Grüner Wasserstoff, erzeugt mit Strom aus erneuerbaren Quellen wie Solar- und Windkraft, soll einen entscheidenden Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel leisten. Deutschland setzt, genau wie etwa China, Russland und die USA auf Wasserstoff als wichtigen Energieträger des 21. Jahrhunderts. Wasserstoff soll regenerative Energie speichern und transportabel machen. Der verarbeitenden Industrie könne das vermeintliche „Öl des 21. Jahrhunderts“ dabei helfen, ihre CO2-Emissionen zu senken, so die Hoffnung.
Der Markt soll entsprechend gewaltige Ausmaße annehmen. Für das Jahr 2030 wird das Marktvolumen der Wasserstoff-Industrie – also Wasserstoffproduktion inklusive Zulieferindustrie – auf weit über 100 Milliarden Dollar geschätzt. Wobei das größte Abnahme-Potenzial im Mobilitätsbereich bestehen soll. Die ersten modernen, mit Brennstoffzellen betriebenen Fahrzeuge (vorwiegend LKWs und Busse) sowie Schiffe gibt es bereits.
Nicht jede erzeugte Wasserstoff-Menge ist „grün“, aber politisch dürfte vor allem dieser Bereich gefördert werden. Allein Deutschland will die Branche in den kommenden Jahren mit rund sieben Milliarden Euro unterstützen. Große Konzerne positionieren sich schon. Der Industriegas-Hersteller „Linde“ baut derzeit die weltweit größte mit Erneuerbaren Energiequellen gespeiste Elektrolyse-Anlage – mit dem Ziel, hiermit zum Weltmarktführer im Bereich „grüner Wasserstoff“ aufzusteigen.
Das Projekt ist ein Joint Venture mit „ITM Power“, einem britischen Elektrolyse-Spezialisten. Andere Mitbewerber sind die ebenfalls auf Wasserstoff-Herstellung spezialisierten „Nel Asa“ (Norwegen) und „Sunhydrogen“ (USA). In der Produktion von Brennstoffzellen sind „Ballard Power Systems“ (Kanada) und „Plug Power“ (USA) führend.
Beeindruckende Börsengeschichten trotz mahnender Skeptiker
An der obigen Schätzung zur Marktgröße sind allerdings erhebliche Zweifel angebracht. Brennstoffzellen-Antriebe dürften aufgrund des miserablen Wirkungsgrads der gesamten Energiekette vor allem im PKW-Markt Schwierigkeiten haben, sich gegenüber herkömmlichen rein Batterie-betriebenen Elektromotoren zu behaupten. Elektroautos haben einen energetischen Wirkungsgrad von circa 70 Prozent. Auf Brennstoffzellen setzende Fahrzeuge oder Schiffe liegen je nach Brennstoff (statt Wasserstoff kann man auch sogenannte „E-Fuels“ wie Methanol verwenden, die bei einer Reaktion von Wasserstoff mit Kohlendioxid entstehen und sich einfacher transportieren lassen) nur bei 10 bis 30 Prozent. Auf dem Weg von der Solaranlage über die Elektrolyse von Wasser zur Isolierung von Wasserstoff und anschließende Stromerzeugung in der Brennstoffzelle und dann endlich über den Elektromotor hin zu den Rädern auf der Straße, gehen 70 bis 90 Prozent der erzeugten „grünen“ Energie verloren. Außerdem sind Wasserstoff-Autos in der Herstellung sehr viel komplexer. Das heißt: Produktion und Betrieb solcher Fahrzeuge sind Stand heute deutlich teurer als andere Optionen.
Die meisten Anleger schien das lange Zeit nicht zu kümmern. Die Zukunftserwartungen an die Technologie waren zeitweise erstaunlich hoch, wie man anhand der Kursentwicklung der führenden Hersteller von grünem Wasserstoff sowie von Brennstoffzellen erkennen kann. Auch jetzt noch strömen Wasserstoff-Unternehmungen an die Börse und erzählen so manche beeindruckende Wachstumsgeschichte – in Bezug auf die Marktkapitalisierung, versteht sich. Nicht so sehr jedoch, was die Gewinne angeht. Auch jetzt noch erwirtschaften etliche Wasserstoff-Firmen hohe Verluste, das gilt insbesondere für spezialisierte Hersteller von grünem Wasserstoff und Brennstoffzellen sowie Produzenten von Fahrzeugen, Schiffen und Flugzeugen mit Brennstoffzellen-Antrieb. Keiner kann garantieren, dass sich die Brennstoffzellen-Technologie wirklich durchsetzt.
Erst Anfang dieses Jahres purzelten die Kurse teilweise um bis zu 50 Prozent. Wahrscheinlich handelt es sich hier um eine normale Korrekturbewegung und nicht um eine plötzlich einsetzende Wasserstoff-Skepsis. Es lässt jedoch zumindest die Spekulation zu, dass mittlerweile nicht mehr alles, was mit Wasserstoff zu tun hat, durch die Decke gehen wird. Vielleicht ist der Markt gegenüber der Brennstoffzellen-Technologie ja doch skeptischer, als mancher glaubt.
Andererseits sind die Small-Caps (börsennotierte Unternehmen mit einer Marktkapitalisierung unter einer Milliarde Dollar) im Wasserstoff-Bereich nach der Korrektur schon wieder im Höhenflug. Wie es sich für einen Hype gehört, profitieren auch beziehungsweise ganz besonders die Aktien kleinerer, meistens unprofitabler Branchenvertreter von der Euphorie-Welle. Ein gutes Beispiel hierfür ist der Brennstoffzellen-Produzent „SFC Energy“ mit Sitz in Deutschland.
Im letzten Jahr sprachen einige Experten von überteuerten Aktien und einer Blasenbildung im Wasserstoff-Sektor. Kein Wunder, wenn das Kurs-Umsatz-Verhältnis von Branchen-Größen wie "Ballard Power" zwischenzeitlich bei um die 100 liegt. Es ist gut möglich, dass wir schon sehr bald ähnliche oder sogar noch höhere Bewertungs-Niveaus erreichen werden. Sollten sich die Prognosen bezüglich Brennstoffzellen-Antrieben als eine der Schlüssel-Technologien der Zukunft jedoch als falsch herausstellen, dürften die Kurse langfristig weiter fallen. Da würde dann nur noch eine technische Weiterentwicklung helfen, mit deren Hilfe Wasserstoff um ein Vielfaches effizienter eingesetzt werden kann.
Nikola: Das „Tesla für Lastwagen“ - oder nur eine Mode-Erscheinung?
Schon heute kann man begutachten, wie ein solcher Kurssturz aussehen könnte. Einige spezialisierte Abnehmer von Brennstoffzellen schwächelten zuletzt nämlich merklich an der Börse. Ein prominentes Beispiel: Die amerikanische „Nikola Corporation“ entwickelt Wasserstoff-, Elektro- und Hybrid-Fahrzeuge (letztere enthalten sowohl Brennstoffzelle als auch Batterie) im Lastkraftwagen-Segment. Angesichts der großen Versprechungen konnte man eine Weile lang denken, dass es sich hier um so etwas wie das „Tesla für Lastwagen“ handelte. Kurz nach der Listung hatte Nikola stellenweise einen Börsenwert von circa 30 Milliarden Dollar. Immerhin ein Drittel des Weltkonzerns Daimler (aktuell rund 90 Milliarden Dollar) und 20 Prozent des zweitgrößten Autobauers der Welt, VW (aktuell rund 150 Milliarden Dollar). Statt senkrecht gen Himmel, zeigt der Chartverlauf seitdem aber vielmehr steil nach unten.
Die zum Jahreswechsel einsetzende Kurs-Korrektur im Wasserstoff-Sektor war dabei mit Sicherheit nicht hilfreich. Allerdings hatte Nikola schon vorher mit einem Marketing-Skandal und einer Attacke durch Leerverkäufer zu kämpfen, was vermutlich der Hauptgrund für den drastischen Einbruch war.
Nikolas Börsenhistorie ist noch sehr kurz. Selbstverständlich sollte man das bei der Analyse im Hinterkopf behalten und den Kurseinbruch nicht überbewerten. Wasserstoff-Aktien schwanken eben auch enorm. An einem Handelstag können die Kurse um deutlich mehr als zehn Prozent steigen oder fallen. Von 2018 bis 2020 waren Kurssteigerungen über 1.000 Prozent möglich, in den letzten Monate waren Kursstürze um 30 Prozent in einem Monat keine Seltenheit.
Wasserstoff kann man nicht einfach kaufen
Wem das als Anleger zu turbulent ist, der kann auf Indizes oder ETFs setzen, in denen viele Unternehmen des Sektors abgebildet werden, und damit zumindest das Einzelrisiko eliminieren. Tatsächlich kaufen kann man Wasserstoff an der Börse dagegen (noch) nicht. Zumindest findet in London unter Federführung der Ratingagentur „Standard & Poors“ schon eine Art Preisfixing statt, und die Europäische Energiebörse (EEX) zieht die Auflage von Terminkontrakten (Futures) auf Wasserstoff in Betracht.