Deutschland

Gerd Müller gestorben: Im Strafraum fand Deutschlands größter Stürmer Geborgenheit

Gerd Müller ist tot. DWN-Chefredakteur Hauke Rudolph erinnert an den "Bomber der Nation" - der nur im Strafraum Selbstsicherheit und Geborgenheit fand.
15.08.2021 17:04
Lesezeit: 2 min

Gerd Müller ist tot. Der größte deutsche Stürmer starb im Alter von 75 Jahren nach langjähriger Demenz-Erkrankung in einem Pflegeheim bei München.

Der 1945 im bayerischen Nördlingen in äußerst bescheidenen Verhältnissen geborene Müller gilt auch international als einer der besten, vielleicht als der beste Stürmer aller Zeiten. In 427 Bundesliga-Partien erzielte er für seinen Club Bayern München 365 Tore, für die Nationalmannschaft in 62 Länderspielen 68 Treffer. Als seine Spezialität galt die Antizipation: Müller wusste, wohin der Ball kommen würde, und musste das Leder häufig nur noch über die Linie drücken; in der Regel natürlich mit dem Fuß oder dem Kopf, häufig aber auch mit anderen Körperteilen, zur Not auch mit dem Hintern. „Müllern“, so heißt diese Art des Toreschießens bis heute.

Der gelernte Weber gehörte jener in der Nachkriegszeit geborenen Generation an, die das Fußballspielen noch auf der Straße lernte. Aus Spielern dieser Generation setzen sich in den 70er Jahren die besten deutschen Mannschaften der Geschichte zusammen: Die EM-Elf von 1972, das WM-Team von 1974 und der FC Bayern München, der von 1974 bis 1976 dreimal hintereinander den Europapokal der Landesmeister (heute Champions League) gewann.

Nachrufe fallen so gut wie immer positiv aus, natürlich auch dieser. Es wäre aber auch schwer, dem „Bomber der Nation“, wie er bis heute genannt wird, irgendwelche Vorwürfe zu machen. Im Sportlichen sowie nicht, höchstens, dass er von insgesamt 84 Elfmetern immerhin 14 verschoss. Und im Persönlichen? Müller war die personifizierte Bescheidenheit. Ein Star – das wollte er, das konnte er nicht sein. Im Gegenteil: Er war konfliktscheu, sein Selbstvertrauen hielt sich - außerhalb des 16ers - in Grenzen. Andere Spieler, mit denen er beim FC Bayern und in der Nationalmannschaft kickte, waren von anderem Kaliber: Franz Beckenbauer, die weltgewandte „Lichtgestalt“ des deutschen Fußballs; Uli Hoeneß, der aus dem FC Bayern ein höchst profitträchtiges Unternehmen formte und wegen Steuerhinterziehung im Gefängnis saß; Paul Breitner, der als rebellischer Jungprofit Mao las und sich später mit nicht aufhörenden Schmähungen sogar um den Platz auf der Ehrentribüne der Bayern brachte. Nicht so Müller: Er trank lieber im Hintergrund sein Weißbier – und erzählte die Geschichte, wie er als 18-Jähriger beim 4:1-Sieg im Betriebsfußball alle vier Treffer erzielte.

Vielleicht – und das ist die Tragik im Leben des Gerd Müllers – waren es gerade seine charakterlichen Stärken, nämlich Zurückhaltung und Bescheidenheit, die dazu führten, dass es für ihn nach der Profi-Laufbahn nicht mehr so richtig lief im Leben. Alle sahen in ihm den genialen Torjäger und Weltstar – er selbst sah sich eher als Strafraumarbeiter: „Dann macht es bumm“. Das Steak-Restaurant, das er in seiner kurzzeitigen Wahlheimat Florida eröffnete (eigentlich wären schon Stuttgart oder Frankfurt für ihn zu weit von der Heimat gewesen), lief nicht so recht, zurück in Deutschland verfiel der einstige Torjäger dem Alkohol. Es war das große Verdienst seiner einstigen Mannschaftskameraden Beckenbauer und Hoeneß, den tief Gefallenen, dessen Toren sie so viel zu verdanken hatten, in den Entzug zu bringen und anschließend einen Job beim FC Bayern zu geben. Nicht etwa bei der Bundesliga-Mannschaft, nein, im Nachwuchs-Bereich. Aber der einstige Weltklasse-Mann war sich dafür nicht zu schade, im Gegenteil, er war dankbar. Typisch Gerd Müller eben.

Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte Müller in einem Pflegeheim: Demenz. Nichts mehr von der Explosivität, vom blitzschnellen Antritt, dem selbst die allerbesten Abwehrspieler der Welt nicht gewachsen waren. Nein, der einstige König des Strafraums dämmerte leise vor sich hin, dem Tod entgegen.

Unsere heutige Medienwelt ist schnelllebig. Sie vergisst rasch. Viele der Verantwortlichen sind zu jung, um sich an das Stürmergenie zu erinnern. Wahrscheinlich kennen sie seinen Namen noch. Aber um die ganz große Aufmerksamkeit zu bekommen, liegen Müllers Tore und Triumphe schon zu lange zurück.

Das Medienecho wird sich also in Grenzen halten. Gerd Müller wäre das nur Recht gewesen.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Technologie
Technologie Arbeitsplatz 2030: Wie KI Bürojobs neu definiert
09.12.2025

Roboter übernehmen nicht mehr nur Fließbänder, sondern auch Schreibtische. Die künstliche Intelligenz dringt tief in den Büroalltag...

DWN
Finanzen
Finanzen Halbleiter-Aktien: Wie die ASML-Aktie zur europäischen Macht im Chipsektor wird
08.12.2025

Die US-Großbank Bank of America setzt in Europa auf einen Chipkonzern, der in einem neuen Wachstumszyklus steckt und die Branche unter...

DWN
Politik
Politik EU-Staaten beschließen schärfere Migrationspolitik
08.12.2025

Die EU zieht die Zügel in der Migrationspolitik an: Abschiebungen sollen leichter, Verteilung verpflichtender werden. Doch neue Regeln zu...

DWN
Politik
Politik Russland tobt nach Interview mit ehemaligen NATO-General Rob Bauer
08.12.2025

Ein explosiver Schlagabtausch zwischen Russland und einem früheren NATO-Spitzenoffizier schürt neue Ängste vor einer Eskalation. Moskau...

DWN
Politik
Politik EU-Kommission: Vorschläge zum Verbrenner-Aus nächste Woche
08.12.2025

Die EU-Kommission legt am 16.12. neue Vorschläge zum Verbrenner-Aus vor. Nach wachsender Kritik aus Industrie, Politik und Bevölkerung...

DWN
Finanzen
Finanzen Confluent-Aktie auf Höhenflug: IBM will Dateninfrastruktur-Spezialisten Confluent kaufen
08.12.2025

Ein Mega-Deal rückt die Confluent-Aktie schlagartig ins Rampenlicht: IBM bietet Milliarden für den Datenstreaming-Spezialisten Confluent....

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft VDA rechnet 2026 mit rund 693.000 neuen E-Autos
08.12.2025

Deutschlands Autokäufer stehen vor einem elektrischen Wendepunkt: Verbände prognostizieren deutliche Zuwächse bei Elektroautos und...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Machtwechsel im Arbeitsmarkt 2025: Arbeitgeber geben wieder den Ton an
08.12.2025

Der Wind am Arbeitsmarkt 2025 dreht sich offenbar: Nach Jahren der Bewerbermacht gewinnen Unternehmen wieder Spielraum. Jan-Niklas Hustedt,...