Wirtschaft

Russland hält Verträge ein: Europas Energiekrise ist hausgemacht

Selbst Angela Merkel hat zugegeben, dass die Erdgas-Knappheit in der EU nicht von Russland verschuldet worden ist. Tatsächlich ist die Krise hausgemacht.
09.10.2021 13:19
Lesezeit: 3 min

Die Rohstoff-Preise sind in diesem Jahr stark angestiegen. Der Bloomberg Commodity Spot Index steht so hoch wie niemals zuvor. Vieles deutet auf eine Stagflation, wo Rohstoffe in der Vergangenheit eine gute Geldanlage darstellten. Sicherlich spielen dabei unterbrochene Produktion und Lieferketten sowie die lockere Geldpolitik eine entscheidende Rolle. Doch dies können nicht die einzigen Gründe sein. Denn vor allem die Energierohstoffe haben sich stark verteuert. Erdgas ist derzeit so teuer wie niemals zuvor.

Die Nachrichtenagenturen berichten von einer sich entwickelnden "Energiekrise", welche die ganze Welt, vor allem aber Europa, fest im Griff hat. Denn die Erdgaspreise sind in den vergangenen Monaten explodiert. Der Brennstoff ist knapp und die Speicher sind nicht so stark gefüllt wie im vergangenen Jahr. Zudem gehen derzeit viele Lieferungen von Flüssiggas (LNG) nach Asien, wo die Gaslieferanten noch höhere Preise als in Europa erzielen können.

Der EU-Gipfel Ende Oktober wird sich mit den explodierenden Gaspreisen befassen. In Brüssel hat man bereits Russland als den Verantwortlichen für die teuren Energiepreise ausgemacht, angeblich gibt es Lieferengpässe bei russischem Erdgas. Doch wie berichtet hat die scheidende Bundeskanzlerin Angela Merkel den russischen Präsidenten Wladimir Putin in diesem Zusammenhang ausdrücklich in Schutz genommen. Interessant ist, wie man die Energiekrise in Russland bewertet, wo man die Vorwürfe nicht auf sich sitzen lassen will.

So sagte Präsident Putin am Dienstag auf einer Sitzung der russischen Regierung, dass die derzeitige "Hysterie und Verwirrung" auf dem europäischen Energiemarkt das Ergebnis einer schlechten Politik in Europa sei. "Denn niemand geht dieses Thema ernsthaft an. Der eine spekuliert über die Probleme des Klimawandels, ein anderer unterschätzt die Bedeutung irgendeines Faktors, und ein weiterer beginnt, die Investitionen in die Bergbauindustrie zu reduzieren."

Zudem sagte Putin, dass Russland seine vertraglichen Verpflichtungen in vollem Umfang erfülle, dass Gazprom, das weltweit größte Erdgasförderunternehmen, seinen Kunden eine Erhöhung der Lieferungen zu keinem Zeitpunkt versagt habe und dass die Gaslieferungen nach Europa vielmehr ein neues Rekordhoch erreichen könnten. Dies würde bedeuten, dass die aktuelle Erdgaskrise in Europa hausgemacht ist, also eine Folge der europäischen Wirtschafts- und Energiepolitik.

Die Europäische Union hat sich in den letzten Jahren bemüht, den Gashandel auf den Spotmarkt zu verlagern, während Russland stets langfristige Verträge mit einer Laufzeit von oft bis zu 25 Jahren bevorzugt hat. Putin hat die mangelnde Bereitschaft der EU, längere Verträge abzuschließen, als Grund für die steigenden Preise genannt. Merkel räumte indirekt Fehler der EU ein. "Wir sollten uns fragen: Wurde genug Gas bestellt oder ist der hohe Preis im Moment vielleicht der Grund dafür, dass nicht so viel bestellt wurde?", zitiert sie die Financial Times.

Darüber hinaus hat Putin Gazprom zu einer Geste des guten Willens gedrängt. Das Unternehmen solle Gas durch die Ukraine transportieren, obwohl es besser und wirtschaftlicher wäre, andere Wege zu nutzen. "Nach Ansicht von Gazprom wäre es sogar profitabler, eine Strafe an die Ukraine zu zahlen, und das Pumpvolumen durch die neuen Systeme zu erhöhen [...] Hier gibt es mehr Druck in der Leitung, weniger CO2-Emissionen in die Atmosphäre. Alles ist billiger, etwa 3 Milliarden pro Jahr. Aber ich bitte Sie, das nicht zu tun", zitiert ihn die staatliche Nachrichtenagentur TASS.

Putin will offenbar keinen Konflikt. Er wäre zufrieden damit, wenn Gazprom den europäischen Staaten so viel Gas verkauft, wie nachgefragt wird und wie geliefert werden kann, solange dies zu Bedingungen geschieht, die für beide Seiten vorteilhaft sind. Europas Politiker wissen, dass die EU im Hinblick auf das russische Gas keinerlei Monopolstellung hat und Russland die Bedingungen nicht einseitig diktieren kann. Dies könnte Putin bei Bedarf jederzeit auf dramatische Weise vorführen, indem er für ein paar Tage die Gaslieferungen verlangsamt.

Das Manövern der EU im Hinblick auf die Gaslieferungen aus Russland ist weniger ein Problem für Russland, als vielmehr gegen die Menschen in Europa. Die Stimmungsmache gegen Russland soll verschleiern, was das wirkliche Problem bei der europäischen Energieversorgung ist: Europa braucht dringend mehr russisches Gas. Deutschland braucht Nord Stream 2. Die Pipeline ist fertig gebaut, hat aber noch keine Betriebserlaubnis erhalten. Daher wird die Gaspipeline durch die Ostsee im kommenden Winter wohl nicht für Entlastung sorgen können.

Die anhaltenden Vorwürfe gegen Russland, sei es im Hinblick auf Demokratie, Gaslieferungen oder angebliche Cyber-Angriffe - werden die nachbarschaftlichen Beziehungen nicht verbessern. Dies kann sich letztlich auch auf die Energieversorgung auswirken. Denn wenn die Russen zu dem Schluss kommen, dass die EU den Nachbarschaftskonflikt tatsächlich will und nicht davon abzubringen ist, dann werden die Russen unter Präsident Putin umgekehrt auch die EU als schlechte Nachbarn betrachten und entsprechend behandeln.

Die Äußerungen des russischen Präsidenten mögen versöhnlich gewesen sein, aber eben mit diesen versöhnlichen Worten hat Putin die Verantwortung für eine mögliche Eskalation der Energiekrise den Staaten Europas zugeschoben. Und eine Eskalation droht durchaus und wäre gefährlich. Denn alle Rohstoffmärkte sind derzeit sehr angespannt. Es bedarf nur eines kleinen Stimmungsumschwungs im Markt und die Energiepreise könnten aufgrund der unelastischen Nachfrage nach Energierohstoffen dramatisch ansteigen.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Technologie
Technologie BradyPrinter i7500: Revolution im Hochpräzisionsdruck

Sie haben genug vom altmodischen Druck großer Etikettenmengen? Keine Kalibrierung, keine Formatierung, kein umständliches Hantieren mit...

X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Finanzen
Finanzen Tesla-Aktie stürzt ab: Miese Tesla-Auslieferungen belasten - was das für den Tesla-Kurs bedeutet
02.04.2025

Die weltweiten Auslieferungen des US-Autobauers Tesla sind im vergangenen Quartal um 13 Prozent auf 336.681 Fahrzeuge zurückgegangen....

DWN
Panorama
Panorama Polizei: Kriminalstatistik 2024 mit dramatischen Zahlen - immer mehr Gewalt- und Sexualdelikte
02.04.2025

Die Kriminalstatistik der Polizei offenbart ein besorgniserregendes Bild: Die Zahl der erfassten Gewalttaten ist 2024 um 1,5 Prozent...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Trump-Zölle könnten Preiskarussell, Zinserhöhungen und Insolvenzen anheizen - die EU bereitet sich vor
02.04.2025

Die Regierungen weltweit bereiten sich auf die massive Einführung von Zöllen durch US-Präsident Donald Trump vor, die, so sein Plan, am...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Mercedes-Benz erwägt Ausstieg aus dem Billigsegment in den USA aufgrund von Trump-Zöllen
02.04.2025

Die Mercedes-Benz Group prüft derzeit, ob sie ihre günstigsten Fahrzeugmodelle in den USA aus dem Sortiment nimmt. Hintergrund sind die...

DWN
Finanzen
Finanzen US-Börsen: Volatile Märkte vor Trumps Zollerklärung
02.04.2025

Die US-Börsen dürften überwiegend mit Verlusten in den Mittwochshandel starten, vorbörslich stecken die Technologieindizes an der...

DWN
Unternehmen
Unternehmen DWS-Aktie unter Druck: Deutsche-Bank-Tochter muss Millionenstrafe wegen Greenwashing zahlen
02.04.2025

Die DWS, eine Tochtergesellschaft der Deutschen Bank, wurde in Deutschland zu einer Millionenstrafe wegen "Greenwashing"-Vorwürfen...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Kurzarbeit auf Rekordhoch: Kritik an Verlängerung des Kurzarbeitergeldes wächst
02.04.2025

Die Wirtschaft steckt fest in einer Strukturkrise: seit 5 Jahren kein Wachstum. Die Folge: Immer mehr Unternehmen bauen Stellen ganz ab...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Deutsche Wirtschaft: Verbände fordern dringenden Kurswechsel der Koalition
02.04.2025

Bitte kein "Weiter-so"! Mit Unmut blicken deutsche Wirtschafts- und Industrieverbände auf das, was die noch namenlose Koalition aus Union...