Deutschland

Gaspreise auf Höhenflug - den Deutschen droht ein teurer Winter

Die Preise für Erdgas steigen und steigen. Zugleich sind die Speicher hierzulande noch vergleichsweise leer. Was steckt dahinter?
20.09.2021 16:31
Aktualisiert: 20.09.2021 16:31
Lesezeit: 3 min
Gaspreise auf Höhenflug - den Deutschen droht ein teurer Winter
Ein Pipeline-Stück der Erdgaspipeline Eugal wird im Jahr 2019 mit Hilfe von Seitenbaumkränen ins Erdreich verlegt. (Foto: dpa) Foto: Stefan Sauer

Die Großhandelspreise für Erdgas sind seit Monaten auf einem Höhenflug. Vielerorts bekommen die Verbraucher das bereits zu spüren. Nach Angaben der Vergleichsportale Verivox und Check24 haben zahlreiche regionale Gasanbieter Preiserhöhungen für den Herbst angekündigt. Verivox hat ein Plus von durchschnittlich 12,6 Prozent ermittelt, nach Check24-Berechnungen sind es 11,5 Prozent. Für einen Durchschnittshaushalt führe das zu Mehrkosten von 188 Euro beziehungsweise 172 Euro im Jahr.

Erdgas ist momentan der Haupttreiber der stark steigenden Energiepreise, die im August durchschnittlich fast ein Viertel höher waren als ein Jahr zuvor. Der Preis für Erdgas legte um gut 44 Prozent zu, wie das Statistische Bundesamt in seiner Erhebung zu den Erzeugerpreisen am Montag berichtete. An den Spotmärkten, wo Gas kurzfristig gehandelt wird, haben sich die Preise für Erdgas seit Jahresbeginn mehr als verdoppelt.

Experten sehen einen ganzen Strauß von Gründen für den heftigen Preisanstieg. Nach dem Wiederanlaufen der Wirtschaft habe sich die weltweite Nachfrage wieder normalisiert, erläutert Fabian Huneke vom Beratungsunternehmen Energy Brainpool. Das gelte vor allem für Asien. Der dortige Bedarf an Flüssigerdgas (LNG) beeinflusse auf den eng verflochtenen Erdgasmärkten auch das Preisniveau in Europa. Besonders extrem ist die Lage in Großbritannien, wo die Gaspreise seit Jahresbeginn um 250 Prozent gestiegen sind. Die Energiekrise könne noch mehrere Monate dauern, sagte Premierminister Boris Johnson.

Nach dem vergleichsweise kalten Winter 2020/21 sind die Gasspeicher in Europa noch nicht wieder komplett aufgefüllt. In Deutschland sind sie aktuell zu weniger als zwei Drittel gefüllt, wie auf der Datenplattform der Betreiber zu sehen ist. Vor einem Jahr betrug der Füllstand gut 94 Prozent. Auch in den meisten Jahren zuvor waren die Speicher vor Beginn der Heizsaison deutlich besser gefüllt als derzeit.

Die über ganz Deutschland verteilten unterirdischen Speicher gleichen vor allem im Winter Verbrauchsspitzen aus. An kalten Tagen werden bis zu 60 Prozent des Gasverbrauchs in Deutschland aus inländischen Speichern abgedeckt, heißt es beim Branchenverband Initiative Erdgasspeicher. Rund 23 Milliarden Kubikmeter Gas können in den Speichern gelagert werden. Das ist etwa ein Viertel der jährlich in Deutschland verbrauchten Erdgasmenge.

Warum in den Speichern derzeit weniger Gas ist als üblich, lässt sich nicht eindeutig sagen. Ausfälle und Wartungsarbeiten an der Gas-Infrastruktur in Europa hätten zur Folge gehabt, «dass die Gasspeicher nicht so stark wie sonst üblich über den Sommer gefüllt werden konnten», sagt Eren Çam vom Energiewirtschaftlichen Institut an der Universität Köln. Der Essener Energiekonzern RWE verweist zudem auf das Auslaufen der Erdgasproduktion in den Niederlanden.

Auch der derzeit hohe Preis könnte eine Rolle spielen, weil die Unternehmen sich scheuen, zu viel teures Gas vorrätig zu halten. So hätten «die Annahmen des Marktes zur weiteren Entwicklung der Preise dazu geführt, dass in der bisherigen Einspeisesaison weniger Gas eingelagert wurde», sagt ein Sprecher des Düsseldorfer Energiekonzerns Uniper, der über die größte Speicherkapazität in Deutschland verfügt, die derzeit zu etwa 88 Prozent gefüllt ist.

Oliver Krischer, Fraktionsvize der Grünen im Bundestag, hat eine andere Erklärung. «Die Situation bei den leeren Gazprom-Speichern in Deutschland und Europa dürfte bewusst herbeigeführt worden sein», vermutet er. Gazprom betreibt über seine Tochterfirma Astora unter anderem den Speicher im niedersächsischen Rehden, der mit einem Volumen von 4 Milliarden Kubikmetern einer der größten in Europa ist. Zuletzt (18. September) wies die Datenplattform für Rehden einen Füllstand von weniger als 5 Prozent aus. Deutschland rutsche damit «in eine Situation mit Erpressungspotenzial», warnt Krischer mit Blick auf das Genehmigungsverfahren für die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2.

Kreml-Sprecher Dmitri Peskow wies in der vergangenen Woche Vermutungen zurück, dass die Energiegroßmacht Russland irgendetwas mit der derzeitigen Preisrally zu tun habe. Auch Gazprom bestreitet den auch von mehreren Dutzend EU-Abgeordneten geäußerten Verdacht der Marktmanipulation. Die EU erhalte alles, was laut Verträgen vereinbart sei, teilte das Unternehmen der Agentur Interfax zufolge mit. Es werde auch versucht, den zusätzlichen Bedarf zu decken.

Gazprom Germania hält sich bei der Frage nach den Gründen für den weitgehend leeren Speicher Rehden bedeckt. Ein- und Ausspeichermengen erfolgten durch die Kunden, teilte ein Sprecher auf Anfrage mit. «Daher können wir auch nicht prognostizieren, wie die Entwicklung in der Zukunft aussehen wird.» Laut RWE ist Gazprom vertragstreu. «Alle unsere Lieferanten und Handelspartner, darunter Gazprom, erfüllen ihre Lieferverpflichtungen», betonte ein Sprecher.

Droht Deutschland ein Gasmangel im Winter? Krischer hält das für möglich: «Wenn es richtig kalt wird im Februar, wichtige Speicher leer sind und Nord Stream 2 nicht in Betrieb genommen wurde, können regional Engpässe auftreten. Dann bleiben Wohnungen kalt und Gaskraftwerke müssen abgeschaltet werden», befürchtet der Grünen-Politiker.

Auch der Speicher-Branchenverband warnt. «Wenn die Gasspeicher nicht ausreichend befüllt sind, kann es zu Zeiten hoher Nachfrage zu Gas-Versorgungsunterbrechungen kommen», sagt Geschäftsführer Sebastian Bleschke. Zum jetzigen Zeitpunkt bestehe allerdings keine Gefahr einer Versorgungslücke.

Bei den Preisen gibt es für die Verbraucher keine Entwarnung. Ganz im Gegenteil: «Wir erwarten in diesem Herbst eine größere Gaspreiswelle», sagt Verivox-Energieexperte Thorsten Storck. Auch Check24-Geschäftsführer Steffen Suttner rechnet in diesem Winter mit weiteren Gaspreiserhöhungen. Daran sei «nicht zuletzt die steigende CO2-Abgabe schuld». Der CO2-Preis im Verkehr und fürs Heizen beträgt derzeit 25 Euro pro Tonne CO2 und steigt mit dem Jahreswechsel auf 30 Euro. Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) forderte unterdessen, die Einnahmen aus dem CO2-Preis auf Öl und Gas vollständig an die Bürgerinnen und Bürger zurückzuerstatten.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Gold als globale Reservewährung auf dem Vormarsch

Strategische Relevanz nimmt zu und Zentralbanken priorisieren Gold. Der Goldpreis hat in den vergangenen Monaten neue Höchststände...

X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Finanzen
Finanzen Berkshire Hathaway-Aktie: Warren Buffetts Abgang belastet – wie viel Substanz bleibt?
22.06.2025

Berkshire Hathaway verliert nach Buffetts Rückzug an Kurswert. Die Aktie steht unter Druck – und der Markt stellt die Zukunft des...

DWN
Technologie
Technologie Lebensmittel aus dem 3D-Drucker: Revolution am Esstisch und in der Lebensmittelproduktion?
22.06.2025

Gedrucktes Essen statt Herd und Pfanne? Der 3D-Lebensmitteldruck wächst rasant – zwischen nachhaltiger Vision, Gastronomietrend und...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Die Deutschen und ihr Bargeld: Wie sich das Bezahlverhalten entwickelt
22.06.2025

Obwohl die Deutschen nach eigenen Aussagen ihr Bargeld lieben, gewinnt das bargeldlose Bezahlen auch hierzulande an Bedeutung. Das...

DWN
Technologie
Technologie Schwedische Innovation soll Wasserkrise in der Ukraine lösen
21.06.2025

Während Europa über Hilfspakete debattiert, liefern schwedische Firmen sauberes Wasser in eine vom Krieg verwüstete Region. Ist Hightech...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Afrikas Migrationspotenzial: Die globale Ordnung steht vor einer tektonischen Verschiebung
21.06.2025

Afrikas Bevölkerung wächst, während der Westen altert. Millionen gut ausgebildeter Migranten verändern schon heute globale...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Deutschlands stille Stärke: Wie Rechtsstaat und Verwaltung zum unterschätzten Standortvorteil werden
21.06.2025

Als Max Weber 1922 mit seiner Bürokratie-Theorie die Basis für die deutsche Verwaltung legte, galt sie weltweit als innovatives Vorbild....

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Trumps Rückschlag für Elektroautos – kommt das Ende wie vor 100 Jahren?
21.06.2025

Vor 100 Jahren verschwanden Elektroautos wegen politischer Entscheidungen von den Straßen. Heute wiederholt sich die Geschichte: Donald...

DWN
Politik
Politik Wie der Westen seine Werte in der Wüste verrät: Big Tech versteckt die Probleme unter glänzenden Fassaden
21.06.2025

Big Tech hofiert autoritäre Regime vom Golf – im Tausch gegen Milliarden, Macht und Rechenzentren. Doch hinter der glitzernden Fassade...