann zunehmend an Bedeutung verloren.

Heute erlebt Wasserstoff in der Antriebstechnik eine kleine Renaissance. Die Frage ist nur, warum das erst jetzt passiert. Wasserstoff findet man in Wasser – im Gegensatz zu Kohle, Erdöl und Erdgas muss es also nicht erst aus dem Boden geholt werden. Warum also wurde zwei Jahrhunderte lang stattdessen der klassische Verbrennungsmotor immer weiter verbessert und Wasserstoff mehr oder weniger ignoriert?

Um diese Frage zu beantworten, muss man sich in chemische Details einarbeiten: Zunächst einmal findet man Wasserstoff fast nur in Molekülform und dabei hauptsächlich als Teil einer Verbindung mit Sauerstoff (H2O, im Volksmund „Wasser“ genannt). Wenn H2- und O2-Moleküle aufeinandertreffen und man ein wenig Energie hinzuführt, dann reagieren sie unter einem lauten Knall – dieses Gasgemisch heißt zu Recht Knallgas – zu Wasser. Wasserstoff-Verbrennungsmotoren nutzen diesen Knall zum Antrieb eines Fahrzeugs.

Absurde Stromerzeugung mit Wasserstoff

Statt die dabei entstehende Energie in dem Knall einfach verpuffen zu lassen, kann man sie auch zur Stromerzeugung nutzen. Genau das passiert in einer Brennstoffzelle, die in Wasserstoff-Autos mit Elektromotor verbaut wird. Die meisten Wasserstoff-Autos arbeiten mit dieser Technologie.

Das Problem ist dabei folgendes: Um in der Brennstoffzelle die Energie einer Reaktion von Wasserstoff- und Sauerstoff-Molekülen nutzbar zu machen, muss man die Knallgasreaktion erst umkehren, um reinen Wasserstoff zu erhalten. Das ist reichlich absurd, und es lohnt sich auch nicht. Die Elektrolyse von Wasser isoliert Wasserstoff und Sauerstoff, aber wie der Name schon sagt, ist dafür eine Zufuhr von elektrischer Energie nötig – und zwar mehr, als man letztlich in einer Brennstoffzelle erzeugen kann. Wenn man erst Wasser in Wasserstoff und dann zurück in Wasser umwandelt, verbraucht man mehr Strom beziehungsweise Energie als man produziert. Der Wirkungsgrad der gesamten Operation beträgt rund 60 Prozent. Wozu soll das gut sein? Vorne steckt man Strom rein und hinten kommt nur noch etwas mehr als die Hälfte zurück. Und tatsächlich bekommt man nur ein Drittel der investierten Energie zurück, weil die technische Umsetzung mit Reibungsverlusten zu kämpfen hat.

Noch absurder wird es, wenn man Wasserstoff und Kohlendioxid zu „E-Fuel“ (vor allem Methanol) vermischt und dieses anstelle von Wasserstoff als Brennstoff für die Brennstoffzelle verwendet, wobei das gesamte Kohlendioxid wieder frei wird. Das ist zwar CO2-neutral, senkt aber die Energie-Effizienz der gesamten Kette auf rund zehn Prozent. Warum sollte man das überhaupt machen? Wasserstoff zu speichern – ob als Gas unter hohem Druck oder tiefgekühlt als Flüssigkeit –, ist ein schwieriges Unterfangen. Ein Teil davon wird immer entweichen und läuft Gefahr, mit Luft vermischt ein hochexplosives Knallgas zu bilden. Das Zwischenprodukt Methanol ist dagegen schon bei normalen Temperaturen flüssig (also sehr viel einfacher zu transportieren) und lässt sich immerhin ohne externe Energiezufuhr herstellen, weil die Reaktion exotherm ist.

Auf dem Weg von der Solaranlage zu den Rädern auf der Straße gehen bei Brennstoffzellen-Antrieben 70 bis 90 Prozent der erzeugten „grünen“ Energie verloren. Zum Vergleich: Elektroautos kommen auf einen Wirkungsgrad von circa 70 Prozent, hier geht also nur rund 30 Prozent der Leistung flöten.

Alternativ könnte man Wasserstoff auch aus fossilen Rohstoffen gewinnen, etwa beim „Verkoken“ von Steinkohle oder durch die „Dampfreformierung“ von Erdgas – letztere Methode macht heute immer noch mehr als die Hälfte der Wasserstoff-Herstellung aus. Weil dabei aber Kohlendioxid emittiert wird, ist diese Beschaffungsquelle im Rahmen einer „grünen“, CO2-neutralen, nachhaltigen Energieversorgung keine ernstzunehmende Option.

Wasserstoff hat eine sehr hohe Energiedichte (mehr als dreimal so hoch wie Benzin), die man aber leider nur unter großem Aufwand anzapfen kann. Prinzipiell wäre Wasserstoff der sehnlichst gesuchte Energiespeicher, ist aber leider in der Realität aufgrund des desaströsen Wirkungsgrads ein sehr schlechter, sehr ineffizienter Speicher. Die Schwierigkeiten, die mit Transport, Lagerung und Tanken von komprimiertem Wasserstoff verbunden sind, wurden hierbei noch gar nicht berücksichtigt. Ebenso wenig das Sicherheits-Problem in den Fahrzeugen selbst, denn jedes Fahrzeug mit Wasserstoff-Tank ist durch die drohende explosive Knallgasreaktion potenziell eine fahrende Bombe. Wasserstoff-Autos sind außerdem im Herstellungsprozess viel komplexer und teurer als Elektroautos.

Lesen Sie nächstes Wochenende den zweiten Teil der großen Analyse von Jakob Schmidt:

  • Warum die Energieversorgung mit Wasserstoff eine Schnapsidee ist
  • Wie der Fokus auf Wasserstoff einen gewaltigen Ausbau an Windkrafträdern erforderlich machen würde
  • Wer vom Wasserstoff-Hype profitiert - und wer den Zahlmeister abgeben wird

Zum Autor:

Jakob Schmidt ist studierter Volkswirt und schreibt vor allem über Wirtschaft, Finanzen, Geldanlage und Edelmetalle.


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