Weltwirtschaft

Strategie der „Geoökonomie“: Deutsche Firmen müssen sich neu aufstellen, um in der Zeitenwende bestehen zu können

Lesezeit: 3 min
13.10.2021 14:00  Aktualisiert: 13.10.2021 14:17
Einer Studie zufolge werden viele deutsche Unternehmen ihr Geschäftsmodell an die sich rapide ändernden geopolitischen Gegebenheiten anpassen müssen. Eine renommierte Denkfabrik fordert Berlin auf, eine Strategie der „Geoökonomie“ zu verfolgen.
Strategie der „Geoökonomie“: Deutsche Firmen müssen sich neu aufstellen, um in der Zeitenwende bestehen zu können
Eine Frau betrachtet Containerschiffe im Hamburger Hafen. (Foto: dpa)

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Eine neue Studie von Prognos für KfW Research analysiert mögliche Zukunftsszenarien für die deutsche Wirtschaft. Wahrscheinlich ist, dass sich zahlreiche Firmen in den kommenden Jahren neu aufstellen müssen.

Die deutsche Wirtschaft hat in den vergangenen Jahrzehnten stark von der Globalisierung profitiert. Entsprechend hoch ist die Bedeutung des Auslandsgeschäfts sowohl für die direkt exportierenden Unternehmen als auch für deren Zulieferer, die häufig aus dem Mittelstand kommen. In der Gesamtbetrachtung hingen im Jahr 2019 rund 28 % aller Arbeitsplätze (rund 12,6 Millionen Erwerbstätige) hierzulande und 31 % der Bruttowertschöpfung (knapp 1.000 Milliarden Euro) direkt oder indirekt vom Export ab. Das zeigt die von KfW Research in Auftrag gegebene und von Prognos durchgeführte Studie zur Zukunft der Globalisierung und den Wachstumsperspektiven deutscher Unternehmen.

Wie groß die Bedeutung der Globalisierung für den Wohlstand in Deutschland ist, verdeutlicht der Blick auf das Wirtschaftswachstum seit der Wiedervereinigung: Zwischen 1990 und 2018 wuchs das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner in Deutschland im Durchschnitt jährlich um rund 1,4 %. Rund 0,3 Prozentpunkte davon gehen auf die verstärkte wirtschaftliche, soziale und politische Integration Deutschlands in die Weltwirtschaft zurück. Der internationale Handel mit Waren und Dienstleistungen ist dabei ein wesentlicher Aspekt der Globalisierung, vor allem im Verarbeitenden Gewerbe. Im Fahrzeugbau, im Maschinenbau, in der Pharma- und Chemieindustrie aber auch in der Elektronikindustrie werden weit mehr als die Hälfte der Gesamtumsätze im Ausland erzielt.

In welchem Umfang die Exportstärke, die in den vergangenen Jahren einer der Erfolgsfaktoren des deutschen Wirtschaftsmodells war, auch künftig ein Treiber des Wachstums sein kann, ist offen. Die Zukunft der Globalisierung und des internationalen Handels scheint unsicher - nicht zuletzt auch, weil die Corona-Krise längerfristige Veränderungen in der Handelspolitik und den Handelsbeziehungen der Unternehmen bewirken kann. Die aktuelle Analyse von Prognos für KfW Research analysiert die Auswirkungen mehrerer möglicher Entwicklungspfade der Globalisierung auf Wachstum, Wertschöpfung und Erwerbstätigkeit in Deutschland in den nächsten zehn Jahren.

In einem Szenario, in dem sich die Globalisierung so langsam fortsetzt wie seit 2010, würde das reale BIP zwischen 2023 und 2030 durchschnittlich um 1,1 % pro Jahr wachsen. Dies erscheint wahrscheinlicher als eine umfassende Deglobalisierung oder ein erneuter Globalisierungsschub, wie er in den 1990er und 2000er Jahren zu beobachten war. Denn die protektionistischen Tendenzen der letzten Jahre und die als geschwächt geltende Welthandelsorganisation erschweren die weitere Integration der Weltwirtschaft und die internationalen Wertschöpfungsketten müssen die Corona-Krise verarbeiten, auch wenn die Vorteile internationaler Arbeitsteilung nach wie vor vorhanden sind.

„Es spricht einiges dafür, dass die Globalisierung nach Überwindung der Corona-Krise in langsamem Tempo voranschreitet. Die Unternehmen sind gut beraten, sich mit einer solchen möglichen Entwicklung auseinanderzusetzen - und über alternative Wachstumsstrategien nachzudenken“, sagt Dr. Fritzi Köhler-Geib, Chefvolkswirtin der KfW. Die aktuelle Analyse von Prognos für KfW Research zeigt dabei drei Möglichkeiten auf, um Exportstrategien anzupassen und neue Absatzpotenziale zu erschließen:

1. Stärkere Fokussierung auf die Binnennachfrage in Deutschland. Wachstumschancen ergeben sich hier vor allem aus den Megatrends demografischer Wandel, Digitalisierung sowie Klima- und Umweltschutz.

2. Entwicklung neuer, innovativer Exportprodukte oder -dienstleistungen. Die fortschreitende Digitalisierung und die zunehmende Bedeutung von Klima- sowie Umweltschutz dürften auch international wichtige Impulse setzen. Schon heute ist Deutschland zweitgrößter Exporteur von Klima- und Umweltschutztechnologien.

3. Erschließung neuer, vielversprechender Exportmärkte. Jenseits der bisherigen Absatzmärkte in Europa, Nordamerika und Ostasien bieten einige Schwellen- und Entwicklungsländer Chancen.

Denkfabrik: Politik muss Wirtschaftsinteressen robust untermauern

Neben der Wirtschaft kann und muss auch die Politik ihren Beitrag für die Gestaltung der künftigen Globalisierung leisten. „Es gilt, verlässliche außenwirtschaftliche Rahmenbedingungen sicherzustellen und zu einem stärker regelbasierten Handelssystem zurückzukehren. Der Abschluss neuer Handelsabkommen mit wachstumsstarken Schwellen- und Entwicklungsländern, eine weitere Liberalisierung des Dienstleistungshandels und die Schaffung eines digitalen EU-Binnenmarktes können wesentlich zu einer Stärkung des internationalen Handels beitragen“, so Dr. Fritzi Köhler-Geib.

Noch deutlicher äußerte sich in dieser Hinsicht vor wenigen Wochen die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), welche in einem Strategiepapier unter dem Schlagwort „Geoökonomie“ grundsätzliche Überlegungen zur politischen Flankierung des exportfixierten deutschen Wirtschaftsmodells formulierte.

Notwendig sei demnach eine aus den Bereichen Außen- beziehungsweise Geopolitik, Wirtschaftspolitik und Entwicklungshilfe zusammengesetzte staatliche Agenda zur strategischen Sicherung von Rohstoffbezugs- und Absatzmärkten, aber umgekehrt auch ein Wirtschaften im Sinne außenpolitischer Ziele.

Die DGAP schreibt auf ihrer Homepage:

Zunehmend nutzen sowohl die USA als auch China ihre wirtschaftliche Stärke, um neben regionalen und globalen Regelungsstrukturen auch die internationalen Beziehungen zu gestalten. Die Debatte darüber, ob wir uns von einer multilateralen, regelbasierten und kooperativen Ordnung zu einer konflikt- und wettbewerbsorientierten bewegen, die möglicherweise einen neuen Ansatz erfordert, wächst. Die Europäische Union, die ihre Hoffnungen weitgehend auf die Organisation der wirtschaftlichen Weltordnung und die Lösung von Spannungen durch multilaterale Institutionen gesetzt hatte, ist auf dieses neue geoökonomische Umfeld schlecht vorbereitet.

Daher ist es wichtig, dass die Europäer ein präziseres Verständnis für geoökonomische Strategien entwickeln und eine Politik etablieren, die darauf abzielt, die wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen der EU in einer Vielzahl von Politikfeldern zu wahren.


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