Weltwirtschaft

Riskantes Experiment IAA: Eine Automesse, die keine mehr sein will

Lesezeit: 6 min
06.09.2021 09:00
Angestoßen vom „Steve Jobs-Effekt“ will die Automesse IAA keine Automesse mehr sein. Ein riskantes Experiment, denn das Auto erlebt derzeit eine Renaissance, schreibt der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer.
Riskantes Experiment IAA: Eine Automesse, die keine mehr sein will
Hildegard Müller, Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie (VDA), und Klaus Dittrich, Vorsitzender der Geschäftsführung Messe München, stellen während einer Pressekonferenz das Konzept für die Meesse IAA Mobility vor. Die IAA Mobility 2021 soll vom 07.-12.09.2021 in München stattfinden. (Foto: dpa)
Foto: Sven Hoppe

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Klassische Automessen tun sich schwer. Das galt zuletzt auch für die IAA in Frankfurt. Die einzige Automesse, die wirklich funktioniert und die auch für Tesla ein „must“ ist, ist die China Auto, die jährlich im Wechsel zwischen Beijing und Shanghai stattfindet. In China sind Automessen Erfolgsträger. Im Rest der Welt haben die Battery Days, die Power Days, die New Autos, die EV Days, Electric Only Präsentationen der Autobauer den klassischen Automessen viel weggenommen. Auslöser der neuen Art, Produkte in völlig neuen Format abseits von Messen vorzustellen, war Steve Jobs. Die iPhone Präsentation „Next Big Thing“ von Steve Jobs im Jahre 2007 leitete eine Entwicklung ein, die das Ende einer ganzen Reihe von klassischen, bisher überwiegend regionalen Automessen mit sich brachte. Strategiepräsentationen und schillernden Modellvorstellungen sind mittlerweile zu den Autobauern gewandert… bis auf die China-Auto.

Deshalb gestaltet der Verband der Autobauer (VDA) seine Internationale Auto Ausstellung (IAA) neu, als IAA mobility. Im neuen Format spielen das Auto und die Autobauer nicht mehr die Hauptrolle. Vielleicht ist das einer der Gründe, warum sich bis auf Hyundai, Renault-Dacia und ein paar junge Chinesen fast nur deutsche Autobauer auf der neuen IAA tummeln und die großen internationalen Marken fehlen. Selbst die VW-Töchter Seat und Skoda machen sich ra. Wenn Autos nicht die Hauptrolle einnehmen, stellt sich für Toyota, Tesla, Alfa Romeo, Citroen, Ferrari, Fiat, Opel, Peugeot und viele andere die Frage, warum sie als internationale Autobauer auftreten sollten. Auto-Shows müssen sich für die Autobauer rechnen. Gute Laune auf den Ständen reicht nicht aus. Messeausgaben sind Marketingkosten, die mit Online-Auftritten, klassischer Werbung, eigenen Power Days und anderen Events im Wettbewerb stehen. In „gemessener“ Wirkung muss überzeugt werden, sonst fallen sie durch das Controlling-Raster. Damit ist das Fernbleiben vieler Autobauer bei der IAA 2021 auch eine Antwort auf die mutmaßliche Effektivität des Events für die Marken.

Insgesamt scheint die IAA als eine Art Volksfest mit Diskussionsbühnen und angeschlossener Messe geplant zu sein. Fahrräder, Start-ups, Kids Worlds, Fitness Arena, Oldtimer - eine bunte Melange statt klarer Fokussierung. Wird damit die Messe, die keine mehr sein will, zu sehr verwässert? Könnten die angekündigten Protestaktionen der Autogegner und die Corona-Delta-Welle zusätzlich die IAA-Volksfestlaune trüben? Das Experiment IAA birgt Risiken.

Die Renaissance des Autos: Reisemobile und steigender Pkw-Bestand

Während sich die IAA eher vom Auto entfernt erlebt das Auto eine Renaissance. Mit der Pandemie hat „Virensicherheit“ einen neuen Bedeutungsinhalt erhalten. Öffentliche Verkehrsträger tun sich schwer und das dürfte auch in der Zukunft der Fall sein, da alle Virologen betonen, dass wir langfristig mit dem Virus leben müssen.

Corona hat die Welt verändert und damit auch die Mobilität. Individuelle Verkehrsmittel, wie E-Scooter, das Rad oder Auto gewinnen Bedeutung. Mobility konzentriert sich wieder stärker auf „individual mobility“ und das gibt dem Auto einen neuen Inhalt. Eindrucksvoll zeigen das die Verkaufszahlen der Reisemobile. Im Jahr 2020 wurden 78.000 neue Reisemobile in Deutschland verkauft, deutlich mehr als jemals zuvor. Ein Plus von 45% gegenüber dem Vorjahr. Im ersten Halbjahr 2021 steigerte sich der Reisemobilverkauf auf rund 45.800 Fahrzeuge, ein Plus von nochmals 22% gegenüber dem Rekordjahr 2020. Die Branche ist „ausverkauft“, die Kunden stehen Schlange. Bei der IAA scheint das Reisemobil wenig sichtbar zu sein, obgleich es die Renaissance des Autos eindrucksvoll mit Fakten belegt. Ein Fehler?

Pkw-Bestand in vier Monaten um 83.000 gestiegen

Eindrucksvoll kann man die Renaissance des Autos auch an der Zahl der Autos auf deutschen Straßen sehen. Anfang April 2021 waren 48,3 Millionen Pkw in Deutschland zugelassen, 83.000 Pkw mehr als noch im Januar. In allen Bundesländern stieg der Pkw-Bestand. Die Deutschen schätzen das Auto und das seit langer Zeit, wie die Zeitreihe in Abb. 1 zeigt. Wenn dem so ist, stellt sich die Frage, ob es nicht besser sein könnte, neue Messe-Formate mit klarem Fokus auf das Auto anzubieten. Es gibt sie, die boomenden Messe-Formate, wie etwa bei der offline Gamescom in Köln oder den Freizeitmessen mit Caravans, Reisemobilen und Booten.

Automarkt in Zeiten der IAA – Schlange stehen für Autos

Spannend ist das industrielle Umfeld der IAA. Die Autobauer könnten in diesem Jahr nach unseren Einschätzungen 5,2 Millionen Neuwagen weltweit mehr verkaufen, wenn die Halbleiterkrise nicht wäre. Zwar schwächt sich der Chip-Engpass im Jahr 2022 ab, aber eben nicht auf null. Im ersten Halbjahr dieses Jahres wurden die Autobauer weltweit mit blendenden Gewinnen verwöhnt. Das wird sich im zweiten Halbjahr relativieren. Auf der einen Seite ist die Chip-Knappheit, die sich deutlich stärker im zweiten Halbjahr in den Bilanzen der Autobauer und Zulieferer niederschlagen wird, zum zweiten die schwächelnde Konjunktur und der schwierigere Automarkt in China. China ist die Lokomotive des weltweiten Autogeschäfts und diese Lokomotive hat in den letzten drei Monaten deutlich an Schub verloren. Das zeigt Abb. 2. Und auch in den kommenden Monaten muss man mit eher rückläufigen Verkaufszahlen in China rechnen. Die ersten drei Monate in China sind kaum mit dem Vorjahr vergleichbar, weil im Jahr 2020 China in den ersten Monaten des Jahres mit großen Lockdowns aufgrund der Pandemie konfrontiert war.

In den ersten sieben Monaten des Jahres 2021 lagen zwar die Autoverkäufe in China insgesamt noch 21% über dem Vorjahr, aber der Vorsprung schrumpft in den kommenden Monaten. Übers Jahre zeigt Abb. 3, dass wir in China noch mit einem Wachstum von 8% des Automarkts auf 21,3 Millionen Pkw-Verkäufen ausgehen. Damit liegt der chinesische Automarkt zwar auch über den Werten des Jahres 2019, aber von seinen Rekordwert von 24,2 Millionen Verkäufen im Jahr 2017 ist der Markt noch deutlich entfernt. Es geht also Schwung im weltweiten Automarkt verloren. Das zweite Halbjahr wird auch die anderen großen Automärkte einbremsen. Abb. 3 zeigt, dass wir für das Jahr 2021 von einem Wachstum der weltweiten Automärkte von 9,3% ausgehen. Die Chipkrise trifft im zweiten Halbjahr auch USA, Japan, Deutschland und andere größere Märkte.

Der weltweite Automarkt erholt sich, aber mit angezogener Handbremse. Für die Autokäufer bedeutet dies, dass die Neuwagenpreise steigen und Lieferzeiten noch länger werden. Einerseits werden Rabatte zusammengestrichen und zum zweiten die Preislisten neu gedruckt. Der Preislisten-Effekt zeigt damit nicht den gesamten Preisschub, sondern eben nur einen Teil. Brutto ist der Schub durch die Kürzung der Rabatte deutlich höher. Wie der weltweite Automarkt ohne die Halbleiter-Krise aussehen würde zeigt Abb. 4. Statt knapp 75 Millionen Pkw wären nach unseren Analysen 80 Millionen Verkäufe im Jahr 2021 möglich gewesen. Ein seltenes Phänomen beschreibt den Automarkt im IAA Jahr: Autos sind knapp und 5,2 Millionen fehlen. Die Halbleiterkrise wird auch im Jahr 2022 den Autobauern und -Käufer negativ ausstoßen. Zwar beruhigt sich die Lage, aber es bleiben auch im Jahr 2022 nach unserer Analyse weltzweit 2,3 Millionen Pkw „auf der Strecke“ wegen fehlender Halbleiter. Zusätzlich wird die starke Nachfrage nach Elektroautos zu einer Verknappung des Batterie-Zellangebots führen, die 600.000 Fahrzeuge im weltweiten Automarkt auf Kunden warten läßt.

Nach der Chipkrise ab 2024 muss mit einem ansteigenden weltweiten Batterie-Zell-Engpass gerechnet werden. Produktionskapazitäten werden zwar aufgebaut, aber auch hier gibt es wie bei den Halbleitern nicht den „Zauberstab“, der über Nacht die Fabriken aus dem Boden wachsen läßt. Elektroautos werden in den nächsten Jahren durch Skalierungen und Produktinnovationen zwar kostengünstiger werden. Auf die Preise wird das aber weniger Einfluss haben. Die dürften noch einige Jahre hoch bleiben.

Nirgends werden so viele vollelektrische Autos verkauft wie in China

Weltweit gewinnen vollelektrische Pkw im Jahr 2021 weiter deutlich Marktanteile. Im ersten Halbjahr 2021 wurden weltweit 1,7 Millionen batterie-elektrische Pkw-Neuwagen verkauft. Klarer Marktführer mit 55% BEV-Weltmarktanteil und 912.000 verkauften vollelektrischen Neuwagen ist China. Für das Gesamtjahr erwarten wir aufgrund der Halbleiter-Engpässe weltweit 3,3 Millionen BEV-Pkw-Verkäufe. Elektroautos haben einen deutlich höheren Halbleiter-Bedarf wie „normale“ Pkw. Mit erwarteten 1,8 Millionen vollelektrischen Pkw in China im Jahr 2021 wird das Land der Mitte ganz klarer Marktführer bei batterie-elektrischen Neuwagen.

Fazit: Mehr Hauptrolle für das Auto

Spannende Zeiten in der Autoindustrie rund um die neue IAA. Es ist nicht nur die Transformation zum Elektroauto und die Software-Revolution, vor der die Branche steht, sondern es sind Produktionsengpässe, die weniger schön sind. Spannend ist die Neuentdeckung des Autos. Der individuellen Mobilität und damit auch dem Auto wird wieder mehr Bedeutung in unserer Gesellschaft zugesprochen. Natürlich stellt sich damit die Frage, ob es nicht mehr Sinn macht, sich bei Veranstaltungen und neuen Formaten für Messen das Auto stärker in den Fokus zu nehmen. Hüpfburgen, Oldtimer, Fahrräder, Bühnen für Streitgespräche und Präsentationen: Alles schön und gut. Wenn es aber erfolgreich sein soll braucht es die Toyotas & Co und Gründe für Toyota & Co, die von einer Teilnahme überzeugen.


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