Politik

EU baut neuartigen Schutzschirm gegen Sanktionen anderer Staaten auf

Mehrere europäische Institutionen arbeiten an einem umfassenden Rechtsrahmen, um europäische Unternehmen künftig besser gegen Strafmaßnahmen anderer Staaten verteidigen zu können.
08.07.2021 10:02
Lesezeit: 2 min
EU baut neuartigen Schutzschirm gegen Sanktionen anderer Staaten auf
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. (Foto: dpa) Foto: Francisco Seco

In Europa arbeiten mehrere Institutionen derzeit an einem neuartigen Rechtsrahmen, um europäische Unternehmen künftig von Strafmaßnahmen anderer Staaten abzuschirmen - beziehungsweise diese abzumildern und eventuell Gegenmaßnahmen ergreifen zu können.

Wie das Portal German Foreign Policy berichtet, hat der in Berlin angesiedelte European Council on Foreign Relations (ECFR) bereits wichtige Vorarbeiten in dieser Richtung geleistet. An einer vom ECFR eingesetzten „Task Force“ sollen neben den Experten des ECFR auch Parlamentarier, Ministerialbeamte und Wirtschaftsvertreter aus den EU-Staaten Deutschland, Frankreich, Spanien, den Niederlanden, Schweden und Tschechien teilnehmen.

Die EU-Kommission hat die Vorarbeiten des ECFR offensichtlich aufgenommen und bereitet auf deren Grundlage weitere, konkretere Schritte vor. So kündigten EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und ihr Stellvertreter Maroš Šefčovič im September des vergangenen Jahres ein „Instrument“ an, welches künftig „Zwangsmaßnahmen von Drittstaaten abschreckt und ihnen entgegenwirkt“. Ende März des laufenden Jahres startete Brüssel dann einen Konsultationsprozess mit der Wirtschaft, dessen Frist am 15. Juni abgelaufen ist. Eine ensprechende Gesetzesvorlage für ein „Anti-Zwangsmaßnahmen-Gesetz“ wird wahrscheinlich im Herbst vorgestellt werden.

ECFR will Zentralstelle für Gegenmaßnahmen

Bemerkenswert ist, dass der ECFR in seinen Überlegungen noch weitergeht und neben der Schaffung des „Anti-Sanktionsgesetzes“ den Aufbau einer Zentralstelle für europaweite wirtschaftliche Sanktionsmaßnahmen propagiert. Die Aufgaben eines solchen „EU Resilience Office“ bestünden demnach in der Analyse von Sanktionen anderer Staaten und der Formulierung von Handlungsempfehlungen, welche dann der Kommission und dem Europäischen Rat der nationalen Regierungen vorgelegt würden.

Da die Verhängung direkter Sanktionen gegen fremde Entitäten gegenwärtig die Zustimmung aller EU-Mitgliedsstaaten erfordert, zielt der Vorschlag des ECFR zur Gründung des „Resilience Office“ auf die Verhängung nicht-offizieller beziehungsweise indirekter Maßnahmen ab, um auf Vorstöße von außen flexibel reagieren zu können. Bei diesen flexiblen Handlungsoptionen könnte es sich beispielsweise um „Investitionsbeschränkungen, Strafzölle, Einschränkungen beim Zugang zum öffentlichen Beschaffungsmarkt in der EU sowie Exportkontrollen“ handeln, listet German Foreign Policy die diskutierten Möglichkeiten auf.

Unklar bleibt, ob nicht auch diese indirekten Maßnahmen letztendlich von der aktiven Unterstützung der verschiedenen Mitgliedsländer der EU und ihren vielfältigen nationalen Eigeninteressen abhängig sein werden.

Geopolitische Hintergründe

Angestoßen wurden die Bemühungen des ECFR beziehungsweise der Kommission von den in der Auseinandersetzung mit Sanktionen anderer Staaten gesammelten Erfahrungen der vergangenen Jahre. Insbesondere im Umgang mit der US-Regierung wurde dabei offensichtlich, dass europäische Unternehmen Sanktionen aus Washington nahezu schutzlos ausgeliefert sind.

Das offensichtlichste Beispiel dieser Hilflosigkeit ist das von mehreren EU-Staaten und Großbritannien aufgebaute Instex-Instrument. Dieses sollte nach dem unilateralen Ausstieg der US-Regierung aus dem Iran-Abkommen und der anschließenden Verhängung weitreichender Sanktionen eigentlich garantieren, dass europäische Unternehmen ihre im Rahmen des Atom-Abkommens erlaubten Geschäfte mit iranischen Partnern fortführen können, was angesichts der Dominanz des Dollars im internationalen Handelsgeschehen und des darüber laufenden Zugriffs der US-Justiz aber nie wirklich realisiert werden konnte.

Zuletzt zeigten die gegen das Pipeline-Projekt Nord Stream 2 verhängten US-Sanktionen die Verwundbarkeit europäischer Unternehmen gegen geopolitisch motivierte Strafen aus Washington auf. Der Bundesverband der Deutschen Industrie unterstützt deshalb auch das Projekt eines europäischen „Anti-Sanktionsgesetzes“, weil damit der zunehmdenden Politisierung von Wirtschaftssanktionen im geopolitsichen Gerangel der USA mit China entgegengewirkt werden könne.

Aufgeschreckt wurden die Europäer zudem von der Verabschiedung zweier chinesischer Anti-Sanktionsgesetze. Diess untersagen es ausländischen Firmen mit Sitz in China, an Sanktionsmechanismen ausländischer Akteure gegen chinesische Entitäten teilzunehmen - womit europäische Unternehmen in China faktisch in den amerikanisch-chinesischen Machtkampf hineingezogen werden und nur verlieren können, ganz gleich, wie sie im Fall einer Verhängung amerikanischer Sanktionen gegen China reagieren.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Finanzen
Finanzen Halbleiter-Aktien: Wie die ASML-Aktie zur europäischen Macht im Chipsektor wird
08.12.2025

Die US-Großbank Bank of America setzt in Europa auf einen Chipkonzern, der in einem neuen Wachstumszyklus steckt und die Branche unter...

DWN
Politik
Politik EU-Staaten beschließen schärfere Migrationspolitik
08.12.2025

Die EU zieht die Zügel in der Migrationspolitik an: Abschiebungen sollen leichter, Verteilung verpflichtender werden. Doch neue Regeln zu...

DWN
Politik
Politik Russland tobt nach Interview mit ehemaligen NATO-General Rob Bauer
08.12.2025

Ein explosiver Schlagabtausch zwischen Russland und einem früheren NATO-Spitzenoffizier schürt neue Ängste vor einer Eskalation. Moskau...

DWN
Politik
Politik EU-Kommission: Vorschläge zum Verbrenner-Aus nächste Woche
08.12.2025

Die EU-Kommission legt am 16.12. neue Vorschläge zum Verbrenner-Aus vor. Nach wachsender Kritik aus Industrie, Politik und Bevölkerung...

DWN
Finanzen
Finanzen Confluent-Aktie auf Höhenflug: IBM will Dateninfrastruktur-Spezialisten Confluent kaufen
08.12.2025

Ein Mega-Deal rückt die Confluent-Aktie schlagartig ins Rampenlicht: IBM bietet Milliarden für den Datenstreaming-Spezialisten Confluent....

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft VDA rechnet 2026 mit rund 693.000 neuen E-Autos
08.12.2025

Deutschlands Autokäufer stehen vor einem elektrischen Wendepunkt: Verbände prognostizieren deutliche Zuwächse bei Elektroautos und...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Machtwechsel im Arbeitsmarkt 2025: Arbeitgeber geben wieder den Ton an
08.12.2025

Der Wind am Arbeitsmarkt 2025 dreht sich offenbar: Nach Jahren der Bewerbermacht gewinnen Unternehmen wieder Spielraum. Jan-Niklas Hustedt,...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Insolvenzzahlen 2025: Warum Firmenpleiten weiter steigen
08.12.2025

Deutschlands Insolvenzzahlen klettern auf den höchsten Stand seit Jahren. Besonders Mittelstand, Handel und Autozulieferer geraten unter...